Futter für die Bestie
Futter für die Bestie
Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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vorgegebenes Bild | September 2014
Letzte Ölung
von Barbara Hennermann

Schon immer hatte Hubert Gramp ein gottesfürchtiges Leben geführt.
Niemand hätte daran auch nur den Hauch eines Zweifels haben können. Seit frühester Kindheit hatte er jeden Sonntag das Hochamt besucht, erst an der Seite seiner frommen Mutter, später dann mit seiner ebenso frommen Gattin Hermine. Die Kirchensteuer hatte er brav entrichtet und sogar freigiebig Kirchgeld bezahlt.
Sicher, hin und wieder kamen ihm schon kritische Gedanken, wenn er in der Presse oder anderen Medien Dokumentationen über seltsame Machenschaften seiner Kirchenoberen zu Gesicht bekam. Aber Mutter und Hermine konnten diese Anflüge stets mit wenigen Argumenten beseitigen. „Das ist nur die Bosheit der Ungläubigen! Medien! Ha! Heiden sind das, die ewig in der Hölle schmoren werden!“
So fügte er sich widerstandslos dem Weltbild der beiden Frauen, die sein Leben prägten.
Auch als Hermine ihm unmissverständlich nach der Geburt der beiden Kinder klar machte, dass Sex auch in der Ehe dem Kirchengebote nur entspräche, wenn daraus dann Kinder resultierten, fügte er sich klaglos. Dass er ersatzweise Pornos ansah und später im Internet einschlägige Seiten buchte, konnte er leicht vor ihr verheimlichen, denn Hermine ging früh zu Bett, um für die tägliche Morgenmesse fit zu sein ... Nie allerdings hätte er sich getraut - ja, nicht einmal den Gedanken fasste er! - solche Bedürfnisse in einschlägigen Etablissements zu stillen.

Doch auch der Gottesfürchtigste ist nicht mit dem ewigen Leben auf Erden ausgestattet.
So geschah es, dass Hubert in seinem neunundsechzigsten Lebensjahr von einer schweren Krankheit niedergestreckt wurde. Da er ans Kämpfen nicht gewohnt war, versank er in Agonie. Der Tod klopfte sichtbar an. Hermine rief den zuständigen Geistlichen, damit alles seinen rechten Weg gehe.
Dieser erschien nach einer vertretbaren Zeit – nach Bohnenkaffee duftend und mit den Resten des eben genossenen Mohnkuchens im Mundwinkel. Aber wer wird in solch einer Situation schon penibel sein? – angetan mit den Insignien seiner beruflichen Stellung. Offenbar war Hubert seit längerer Zeit der Erste, dem geistlicher Beistand zu Gute kommen sollte – jedenfalls ließ sich die Flasche mit dem heiligen Öl nicht öffnen. So spannte der Geistliche seine Dankesworte zur heilenden Kraft des Öles über das Gefäß sowie über den Kranken gleichermaßen.

Hubert öffnete ein Auge. Schloss es wieder. Versank in der Agonie. Versank in der Agonie?
Mitnichten!
Ein Lichtkranz entwand sich den monotonen Worten des Geistlichen.
Ein Lichtkranz, in dem Hubert stand. Doch wie peinlich! Er hatte seinen alten Sonntagsanzug an und vergessen, sich zu rasieren!
Denn – Grundgütiger! Unglaublich! - da erschien sie. SIE! Die er aus unzähligen heimlichen Auftritten zu kennen schien! Leichtfüßig schritt sie auf ihn zu. „Hubert! Mein Liebchen! Mein Held!“ Ihre bloßen Brüste hoben und senkten sich, stachen nach ihm. Er wollte nach ihnen greifen, sich in ihnen versenken. Mein Gott! Jetzt! Endlich! Wie lange hatte er darauf gewartet?

„Durch diese heilige Salbung ...“

Um Himmels Willen? Was war das? Was geschah mit ihr?
Eine Peitsche entwuchs ihrer linken Hand.
„Hubert, du bist ein böser Junge! Weißt du nicht, dass du Unrecht tust?“

„.... helfe dir der Herr in seinem reichen Erbarmen ...“

Sein Atem beschleunigte sich. Greifen. Er musste sie greifen! An sich ziehen. Niederreißen. Besiegen.
Doch seine Arme waren gefesselt. Hilflos war er. Ausgeliefert.

„Sehen Sie doch, Herr Pfarrer, er reagiert! Er will nach mir greifen!“
Der Geistliche fühlte sich in seinem Ritual gestört, sah kurz auf das Bett, presste aus dem Mundwinkel hervor: „Reflexe, Frau Gramp, Reflexe.“
Hermine ließ sich nicht beirren.
„Hubert! Hubertchen! Hier bin ich! Hier! Dein Herminchen!“
Ihre Stimme steigerte sich zum Falsett.

Es quietschte. Es quietschte gewaltig.
Entsetzen riss Hubert in die Höhe.
Hätte er einen Hut aufgehabt, er wäre gewiss davongeflogen!
Denn was war das? Was wuchs auf ihrem Kopf?
Ein Käfig? Ein Käfig mit undefinierbarem Emblem. Irgendwas Komfortables sicher. Natürlich was Komfortables. Darum ja undefinierbar.
Hubert sah das ein.
Das Blut schoss ihm bis in die Fingerspitzen.
Wie gerne hätte er jetzt seine alte Pfeife bei sich gehabt, ein paar Züge zur Beruhigung inhaliert!
Doch das Schicksal ließ ihm keine Zeit.
Denn der Käfig füllte sich.
Das war ... Das war doch eine Ratte? Er hasste Ungeziefer. Hatte es sein Leben lang gehasst.
Doch die Ratte ... Jetzt aber ... Echt? Die Ratte war total niedlich!
Sie schnurrte sogar!

„... er stehe dir bei ...“

Warum, zum Teufel, hatte Hermine es nie geduldet, dass er ein Haustier hielt?
Nun ja, auch Mutter hatte es schon nicht erlaubt. Und, genau genommen, war Hermine im Grunde nur die Fortsetzung von Mutter gewesen.
Verdammt noch mal, warum habe ich nie das tun dürfen, was ich tun wollte?

„Hören Sie doch, Herr Pfarrer, er will uns etwas sagen!
Ja, Hubertchen, ja – ich bin doch da. Dein Herminchen, hörst du?“
„Nun, Frau Gramp, da machen Sie sich doch zu viel Hoffnungen. Das sind alles nur Reflexe!“
Verstohlen sah der Geistliche auf seine Uhr. Das dauerte hier nun wirklich schon extrem lange. Im Übrigen war er nur die Urlaubsvertretung. Es wurde langsam Zeit, dass er zum Ende kam! Vielleicht war noch ein Stück von dem wirklich sehr guten Mohnkuchen ...
Hermine packte Hubert an den Schultern.
„Hubertchen! Schluss jetzt mit den Faxen! Mach die Augen auf!“

Das durfte doch nicht wahr sein!
Das Weib bespuckte ihn!
Spritzte ihm ihren Speichel entgegen!
Und nicht nur das. Zähne! Das waren doch Zähne?
Auch der Geduldigste hat seine Grenzen ...

„... mit der Kraft des Heiligen Geistes.“

Hubert fuhr in die Höhe.
Er riss die Augen auf.
„Was, zum Teufel, ist hier los? Hermine? Bist du das?“
Hermine schrie auf.
„Herr Pfarrer! Sehen Sie doch! Ein Wunder!“
„Wer ist dieser Quacksalber? Raus mit Ihnen!“

„... Amen.“

„Herr Pfarre, bitte ...“
„Schon gut, Frau Gramp.“ Der Geistliche atmete tief durch. Jetzt könnte tatsächlich noch ein Stück von dem ausgezeichneten Mohnkuchen ... „Bin schon weg!“
„Hubert!“
„Hermine? Gut, also Hermine. Mir auch egal.
Aber das Eine sag ich dir, Hermine. Dein Schloss habe ich gerade geknackt!
Deins, und das von Mutter auch! Gott hab sie selig. Oder auch nicht.“

Anmerkung:
Hubert Gramp verstarb im gesegneten Alter von 115 Jahren. Er hinterließ sieben leibliche Kinder. Ein kirchliches Begräbnis konnte ihm leider nicht zuteil werden.


HB V 2 9/14

Letzte Aktualisierung: 20.09.2014 - 21.15 Uhr
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