Das alte Buch Mamsell
Das alte Buch Mamsell
Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
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vorgegebenes Bild | September 2014
Elfriedes Weg zur Vollendung
von Marcel Porta

Elfriede. Der Name passt nicht mehr zu mir, seit ich meine wahre Berufung gefunden habe. Viel zu bieder. Es war ein langer Weg, und oft kam ich in Versuchung, alles hinzuschmeißen. Einfach einen Otto Normalbürger zu heiraten, ihm abwechselnd Pantoffeln, Zeitung und Bier hinterherzutragen und mein Leben scheibchenweise an die Bestie geregeltes Leben zu verfüttern - wirklich, ich war so dicht dran!
Wie sollte ich auch, jung und naiv wie ich war, verstehen, warum ich überall aneckte? Was mich immer wieder dazu trieb, mich mit meinen Chefs anzulegen, bis sie sich eine neue Sekretärin suchten? Kein einziger hat mir ein schlechtes Zeugnis ausgestellt, meine Fachkompetenz stand über jedem Zweifel.
Doch genau da wurzelte der Ärger. Es gelang mir nicht, auch nur einen Fehler der hohen Herren unter den Tisch fallen oder ihn unkommentiert zu lassen. Wie Erstklässler wendeten sie das kleine Einmaleins ihrer Profession falsch an, die hohen Herren – aber nein, den beißenden Spott und die Kübel an Häme, die ich über ihnen ausgoss, die konnten sie nicht ertragen.
Klar erkannte ich bald, dass die Chefs das Problem waren, selbstverliebte Egomanen allesamt, eingebildet und unbelehrbar. Die Lösung lag auf der Hand. Immerhin war ich intelligent und manipulativ genug, um ihnen meine Ideen als ihre eigenen unterzuschieben. Leider scheiterte ich stets an meiner Impulsivität, die mich dazu hinriss, ihnen meine wahre „Wertschätzung“ um die Ohren zu hauen.

Ändern konnte ich das nicht Der Zeitpunkt, an dem der Gaul mit mir durchging, kam zuverlässig wie ein Steuerbescheid. Insbesondere Herr Hinrich, der letzte in einer langen Reihe, nervte mich unerträglich. Er war eine komplette Null, leitete aber eine Versicherungsagentur und spielte sich auf wie Spiderman im Hochseilgarten. Zudem signalisierte er Interesse an mir als Frau, was mich an den Hund erinnerte, der den Mond anbellt.
Und so stand ich eines Tages ganz ohne Job da. Mittlerweile ging ich auf die vierzig zu, hatte in etlichen Firmen eine Spur der Verwüstung hinterlassen, und mein Ruf war so gründlich ruiniert, dass niemand mich mehr einstellen wollte. Eine willige, aber inkompetente Befehlsempfängerin war ihnen offenbar lieber als eine Megäre, die über fundierte Kenntnisse verfügte.

"Männer sind zum Kotzen", beschwerte ich mich nach fünfzig vergeblichen Bewerbungen bei meinen beiden besten Freundinnen.
"Kann ich so nicht bestätigen", gab Melanie zur Antwort und rührte in ihrem Kaffee. "Man muss sie nur zu nehmen wissen."
"Aha, und du weißt, wie man das macht?"
"Nun ja, bei meinem Mann kenne ich jeden Knopf, den ich drücken muss. Er frisst mir aus der Hand."
"Stimmt", mischte sich Judith ein, "wenn ich die beiden besuche, bedient er uns und springt, sobald Melanie einen Wunsch äußert. Er ist die Bilderbuchausgabe eines Hausmanns, der um das Wohl seines Weibchens besorgt ist."
"Dabei ist er Bankmanager“, betonte Melanie. „In der Firma lässt er keine Gelegenheit aus, den großen Macker rauszuhängen. Daheim dagegen ist er lammfromm.“ Sie senkte die Stimme, und ein Hauch Röte erschien auf ihren Wangen. „Sein Bedürfnis, mir Wünsche zu erfüllen, beschränkt sich übrigens nicht auf Wohnzimmer und Küche …"

Dieses Gespräch beschäftigte mich noch tagelang.
Es gab offenbar Männer, die im Beruf die erste Geige spielten, privat jedoch gerne kleine Bubis gaben, sich an der kurzen Leine halten und umherkommandieren ließen. Natürlich hatte ich davon schon gehört, es aber stets als Märchen abgetan.
Es passiert mir immer wieder, dass eine Sache, die mich beschäftigt, meine Aufmerksamkeit für ähnliche Dinge schärft. Nur so kann ich erklären, dass mir die Kleinanzeige in unserer regionalen Zeitung ins Auge sprang. Ohne die vorherige Sensibilisierung wäre mir das Schlüsselwort „Dominastudio“ garantiert nicht aufgefallen. Die Inhaberin, eine Frau namens Linda, suchte Verstärkung. Vorkenntnisse nicht erforderlich, hieß es, nur die Bereitschaft zum Ungewöhnlichen und ein Mindestalter von 35 Jahren wurden gefordert.
Sollte ich oder sollte ich nicht? Doch: Was hatte ich schon zu verlieren?
Linda selbst war am Apparat. Schnell kamen wir zum Kern der Sache.
„Was habe ich denn zu tun in diesem Job?“, wollte ich wissen.
„Nun, Frau Stingel, viele unserer Gäste wünschen eine ganz besondere Behandlung. Leider sind wir bisher nicht in der Lage, dieser Nachfrage gerecht zu werden, weil unsere älteste Angestellte erst fünfundzwanzig ist.“
„Sie meinen, es gibt Kunden, die auf Frauen wie mich stehen?“
„Unbedingt! Gerade die zahlungskräftigsten Herren wollen keine zahmen jungen Hüpfer, sondern gestandene Frauen mit Autorität.“
Ich lachte auf. „Bisher war genau dieser Punkt mein berufliches Handicap, wissen Sie. Nur andersherum.“
„Dann sind Sie die, die wir suchen. Die technischen Details bringen wir Ihnen bei, das ist kein Hexenwerk“, an dieser Stelle lachte sie kehlig. „Passt es Ihnen gleich morgen?“

Als ich vor dem Haus stand, das ohne die grelle Neonreklame wohl mehr als unscheinbar gewesen wäre, zögerte ich. Sollte ich mein bisheriges Leben wirklich komplett umkrempeln?
Erst als der vereinbarte Termin zu verstreichen drohte, versetzte ich mir einen gedanklichen Tritt.
Wenn ich mich unwohl fühle, verschwinde ich, versprach ich mir selbst und dank dieser Sicherheit im Rücken schaffte ich es sogar, Linda mit einem Lächeln gegenüberzutreten.
„Toll, dass Sie es tatsächlich geschafft haben, Frau Stingel. Wissen Sie, wir hatten schon drei Bewerbungen vor Ihnen, aber die Damen haben mich allesamt im Stich gelassen. Doch da Sie jetzt hier sind, würde ich gerne zum Du übergehen. Ich bin Linda.“
„Elfriede. Übrigens staune ich mehr über mich als du. Was kann ich verdienen, und was muss ich dafür tun? Du weißt ja, dass ich absolut keine Erfahrung habe.“
„Am besten, du schaust mir zu, dann weißt du bald, worauf es ankommt. Wenn du Vollzeit arbeitest, bekommst du als Neuling etwa so viel wie eine Gymnasiallehrerin. Mit einem bisschen Erfahrung aber kannst du das locker verdoppeln.“
Ich schluckte. „Ich bin aber keine Nutte, ich schlafe nicht für Geld mit irgendwelchen Männern“, gab ich meinen größten Ängsten Ausdruck.
„I wo, das kommt bei uns nur im Ausnahmefall vor. Im Gegenteil, je zugeknöpfter du bist, desto größeren Respekt haben die Kunden vor dir. Aber natürlich kannst du auch halb oder völlig nackt arbeiten, ganz wie es dir gefällt. Vergiss nie, dass DU das Sagen hast. Die Kunden dürfen nur wählen, wie sie gequält oder gedemütigt werden wollen, der Rest liegt ganz in deiner Hand.“

Wow, das klang viel versprechend. Insbesondere der letzte Satz hatte mich richtiggehend heiß gemacht. Noch am gleichen Abend begleitete ich Linda zu ihren Treffen, lernte die Kolleginnen kennen, und als ich weit nach Mitternacht daheim im Bett lag, war die Entscheidung längst gefallen.
Die Männer, meist gut situiert und erfolgreich, fraßen Linda aus der Hand. Und ohne Probleme akzeptierten sie auch mich. Den letzten Kunden überließ Linda mir komplett, ich durfte ihm Aufträge geben, bei denen er versagen musste. Die fällige Bestrafung in Form von Schlägen mit einem Paddel auf den nackten Arsch bereitete dem Delinquenten genau so viel Vergnügen wie mir. Mann, war das eine Befreiung. Endlich durfte ich meiner Wut auf die „Herren der Schöpfung“ ungestraft nachgeben und erntete auch noch Dankbarkeit dafür.
“Verdammt, war das ein Spaß”, erklärte ich Linda bei der Verabschiedung.
„Du bist ein Naturtalent“, bestätigte sie und ich muss gestehen, ich sah das genauso. Das war meine Berufung.
Binnen weniger Wochen hatte ich einen festen Stamm von Kunden. Ständig wurden es mehr, und das, obwohl ich nur zugeknöpft bis zur Halskrause arbeitete und niemandem erlaubte, mich zu berühren.

Doch dann kam der Tag, der ein Hochgenuss wurde, und an dem ich zum ersten Mal diese Prinzipien über den Haufen warf. Es hatte sich ein Mann angemeldet, der Lehrerin und Schüler spielen und dabei unbedingt die neue ältere Mitarbeiterin ausprobieren wollte. Wie bei allen neuen Kunden hatte ich vor der anberaumten Session die Gelegenheit, ihn heimlich zu begutachten. Und wie hüpfte mein Herz im Busen, als ich ihn erkannte – es war Herr Hinrich, der letzte meiner Chefs! Derjenige, welcher das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Er sollte mein vorläufiges Meisterstück werden. Zum ersten Mal also entledigte ich mich meiner Kleider bis auf einen winzigen Slip, färbte meine Brustwarzen leuchtend rot und legte einen tiefschwarzen Lippenstift auf.
Ich bat eine Kollegin, den Herrn schon mal in die Folterkammer zu bringen und ihn fachgerecht an den Pranger zu fesseln. Natürlich ließ er sich das gerne gefallen und wartete sehnsüchtig auf die angekündigte Marcella, denn unter diesem Künstlernamen trat ich auf.
Mit einer Kippe im Mundwinkel betrat ich die Kammer des Schreckens, wie dieser Raum von den Kunden liebevoll genannt wird.
Im schummrigen Licht erkannte er mich nicht sofort. Doch dann sprach ich ihn an. Meine Stimme ließ ihm sofort den Hut hochgehen.
„Na, Helmut, was hast du schon wieder ausgefressen? Piesackst du deine Mitschülerinnen immer noch und ziehst sie an den Haaren? Du bist doch stets derselbe alte Mistkerl!“
Oh, welch ein Spaß, zu sehen, wie er sich in seinen Fesseln wand. Er sagte kein Wort, aber die Panik war ihm ins Gesicht geschrieben.
„Du kennst das Losungswort. Wenn du es aussprichst, ist unsere Session sofort zu Ende. Du kannst gehen, ohne einen Cent zu zahlen, aber darfst das Etablissement nicht mehr betreten. Willst du das? Oder ziehst du es vor, von mir erzogen zu werden? Ich werde keine Gnade kennen, das verspreche ich dir.“
„Ich weiß“, hauchte Herr Hinrich mit brüchiger Stimme.
Er wurde mein treuester Stammkunde und hob meine Freude an diesem Job auf ein nie erahntes Niveau.

Letzte Aktualisierung: 24.09.2014 - 09.12 Uhr
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