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Traumzeit | Oktober 2014

Ein Wintermorgen oder: Wenn Träume endlich wahr werden
von Glädja Skriva

Er rührte in der Tasse, bis sich die Sahnewölkchen verflüchtigten, dann legte er den Löffel gedankenverloren neben die Untertasse. Normalerweise liebte Ernst die ruhigen Stunden am Morgen. Wie hatte er es immer genossen mit Greta hier zu sitzen, in dem bequemen Sessel mit dem Geruch von Plüsch und frischer Zigarre, vor sich den dampfenden Kaffee und das deftige Schwarzbrot mit der selbstgemachten Marmelade. Aus Himbeeren, die Greta immer einsammelte, abends, im Garten, wenn die Hitze etwas nachgelassen hatte. Sie, in ihrem Sommerkleid mit den großen, bunten Blumen, die immer hinter den Büschen hervorleuchteten und dem ausladenden Sommerhut, der zwischen den Bäumen hin- und herwogte. Wie sie immer beim Pflücken gutgelaunt summte ...

In der Erinnerung drehte er den Ring, vielmehr, versuchte er den Ring zu drehen, den er dann doch abgelegt hatte, damals, in Südtirol, nach einer Reise, auf die Gretas Schulkameradin mitgekommen war. Elsbeth. Die zwei unzertrennlichen Freundinnen, wie sie gegensätzlicher nicht sein konnten. Greta, die seine Liebe für den Garten teilte. Ein wenig hausmütterlich und einfach gestrickt und Elsbeth. Mondän, geheimnisvoll in ihrem Seitenblick, der ihn nur kurz streifen musste, um alle Phantasien und Träume in ihm zu entfachen.

Als Greta und er zurückkamen, ging es nicht mehr: Der gemeinsame Blick morgens in den Garten. Das Frühstück zu zweit; früher lebhaft und vertraut, wurde plötzlich unbehaglich. Alles hatte seinen Wert, seine Bedeutung verloren. So hatte er dann Elsbeth geheiratet. Sein süßes Abenteuer.

Ernst wurde aus seinen Gedanken gerissen, als es raschelte: „Elsbeth“, rief er, „bist du es?“ Er hörte ihre schlurfenden Schritte. Früher hatte er darauf gewartet. Jeden Morgen. Er konnte es kaum abwarten, ihre schlanken, langen Beine unter dem aufgeworfenen Hauch eines übergeworfenen Nichts zu entdecken. Zentimeter für Zentimeter.

Auch heute würde sie bald zu ihm in den Wintergarten kommen, in dem Bademantel, längst verblichen und nachlässig übergeworfen. Darüber ihre zerknautschten Haare, die in langen Strähnen herunterhingen. Die feurige, rote Kunstblume, die sie immer apart in ihre pechschwarze Mähne gesteckt hatte, lag längst irgendwo auf dem Flurboden oder unter dem Stuhl herum. Vielleicht auch wieder im Brotkorb. Dort, wo sie diese vergessen hatte. Irgendwann. Immer öfter. Ihre Bewegungen waren fahriger geworden. Ihr Blick streifte ihn nur noch verloren und den Duft des Gartens hatte sie niemals an sich gehabt. Verblüht, wie eine Dahlie an einem Wintermorgen.

Aber er blieb bei ihr. Er wollte, dass ihm das Wenige ausreicht: Morgens, der Kaffee mit den Sahnehäubchen, der Blick in den Garten und ab und zu die Erinnerung an ihre Zeit in Südtirol, als sie aufeinander hungrig gewesen waren und sie sich trafen, heimlich, mit einem schlechten Gewissen, nur für einen Augenblick, ohne dass es Greta wissen durfte – und es doch ahnte.

Augenblicke, die er meinte, für immer konservieren zu können und die sich dann doch verloren, in dem Bademantel und den strähnigen Haaren. Dennoch, er wäre geblieben, wenn – wenn da nicht gestern der Befund des Arztes ihm das Letzte genommen hätte: „Schmerzen – und ... wenige Wochen nur noch.“

Er konnte sich kaum erinnern, wie er heimkam, die Gedanken wie durch einen Nebel, und er zusammengesunken in diesem Sessel saß. Nichts sagen konnte. Gar nichts. Wem auch? Elsbeth hätte es ja doch nicht verstanden. Und wie er dabei die Hände in den Schoß faltete und plötzlich wieder den Ring spürte, den er damals mit Greta trug und er sie anrief. Irgendwann. In der Nacht. Stockend. Nach Worte suchend und sie nicht viel sagte. Nur leise, dass sie kommen würde. Heute ...

Als es klingelte, blieb er sitzen, lange sitzen in seinem Sessel, bis er ging, um zu öffnen. Seine Schritte schlurften und er erinnerte sich wieder an Greta, wie sie damals den Korb hereingebracht hatte mit den Äpfeln vom Garten. Kuchen wollte sie backen und er hatte sie nur angeherrscht, weil er sie damals nicht mehr wollte. Nicht mehr sie und all das, was alles so berechenbar schien wie die Erntezeit der Äpfel. Und er ihr all das nahm und sich und ihre Freundin noch dazu:

„Greta, ich ...“

Sie drückte ihm die Hand. Er spürte den Abdruck ihres Ringes. „Wo sagst du, ist Elsbeth? Sie wird eine Freundin brauchen. Nicht wahr, Ernst?“ Sie nahm ihren Hut und legte ihn auf der Kommode ab, neben der Obstschale, so, wie sie es immer tat.


P.S./Glädja Skriva/Oktober 2014/3.Version

Letzte Aktualisierung: 27.10.2014 - 20.13 Uhr
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