Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Traumzeit | Oktober 2014
GemeinschaftsgefĂŒhl
von Anne Zeisig

Ich wĂ€lze mich gequĂ€lt aus dem Bett und stemme beide HĂ€nde in die HĂŒften, bevor ich aufstehe. Meine FĂŒĂŸe tasten nach den Hausschuhen und mit zusammengekniffenen Augen suche ich den Nachttisch nach meiner Brille ab. Hangele nach ihr.
“Du stöhnst wie ein altes Walross”, sagt meine bessere EhehĂ€lfte und hĂŒpft voller Elan aus dem Bett.
“Wir benötigen neue Matratzen”, stelle ich fest. “Die alten maltrĂ€tieren meinen RĂŒcken.”
Nun schlĂŒpfe ich in meinen Bademantel und schlurfe in die KĂŒche. Dabei halte ich meine WirbelsĂ€ule möglichst steif, aus Angst, dass Bewegung abermals Schmerz auslösen könnte.
“Mach dich mal locker”, rĂ€t mein Mann. “Du gehst, als hĂ€ttest du einen Besenstiel verschluckt. Da muss man ja Schmerzen haben.”
“Heute Nachmittag kaufen wir neue Matratzen”, beschließe ich.
“Eine”, kontert er, “meine ist okay. Außerdem haben wir erst neue gekauft. So alt sind die also nicht.”
Ich setze mich vorsichtig auf den KĂŒchenstuhl.
“Sie sind zehn Jahre alt!”
“Höchstens fĂŒnf! Das Auto ist zehn Jahre alt.”
Er muss es mal wieder besser wissen als ich.
“In dem Jahr, wo wir das Auto erworben haben, haben wir auch die Matratzen gekauft! Da war nĂ€mlich der Sparvertrag abgelaufen.”
“Wenn ich an diese Niedrigzinsphase denke, bekomme ich heute noch AlptrĂ€ume.”
Die Kaffeemaschine gurgelt vor sich hin.
“Und ich habe AlptrĂ€ume, weil mir eine orthopĂ€dische Matratze fehlt. Im neuen City-Center gibt es den Laden “Traumzeit-Betten-Und-Mehr.”
Endlich ist der Tisch gedeckt.
“Wetten! Die lassen sich die Zeit des TrĂ€umens mit ĂŒberhöhten Preisen honorieren. Damals haben wir im “Matratzenlager” die Tonnentaschenfederkernmatratzen ausgesucht, Verbrauchertest Sehr-Gut. Und sie tun immer noch ihre Dienste.”

Ich lasse mich jedoch nicht von meinem Vorhaben abbringen.
NatĂŒrlich ist mir bei dem Gedanken, nur eine Matratze zu kaufen, etwas mulmig zumute.
Fast kommt mir das vor wie “Getrennt-Von-Tisch-Und-Bett”, wo es nun eine Gemeinsamkeit weniger gĂ€be.
Ist das etwa der Anfang vom Ende?
Was wĂŒrde als nĂ€chstes folgen?
Ich trĂ€nke weiterhin aus unseren braunen Kaffeepötten und mein Mann aus einer weißen Schnabeltasse?
Quatsch!
Wir sind gerade mal Mitte bis Ende sechzig, und was bei mir der RĂŒcken ist, ist bei meinem Mann der Magen.
Ich trinke aus SolidaritĂ€t magenmilden Kaffee, obwohl ich‘s nicht brĂ€uchte.
Ich verzichte auf Essig im Salat, verwende Zitronensaft.
Ich dĂŒnste alles und verzichte aufs Braten, obwohl ich Röstaromen liebe.
Da kann ich doch erwarten, dass er auch auf einer neuen orthopÀdischen Matratze schlÀft!
Mir zuliebe!
Wegen des GemeinschaftsgefĂŒhls, was wichtiger wird, je lĂ€nger eine Ehe andauert.
“Kauf dir doch die fĂŒr dich passende Matratze. Ich behalte meine, da weiß ich, was ich habe, auf ihr fĂŒhle ich mich wohl, habe wunderbare TrĂ€ume und basta.”
Mein Siggi und trÀumen? Das ist ja was ganz Neues!
“Was sind das denn fĂŒr TrĂ€ume?”
“TrĂ€ume eben. Was man halt so trĂ€umt.”
“Du hast mir noch nie erzĂ€hlt, dass du nachts wun-der-ba-re TrĂ€ume hast.”
Er schlĂŒrft seelenruhig aus seiner Schnabel, Ă€h, Tasse, dem Kaffeepott. “Ich erinnere mich morgens nicht mehr an meine TrĂ€ume.”
“Und woher weißt du, dass das wun-der-ba-re TrĂ€ume waren?”
“Weil ich ausgeruht und frisch aufwache.”
“Aha. So einfach ist das.”
Mein Mann nickt und beißt ins Marmeladenbrötchen. “Ist die KonfitĂŒre auch nicht zu sĂ€uerlich? Du weißt ja, mein Magen.” Er legt seine linke Hand auf den Oberbauch.
“Du solltest endlich einen Arzt aufsuchen.”
“Muss ich nicht. Mit der entsprechenden ErnĂ€hrung geht es mir gut.”
Meinem RĂŒcken ginge es mit der passenden Matratze auch besser.
Aber Siggi sitzt da und tut, als wenn nichts wÀre.
“Das machst du extra!”
“Schmatze ich etwa wieder? ‘tschuldigung.” Er kaut weiter.
“Du sperrst dich extra gegen eine neue Matratze, weil du keinen Wert auf Gemeinsamkeit legst! Du hast keinen Sinn fĂŒr Tradition!”
Oh nein. Das sind keine TrÀnen. Ich kriege immer feuchte Augen, wenn ich mich aufrege.
“Was hat eine neue Matratze mit Tradition und Gemeinsamkeit zu tun?”
“Wir haben immer beide Matratzen erneuert! Immer! Und nun soll das anders sein?”
Siggi legt sein Besteck zur Seite. ”Jawohl, nun ist das anders, weil nur du eine Neue benötigst. Du machst immer viel zu viel Trara um Nichts.”

* * *

Ich gebe es zu!
Die Aufmerksamkeit des jungen VerkĂ€ufers im “Traumzeit-Betten-Und-Mehr-Store” tut mir gut.
Auch fĂŒhle ich mich wohlig eingelullt von ‘Mozarts Kleiner Nachtmusik’, welche dezent im Hintergrund ertönt.
Er rĂ€kelt sich lasziv auf einer Matratze mit viscoelastischem Hartschaumkern und sĂ€uselt mit testosonorer Stimme, dass sie auch allergikergeeignet sei wegen der integrierten Milbensperre im Mikrofaserbezug. Nun rollt er sich vom RĂŒcken auf den Bauch und erklĂ€rt, der Bezug ist zudem kochfest, sei also fĂŒr Menschen geeignet, die unter Inkonsistenz leiden.
“Nicht, dass Sie mich falsch verstehen.” Er bringt sich in eine stabile Seitenlage und zeigt mir zwei kariesfreie Zahnreihen. Seine Samtaugen vervollstĂ€ndigen das Klischee eines gut aussehenden jungen Mannes. “In Ihrem Alter geht es sicherlich nicht um irgendwelche Gebrechen, sondern um Vorbeugung.”
FĂŒr diesen Satz könnte ich ihn sofort kĂŒssen.
Er weiß ja nicht, dass ich manchmal inkonsequent bin. Aber nur, wenn ich stark huste.
Wie gerne wĂŒrde ich durch seine haselnussbraune Lockenpracht wuseln, mein Haupt auf seine feste behaarte Brust ablegen, einmal tief durchatmen, meinen RĂŒcken vergessen und ebenso den Magen meines Mannes.
“Außerdem”, sĂ€uselt er geflissentlich weiter, “gibt es sieben Zonen auf dieser Matratze. FĂŒr jeden Körperteil eine eigene in unterschiedlicher Festigkeit.”
In der Luft liegt ein Hauch von Moschus und Amber.
Meine Geruchsknospen sind in Alarmbereitschaft.
Wie heißt doch noch gleich dieser mĂ€nnliche Duft? ‘Prado’! Ich atme tiiiief ein.
Mir wird heiß.
“Wir verkaufen nicht nur Matratzen, wir vermitteln ein LebensgefĂŒhl. Life-Style-To-Night, sozusagen.”
‘To- Night-to-Night-sweet-Dreams-to-Night’, summe ich gedanklich und befehle mich abrupt zurĂŒck in die RealitĂ€t.
“Nachts habe ich keine Probleme, aber morgens, wenn mein RĂŒcken ... “
Er lĂ€sst mich nicht ausreden, hechtet neben mich und wirf sich auf die nĂ€chste Schlafgelegenheit. “Dann ist unser Porsche genau das Richtige fĂŒr Sie! Ein Boxspringbett!”
Ich erfahre, dass es eine Unterbox mit Taschenfederkernpolsterung hat, darauf liegt eine Obermatratze aus Microtaschenfederkern und als letzte Lage ist der MediGelTopper aufgebracht. “Antibakteriell.” Die Matratze habe HĂ€rtegrad zwei und drei. Er mustert mich. “Das mĂŒsste hinkommen. Sie wiegen in etwa siebzig Kilo?”
Wie schmeichelhaft.
“Gibt es in den unterschiedlichsten Farben! Der Stoff ist geruchsneutral. Das mĂŒssen Sie ausprobieren.”
Bin ich froh, dass ER nicht geruchsneutral ist und nehme noch einmal tief einatmend eine Prise in mich auf.
Plötzlich reißt er mich neben sich auf den Porsche. “Gegen Aufpreis gibt es noch die elektrische motorische Verstellung. Alles ist druckentlastend und körperunterstĂŒtzend. Aber ohne Beimöbel.”
Was? Hat der gerade Beischlaf gesagt?
“Die Beimöbel gehen Extra. NachtschrĂ€nkchen zum Beispiel. Auch Klemmleuchte und Plaid, das Beiwerk halt.”
“Aha.” Brauche ich nicht. Wir haben NachtschrĂ€nkchen. Außerdem kommen die eh nicht mit meinem RĂŒcken in Kontakt.
Es surrt, brummt und vibriert unter mir.
Das Fußteil hebt sich nun aufwĂ€rts und das Kopfteil senkt sich ab.
Mein Lendenwirbel knackt. Oder mehrere, das kann ich in dem Moment nicht sagen.
“Und?”, fragt er mich, “ist das ein Traum von einem Bett? Da möchte man ĂŒberhaupt nicht mehr aufstehen.”
Selbst wenn ich wollte ...
Bevor mir fĂŒnf VerkĂ€ufer hoch helfen, werden eiligst SichtschutzwĂ€nde um mich und das Porschebett aufgebaut, denn vermutlich gebe ich nicht die beste Werbung dafĂŒr ab.

* * *

Eine neue Matratze habe ich im “Matratzenlager” gekauft.
Damit das GemeinschaftsgefĂŒhl nicht leidet, frĂŒhstĂŒcken wir jetzt immer im Bett.
Ich lehne meinen Kopf an die starke Schulter meines Mannes. Das entlastet meinen RĂŒcken und zum Beruhigen von Siggis nervösem Magen lĂ€uft im Hintergrund der ‘Sommernachtstraum’.

Man muss auch mal gewohnte Ehepfade verlassen können!


©Anne Z. Fassung ZWEI

Letzte Aktualisierung: 12.10.2014 - 18.02 Uhr
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