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vorgegebenes Bild | September 2014
Das Bild, das sich nicht stehlen lassen wollte
von Ingo Pietsch

Siegfried Rubens stand wie immer mit seinem Tablet bereit, als der beleibte Kommissar Gerhard Otto und sein Kollege Jean Zinklär eine der Galerien des Kunstmuseums betraten.
Ăśberall wuselten Mitarbeiter der Spurensicherung herum und machten Fotos oder sicherten Beweise.
Otto naschte einen Schokoriegel und wollte, nachdem er sich den Rest davon in den Mund geschoben hatte, Rubens die Hand schĂĽtteln.
„Meinst du nicht, dass du eventuell Beweise verfälschen könntest?“, fragte Rubens, die Geste ignorierend.
„Ich habe doch Handschuhe an!“, antwortete der Kommissar und präsentierte dem Leiter der Spurensicherung seine schokoladenverschmierten Hände.
Zinklär trat einen Schritt zurück, als Otto sich umsah, um die braune Masse irgendwo abzuwischen. Er wollte auf gar keinen Fall etwas davon auf seiner schwarzen Lederjacke haben.
Da Otto nichts auf die Schnelle fand, nahm er seine Hosenbeine. Das Braun fiel neben den Ketchupflecken und der weißen Dönersauce kaum auf.
„Bist du nicht auf Diät?“, wollte Rubens wissen.
„Die Nüsse in dem Riegel sind zuckerfrei!“, kam die schlagfertige Antwort.
Zinklär schüttelte den Kopf.
„Warum hast du eigentlich uns gerufen? Das ist doch gar nicht unser Bezirk. Und mit Kunst habe ich sowie nichts am Hut. Obwohl“, er besah sich seinen dicken Bauch. „war es echt eine Kunst, sich im Stehen die Schuhe anzuziehen.“
Niemand lachte, nur Zinklär brachte ein gequältes Lächeln zustande.
Rubens zĂĽckte sein Tablet und sie gingen zu der abgedeckten Leiche.
„Richard Kranzel. 43. Direktor des Museums. Wahrscheinliche Todesursache: Messerstich in den Brustbereich.“
Rubens sah Zinklär an, der ganz blass geworden war.
„Vielleicht hätte ich Sie vorwarnen sollen?“, sagte Rubens.
„Es ist alles in Ordnung“, antwortete Zinklär mit einem flauen Gefühl in der Magengegend, zog einen Lederhandschuh aus und bückte sich zu dem Toten.
„Wir haben aus den Unterlagen in Kranzels Büro herausgefunden, dass Sie miteinander bekannt waren.“
„Ja, wir waren Freunde. Er hatte eine Begabung, wie ich. Leute wie wir kennen uns untereinander.“ Zinklär zuckte zusammen, als er die kalte Haut berührte.
„Es gibt noch mehr von Ihrer Sorte?“, wollte der Kommissar wissen. Er nestelte an der Verpackung eines Kokosriegels. „Kokos ist gesund.“
„Du meinst Kokoswasser“, meinte Rubens.
„Das ist doch das gleiche“, mampfte Otto.
Zinklär stand wieder auf und taumelte leicht. Eine Welle von Emotionen und Bildern hatte ihn durchflutet, die er erst verarbeiten musste.
„Er hat etwas versteckt. Hinter einem dieser Bilder, in diesem Gang. Ich weiß, dass er einem Geheimnis auf der Spur gewesen, das in Kunstwerken verborgen sein sollte. Es muss hier irgendwo einen Hinweis geben.“ Zinklär sah sich um.
„Das würde passen. Auf dem Überwachungsvideo sieht man, wie Kranzel von einem Maskierten hier in die Galerie gezerrt wurde. Der Maskierte hat ihn mehrmals bedroht und dann erstochen. Dann hat der Täter eines der Bilder berührt, zuckte zusammen und flüchtete. Man kann auf dem Video aber nicht genau sehen, welches es war. Die Qualität ist zu schlecht.“ Rubens ging zu der Reihe Bilder, die in Frage kamen.
„Hängt da auch ein Bild von dir?“, fragte Otto, der auf Rubens Namen anspielte.
„Ich male immerhin besser, als du abnimmst“, konterte Rubens.
„Ha!“, machte der Kommissar, der einen weiteren Riegel auspackte. „Mehr Keks als Schokolade“, kommentierte er.
„Einige Bilder haben wir schon untersucht, aber nichts gefunden. Es handelt sich um zeitgenössische Werke.“ Es waren teils abstrakte Karikaturen darunter. Rubens tippte sein Tablet an. „Die drei kommen in Frage.“
Ein Mann von der Spurensicherung untersuchte das erste Bild, fand aber nichts. Als er das zweite berĂĽhrte, fing er an zu zittern und seine Knie gaben nach.
Otto half ihm hoch und gab ihm einen weichen Schokoriegel aus seiner Manteltasche. „Hier, für Ihren Zuckerspiegel.“
Ein Kollege stĂĽtzte den Mann.
„Was ist das überhaupt für ein Bild?“ Otto legte den Kopf schief.
Rubens fotografierte das Bild und las vor: „Ein Sadistki. Es trägt den Titel: Geteilter Schmerz ist doppelte Freude. Ein reicher Mann im Anzug, eine dominante Frau mit Peitsche und eine Ratte, die über allem thront.“
„Hinter so einem Bild würde ich garantiert nichts suchen wollen. Was hat Kranzel mit diesem Bild angestellt, Zinklär?“ Der Kommissar steckte die Schokohände in die Manteltaschen und durchwühlte sie. Dann förderte er einen deformierten Lutscher zutage und versuchte die Folie, die mit der Masse verschmolzen war, abzureißen. Bei dem Versuch fiel der Lutscher herunter und blieb dort mit dem Stiel nach oben auf dem Boden kleben.
„Otto!“, ermahnte ihn Rubens.
Otto hob beschwichtigend die Hände. „Ich gehe ein Stück zurück. Zinklär, was ist jetzt?“
Zinklär stand vor dem Bild und strich mit seinen nackten Händen vorsichtig über den Rahmen. „Kranzel konnte nicht nur Gefühle aus Gegenständen empfangen, er speicherte sie irgendwie und übertrug sie auf andere Dinge oder sogar auf Personen. Er konnte ihnen also regelrecht Angst machen, indem er jemanden einfach berührte.“ Zinklär fasste zu.
„Er hatte wahrscheinlich nicht viele Freunde?“, fragte Otto.
Zinklär wiegte den Kopf. „Man hat keine Freunde, wenn man seine Fähigkeit nicht kontrollieren kann und sogar die eigenen Eltern vor einem Angst haben. Und wenn man sie dann doch kontrollieren kann, dann erst recht nicht.“
„Schlimme Kindheit gehabt?“ Otto war zu weit gegangen.
Zinklär nahm das Bild ab und funkelte den Kommissar böse an: „Sie haben ja keine Ahnung!“
Er legte es mit der RĂĽckseite nach oben auf den Boden.
„Nicht anfassen! Kranzel hat nur diese beiden Stellen freigelassen. Sonst wäre mir das gleiche wie unserem Kollegen zugestoßen. Vielleicht möchten Sie mal, Otto?“
„Ich spüre Spannungen zwischen uns“, gab Otto zurück.
„Das beruht auf Gegenseitigkeit.“
„Da klemmt ein Zettel im Rahmen“, bemerkte Rubens.
Zinklär nahm ihn heraus und gab ihn dem Chef der Spurensuche. Mit spitzen Fingern nahm er ihn entgegen.
„Eine Zahlenfolge.“ Rubens gab sie in sein Tablet ein.
„Eine Bestellnummer für eine Schrankwand aus einem Katalog. Die Kontonummer einer terroristischen Vereinigung. Die geografische Lage des Louvre in Paris.“
„Stopp!“, unterbrach ihn Otto. Er hatte einen Lutscher im Mundwinkel. „Dort wird er bestimmt einen weiteren Hinweis versteckt haben. Robert Langdon würde sich freuen. Kommen Sie, Zinklär, fahren wir.“
„Kommissar, das ist doch nicht Lutscher vom Fußboden?“ Zinklär konnte keinen mehr entdecken.
„Nein“, antwortete Otto gedehnt. „Ich hatte noch einen dabei.“
„Das wird unser Chef weder bewilligen noch bezahlen“, gab Zinklär zu bedenken.
„Erstens habe ich seit zehn Jahren keinen Urlaub mehr genommen und zweitens sind Sie freiberuflich angestellt.“
„Und wie kommen wir dahin? Mein alter Mercedes fährt nicht bis Paris.“
„Ich habe mir ein Wohnmobil für den Ruhestand gekauft. Fährt zwar nur dreißig, aber wir haben ja Zeit.“ Otto machte auf dem Absatz kehrt und lief los.
„Wie lange braucht man bis zum Louvre in Ottos Wohnmobil?“
Rubens tippte wieder. „Länger, als Ihnen lieb ist. Übrigens, wussten Sie, dass Otto Arien singt, wenn er lange Auto fährt?“
„Sie machen Scherze?“
„Haben Sie mich schon mal lachen sehen?“
Zinklär machte ein zerknirschtes Gesicht. „Warten Sie, Otto!“
Nachdem er ihn eingeholt hatte, fragte er: „Können Sie eigentlich singen?“
Otto war entzückt: „Ich bin ein begnadeter Tenor. Wollen Sie mal hören?“
Das Nein konnte niemand mehr im Museum verstehen.
Zinklär drehte sich noch einmal zu Rubens um, der ihn winkend und mit einem breiten Lächeln verabschiedete.

Letzte Aktualisierung: 22.09.2014 - 21.07 Uhr
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