vorgegebenes Bild | September 2014
| Naive Malerei | von Anne Zeisig
|
Julia half ihrer Mutter Marlies beim Eindecken der Kaffeetafel.
“Du hättest deinen Vater doch besser vom Bahnhof abholen sollen”, sorgte sich Marlies. “Er bringt es fertig und steigt in den falschen Bus ein.” Sie verteilte die Servietten.
“Ach Mutt, du machst dir unnötige Sorgen. Paps ist noch nicht senil. Der ist für seine siebzig Lenze recht fidel.”
Ihre Mutter schüttelte den Kopf. “Fidel? Erinnerst du dich nicht mehr daran, wie er sich in der Stadt verlaufen hat, weil er eine Parfümerie gesucht hat?”
“Aber nun muss er doch nur aus dem Bahnhof raus und in die Linie Zwei einsteigen.”
Marlies blickte ungeduldig auf die Uhr. “Er müsste längst hier sein.”
* * *
Heinz-Jürgen hievte seinen Koffer durch den engen Gang im Zug und außerdem hielt er in der Linken auch noch ein großes Bild. Die anderen Fahrgäste waren nicht begeistert von seinem Ausstiegmanöver.
Das Gemälde war ein Abschiedsgeschenk von Gertrud. Sie war ihm während der Kur drei Wochen nicht von den Fersen gewichen und hatte sich selbst zu seinem Kurschatten benannt. Sämtliche Versuche, dieser Dame zu entkommen, waren fehlgeschlagen.
Also hatte er sich mit der Situation arrangiert und das Beste daraus gemacht. Weil Gertrud motorisiert war, haben sie einige Ausflugsfahrten unternommen, die Gegend erkundet und auch der abendliche Tanz war dabei nicht zu kurz gekommen.
Bis um zweiundzwanzig Uhr, verstand sich.
Sie, ein Plappermäulchen, erzählte viel von sich, dass sie bereits den dritten Ehemann überlebt habe, und von ihrem Hobby, dem Malen. Da blieb es nicht aus, dass auch Heinz-Jürgen von seiner langjährigen, glücklichen Ehe mit Marlies berichtete, und von seinen Handwerkskünsten mit eigener kleiner Werkstatt im Garten.
“Und du bist nie fremdgegangen?”, wollte Gertrud, bereits recht vertraut mit ihm, wissen.
Heinz-Jürgen schüttelte den Kopf. “Das wäre mir, organisatorisch betrachtet, viel zu aufwändig und zu anstrengend gewesen. Außerdem liebe ich meine Frau.”
Sie saßen im Kurpark unter einer Linde.
Die Sonne tauchte die Wiesenblumen in ein helles Licht. Die Bienen machten sich emsig an den Blüten zu schaffen.
Gertrud ergriff seine Hand. “Wo bitte müssen wir hier in der Kur etwas organisieren?”
Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter und seufzte. “Ich könnte dich verwöhnen, wie du es vorher noch nie erlebt hast. Und was deine Gattin nicht weiß, macht sie nicht heiß.”
Er rückte seine Krawatte zurecht und ein wenig von Gertrud ab. “Versteh mi-hich, mich, ni-hicht, nicht falsch”, stotterte er, “aber auch Marlies ist mir stets treu geblieben.”
Sie lachte laut. “Kannst du dir da so sicher sein?” Wieder ergriff sie seine Hand. “Wir können doch auch mal was Neues fernab der Heimat ausprobieren. Ich liebe brave, solide Männer, wie du einer bist, denn unter einem sanften Gemüt brodelt bestimmt ein heißer Vulkan.”
* * *
Endlich war Heinz-Jürgen samt Koffer und Bild aus dem Zug ausgestiegen. Er blickte suchend um sich.
Irgendwo musste es doch eine Möglichkeit geben, sich dieses Bildes zu entledigen, ohne dass es besonders auffiel. Er blickte halb amüsiert, halb erschüttert auf das rosa Einschlagpapier mit der pinkfarbenen Schleife darum.
“Ich hab ‘s für dich gemalt. Nur für dich. Weil ich meine, dass du eine Frau brauchst, die dir sagt, wo es langgeht, langgehen muss. Eine, die den Ton angibt”, hatte Gertrud gesäuselt und sich eine Träne abgetupft mit ihrem Spitzentaschentuch.
Dann schloss sich die Zugtür.
Zunächst wollte Heinz-Jürgen das Bild einfach in der Zug-Toilette stehen lassen, aber es passte nicht hinein in diese Enge.
Dann hatte er sich kurz auf einen Sitz gesetzt, war aufgestanden und gegangen.
“Hallo! Sie haben was vergessen!” Ein junger Mann eilte mit dem Kunstwerk im Gang zu ihm und sagte entschuldigend. “Mein Opa vergisst auch mal ab und zu was.”
Also stand er wieder da mit diesem ungeliebten Geschenk.
Und wenn er es einfach dem unfreundlichen Schaffner über den Kopf schlug? “Koffer UND Sperrmüll im Gang, das geht überhaupt nicht!”
‘Und stramm stehen!’, hatte Heinz-Jürgen gedacht, sagte aber, “Sie sind so nett, da will ich Ihnen gerne dieses Geschenk zukommen lassen.” Drückte es ihm in die Arme.
Der verdutzte Bahnangestellte setzte es abrupt ab, als könne er sich die Hände verbrennen und zischte, “Bestechung im Dienst, das geht überhaupt nicht.”
Nun also irrte er auf dem Bahnhof umher und suchte das Klo. Alte Bahnhofstoiletten waren zwar schmuddelig, aber geräumig. Platz genug, dieses Bild in einer der Kabinen zu deponieren.
Er könnte auch die Damen in der Bahnhofsmission mit dem Kunstwerk beglücken, überlegte Heinz-Jürgen kurz, verwarf den Gedanken aber schnell.
Just in dem Moment, als er die Klinke herunterdrücken wollte, rief jemand.
“Paps! Hie-hier! Hie-hier bin ich!”
Plötzlich stand Julia keuchend neben ihm. “Du kennst ja Mutt. Sie hat darauf bestanden, dass ich dich abhole.” Sie nahm ihm das Bild ab. “Ein Geschenk für Mutt? Oh, wie süß du das eingepackt hast! Da wird sie sich freuen.”
Ehe er antworten konnte, marschierte sie mit dem Bild unter ihrem Arm vorne weg. “Wir müssen uns beeilen, ich habe nur für fünfzehn Minuten die Parkuhr gefüttert.”
* * *
Es kam, wie es kommen musste!
Natürlich hatte Heinz-Jürgen es nicht geschafft, sich das Bild aus dem Kofferraum zu schnappen, um es in seiner kleinen Gartenwerksatt zu verstecken.
Stattdessen drückte Marlies es an sich und gab ihm zum Dank einen dicken Schmatzer auf die Wange.
Julia goss den Kaffee ein.
Marlies riss die Verpackung auf, drehte und wendete das Kunststück, wurde erst rot, dann blass, ihre Augen drohten aus den Augäpfeln zu springen, als sie schrie: “So ist das also! So siehst du unsere langjährige Ehe! Und ich habe immer gedacht, dass auch du glücklich bist!”
Marlies fiel rücklings auf das Sofa. “Du hast uns zur goldenen Hochzeit aus Kostengründen zwei Särge gezimmert! Du hast mir zum Geburtstag Parfum gekauft, das wie Klo-Reiniger gerochen hat! Auch das war in Ordnung! Du bist anstatt mit roten Rosen mit Friedhofsnelken am Muttertag vor mich getreten, auch okay”, japste sie, “aber mir nun mit diesem Bild den Wink mit dem Zaunpfahl zu geben, das ist dass Allerletzte!”
Heinz-Jürgen saß zusammengesunken im Sessel. “Es ist doch ganz anders. Du musst mich auch mal zu Wort kommen lassen.”
“Ach so ist das! Der gnädige Herr fühlt sich von mir unterdrückt und unterjocht, weil ich ihn angeblich NIE ausreden lasse!”
Die Tochter besah sich das Bild. “Hm. Eine Domina mit ‘ner Ratte als Haustier empfängt einen Kunden. Naive Malerei.”
Jetzt besah auch Heinz-Jürgen sich das Bild. Er schlug die Hände über den Kopf zusammen.
“Genau!”, keifte Marlies, “ich muss wirklich naiv gewesen sein, mit diesem Mann Jahrzehnte Tisch und Bett geteilt zu haben! Nun fühlt er sich mir unterlegen! Sehe ich aus wie eine herrschsüchtige Domina?”
“Mutt, nun reg dich nicht so auf! Die Dame auf dem Bild sieht wirklich nicht aus wie du!”
“Die sieht aus wie Gertrud!”, flutschte es aus Heinz-Jürgen heraus.
“WER IST GERTRUD?”
“Gert! Gert! Der Maler aus dem Kurpark! Sein Nachname ist Rot. Der sieht so aus, wie der auf dem Bild! Hat immer so schöne bunte Wiesenblumen gezeichnet! Und nun sowas!” Heinz-Jürgen wischte sich den Schweiß von der Stirn. “Für deine Frau, hat er gesagt. Ich habe das Motiv überhaupt nicht gesehen, das Bild war doch eingepackt!”
“Viel wert scheint es ja nicht zu sein”, meinte die Tochter, “und aufhängen wird Mutt es auch nicht.” Sie blickte Marlies an. “Oder?”
Die schüttelte vehement den Kopf.
“Ich hatte vom Motiv wirklich keine Ahnung”, sagte Heinz-Jürgen entschuldigend und setzte sich zu seiner Frau auf die Couch. “Ich fühle mich auch nicht unterdrückt.” Er nahm Marlies’ Hand und hauchte einen Kuss darauf.
“Obwohl”, Julia stand auf und beäugte ihr Eltern, “von außen betrachtet, ich quasi als neutrale Person, ich finde durchaus, Mutt, dass du Paps so dann und wann bevormundest, er eher der Devote in eurer Ehe ist und du die Dominante.”
“RAUS!, riefen Marlies und Heinz-Jürgen im Chor. “Und das Bild kannst du mitnehmen!”
©Anne Zeisig, END-Version
|
Letzte Aktualisierung: 26.09.2014 - 08.26 Uhr Dieser Text enthlt 8273 Zeichen. www.schreib-lust.de |