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vorgegebenes Bild | September 2014

Des einen Freud ...
von Monika Heil

»Tja, Herr Kollege, Dr. Freud hätte sozusagen seine Freude an diesem Machwerk.«
»Irgendwie kommt mir das bekannt vor.«
»Aber, aber, Dr. Manger, schlummern auch in Ihnen nicht ausgelebte Phantasien?«
»Bitte zur Sache, Herr Kollege. Ich habe nicht viel Zeit.«
»Hm, also für mich ist alles klar. Unser gemeinsamer Patient Holger Meerbusch behauptet, er habe mehrere Menschen getötet. Ich behaupte, er hat lediglich die Sexualität in sich getötet. Mein Gutachten kann kurz und klar ausfallen. Dieser Mann ist kein Mörder im eigentlichen Sinne.«
»Woraus schlussfolgern Sie das?«
»Was sehen wir denn in seinem während der letzten Sitzung gezeichneten Machwerk? Wir sehen einen Mann im schwarzen Anzug. Schwarz steht für Trauer. Richtig? Dieser Mann trauert um die von ihm selbst - und das ist wichtig: von ihm selbst - sozusagen abgeschnürte Sexualität. Der flüchtige Betrachter würde es Fesselung nennen. Dr. Freud spricht von schnüren im Sinne von abschnüren. Nicht zu vergleichen mit der Nabelschnur, die ja eine lockere Verbindung zur Frau, sprich Mutter, herstellt und nicht einengend schnürt.«
»Interessant.«
»Nicht wahr? Und dann - der Mann ist fast haarlos. Beraubt seiner männlichen Attraktivität.«
»Wohl eher dem Alter geschuldet.«
»Mitnichten, Herr Kollege. Die Wiedergabe des haarlosen Schopfes verweist auf die früheste Kindheit des Patienten. Sein glatter Kinderpopo sah genau so aus.«
»Und der Hut? Ein eindeutig männliches Symbol, will ich meinen.«
»Richtig, per se ein männliches Attribut. Hier jedoch mit einer sehr klaren Aussage. Der Hut geht hoch. Verdeckt die Blöße nicht, sondern verstärkt vielmehr den Widerspruch, der in dem Patienten tobt. Hut - männlich-erwachsen, Kopfhaut - früheste Kindheit. Wenn auch laut Freud die Sexualität bereits mit der Geburt beginnt ...«
»Trotzdem. Ich habe das Bild schon einmal gesehen. - Egal. Weiter im Text und, wenn irgend möglich, in Kurzfassung, denn ich muss mich leider bald verabschieden. Zwar ein privater Termin, doch ein sehr wichtiger.«
»Gut. Kommen wir zum weiblichen Anteil der Zeichnung. Auffallend ist, dass der Mann kleiner, unauffälliger wirkt. Er sieht sich selbst als Unterdrückter. Die Frau dagegen ist groß, opulent, rund. Sie strotzt vor Vitalität. Überhöht wird das Ganze durch ein Fabeltier in einem Käfig. Animalische Gefühle. Hier eindeutig in einen Käfig gesperrt, nicht geschnürt. Sichtbar. Vorhanden. Laut Freud ...«
»Wenn Sie bitte zum Abschluss kommen und mich dann entschuldigen würden, Herr Kollege. So spannend Ihre Ausführungen sind, meine Schwiegermutter hat zu einer Vernissage geladen und ich habe meiner Frau versprochen ...«
»Noch drei Minuten, bitte.«
»Einverstanden.«
»Die Frau also. Sie spuckt auf seine Gefühle. Das heißt, sie akzeptiert sie.«
»Aber die Peitsche!«
»Sehen Sie, Herr Kollege, das unterscheidet uns Psychologen von euch Internisten. Wir schauen in die Gedanken, die Gefühle, die Seele des Patienten. Ihr nur in die Körperteile des jeweiligen Fachbereiches. - Diese Peitsche peitscht nicht. Richtig? Also ist sie keine. Es ist die Schlange, die Verführerin im Paradies, also in den Händen des Weibes. In diesem Bild hier hat die Schlange allerdings ihre Suggestionskraft verloren. Sie hängt wie ein aufgedröseltes Seil ...«
»Jetzt hab´ich´s! Dieses Bild hängt im Original in der Galerie meiner Schwiegermutter, Dr. Sigrid Leid. Sie eröffnet in einer Stunde die neue Ausstellung von Brankando Mihosevic.«
»Ihre Frau ist eine geborene Leid und Ihre Schwiegermutter die bekannte Galeristin? Interessant. Das wusste ich gar nicht. Und wer ist Branko .. wie?«
»Machen Sie sich nichts draus, wenn Sie den nicht kennen. Obwohl meine Frau sagt, er sei der kommende Stern am Surrealistenhimmel. Ich bin - zugegeben - ein Kunstbanause. Deshalb geht meine Frau stets einen Tag vor der Vernissage mit mir durch die Räume und erklärt mir ihre Sicht auf die Arbeiten, damit ich bei dem Künstler später nicht ins Fettnäpfchen trete. Also Brankando Mihosevic hat in einem bisher nicht veröffentlichten Reigen von zwölf hochformatigen Bildern 24 Menschen in all ihren Stärken und Schwächen gemalt. Den Zyklus nennt er »Lebensmomente.«
»Das heißt, Meerbusch hat dieses Bild nie gesehen. Und er hat es dennoch, also eigenständig, gemalt? Branko reloadet, sozusagen?«
»Brankando.«
»Interessant. Da muss ich unbedingt noch einmal die entsprechende Fachliteratur bei Freud durchforsten. Ob er dieses Phänomen erklären kann?«
»Entschuldigen Sie mich einen Moment? Ich muss kurz mal telefonieren.«
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»Bingo! Holger Meerbusch sagt - bildlich gesehen - die Wahrheit. Dieser kleine Irre ...«
»Ich muss doch sehr bitten, Herr Kollege ...«
»dieser kleine Irre hat tatsächlich 24 Menschen aufgehängt. Meine Schwiegermutter bestätigte mir gerade, dass ein Holger Meerbusch in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme des Arbeitsamtes für eine Woche bei der Anbringung der Werke von Brankando Mihosevic geholfen hat. Er hat diese Bilder für sie aufgehängt. Das heißt für mich: er kennt dieses Bild, er hat es nachgemalt und Sie, verehrter Herr Kollege, - ich drücke es mal vorsichtig aus - auf den Arm genommen.«
»Das bedeutet dann - nicht auszudenken - das bedeutet dann, ich habe die Gefühlswelt dieses Brandanko Sowienoch beleuchtet und nicht dieses kleinen Schlawiners, der allerdings ein genialer Fälscher zu sein scheint. Ein Fälscher von Gefühlen, versteht sich.«
»Na dann wünsche ich viel Spaß bei der Abfassung eines neuen Gutachtens. Ich gehe jetzt, den Künstler und seine Werke feiern.«
»Waaas? Dieser Brankando Mihosevic ist heute Abend bei dieser Vernissage persönlich anwesend? Herr Kollege, ich komme mit. Den Mann will ich kennenlernen.«
»Aber gerne doch. Meine Schwiegermutter freut sich über jeden Gast, Herr Kollege.«
»Ich hole nur schnell meinen Mantel.«

Version 2

Letzte Aktualisierung: 27.09.2014 - 10.48 Uhr
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