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Traumzeit | Oktober 2014

Dunkle Wolken am Horizont
von Klaus Freise

„ … dann erwachte ich schweißgebadet im meiner Koje.“ Als der Schiffszimmermann William Hancock seine Geschichte beendet hatte, starrte die Crew der H.M.S. „Summit“ ihn mit offenen Mündern an. Nur das Ächzen und Knarren der Spannten war im Quartier zu hören.
Der Geruch von Tee und Tabak wurde allmählich vom Schweiß der Männer, die dicht zusammengekauert beieinander saßen, überlagert. Angstschweiß.
Hump Davis, der Lademeister fand als erster die Sprache wieder. Er nahm seine erloschene Elfenbeinpfeife aus dem Mund und flüsterte:
„Und du glaubst dein Albtraum wird wahr?“
William beugte sich vor, im flackernden Kerzenschein wirkte sein faltiges Gesicht wie eine Dämonenfratze. Er hob seine schwieligen Hände und sagte beschwörend:
„Wenn ich es euch doch sage, der Alte wird uns direkt ins Verderben führen. Behalten wir diesen Kurs bei, ist das unser aller Untergang.“ Er ließ sich seufzend gegen einen Ballen Tee sinken und fügte hinzu:
„Keiner, sage ich euch, wird so ein Unwetter überleben.“
Der schwarze Lockenkopf des Schiffsjungen Noah drängte sich zwischen den ehrfürchtig dreinblickenden Männern hindurch. In dem schummerigen Zwielicht blitzten seine Zähne im dunklen Gesicht auf, als er ängstlich hervorstieß:
„Mister Hancock, hast du gesehen in deinem Traum, wie kleiner Noah wird überleben?“
Doch der Zimmermann winkte nur ab.
„Keiner, mein kleiner schwarzer Teufel, wird das überleben. Das Schiff, zerschlagen, von Brechern so hoch wie ein Berg. Und die Masten, zersplittert, wie Zahnstocher.“ Dann straffte er sich und sagte:
„Ihr wisst, Männer, ich habe noch nie so einen Traum gehabt, so intensiv, wie diesen. Deshalb sage ich euch: Das Ruder muss rum. Kurs Nordwest.“
Der alte Hump hatte seine Pfeife wieder gestopft und paffte eine Wolke in die Runde.
„Nun mach mal halblang, Will. Sollten wir mal mit dem Ersten Offizier reden? Vielleicht kann Master Pearce dem Alten mal ins Gemüt reden.“
Noah nickte eifrig und es erhob sich ein Gemurmel unter den Männern. Da sprach der Segelmacher resigniert:
„Pah, das könnt Ihr vergessen. Pearce kuscht doch auch nur vor dem Alten. Wisst Ihr noch in Sumatra? Zehn Hiebe mit der Neunschwänzigen, für jeden der nicht spurt. Der Alte kennt kein Pardon. Nein, für deinen Traum ändert der keinen Kurs der Welt.“
„Genau“, setzte Hancock hinzu. „Es gibt nur eine Lösung.“ Er senkte die Stimme und beugte sich vor. „Passt auf Männer, ich habe einen Plan. Morgen früh, gleich nach der Hundewache, machen wir folgendes …“

Am Mittag des nächsten Tages war alles vorbei. Captain Willard stand auf dem Achterdeck. Neben sich seine Offiziere. Alle mit Musketen bewaffnet. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Die Knöpfe seiner Uniform glänzten in der Sonne.
Mit durchdringender Stimme, so kalt wie Stahl, rief er:
„Disziplin, Männer.“ Er hob den Zeigerfinger seiner Rechten zum Himmel. „ Disziplin, Respekt und unbedingter Gehorsam sind die Voraussetzung für das Überleben auf See. Wer auf meinem Schiff eine dieser Tugenden missachtet, ja sogar zur Meuterei anstiftet, der wird mit aller Härte im Namen Gottes und der Admiralität seiner Majestät bestraft.“ Er schritt an den Niedergang unter dem sich die Mannschaft bei jedem Wort zusammenduckte. Seine ausgestreckte Hand deutete zu den Wanten, an den der halbnackte Schiffszimmermann gebunden war.
„Dieser Mann, William Hancock, hat sich eines der schlimmsten Verbrechen auf See schuldig gemacht.“ Captain Willard machte eine Pause, dann ruckte sein Kopf mit der Adlernase nach vorne und Speichel sprühte aus seinem Mund, als er brüllte:
„Meuterei! Eines der schlimmsten Übel der Seefahrt. Darauf steht der Galgen.“ Er trat einen Schritt zurück, verschränkte wieder die Hände und wippte auf den Fußballen.
„Aber, Männer, da es sich um Anstiftung handelt und die Meuterei dank unseres ersten Offiziers, Master Pearce rechtzeitig verhindert werden konnte, werde ich Gnade vor Recht ergehen lassen. Zwanzig Hiebe werden genügen, denke ich.“ Ein Raunen des Unmuts ging durch die Mannschaft. Der Captain hob die Hand.
„Nun, Mister Davis, vollstrecken Sie das Urteil. Denkt dran Männer: Wer sich meinen Befehlen widersetzt, widersetzt sich Gott.“
Bevor Hump Davis den ersten Hieb tat, murmelte er leise: „Tut mir Leid, Will.“
Die Mannschaft zuckte bei jedem Schlag zusammen, der von einem Aufheulen des Zimmermanns begleitet wurde. Während die Peitsche den Rücken mit blutigen Striemen überzog, sank bei der Mannschaft mit jedem Schlag der Widerstand gegen Captain Willard.

Am Abend standen Captain Willard und Master Pearce am Achterdeck an der Reling. Pearce deutete mit dem Fernrohr nach Westen.
„Verdammt, Captain, da braut sich ganz schön was zusammen.“ Am Horizont stand eine dunkle Wolkenfront. Schwarze Berge türmten sich über mehrere Meilen auf, unter denen Blitze zum Meeresspiegel zuckten. Der Wind schlug in heftigen Böen in die Segel. Willard stieß sich von der Reling ab und sagte:
„Lassen Sie die Großsegel einholen. Reffen Sie die Marssegel. Alle Mann in die Wanten.“
Kaum hatte Pearce die Befehle ausführen lassen, brach der Sturm los.
Die Blöcke knarrten, Spannten ächzten. Auf den Mastspitzen bildeten sich Elmsfeuer. Blitze zuckten durch die Takelage und versetzten die Mannschaft in helle Panik. Taue wurden gespannt an denen sich die Mannschaft über das Deck hangelte um den Sturm zu widerstehen. Zwischen ihnen flitzte Noah hindurch und wurde von Hump Davis am Arm gepackt.
"Was zum Teufel tust du hier, Junge?"
Noah starrte ihn mit aufgerissenen Augen an und schrie gegen den Donner an.
"Ist es das, Mister Davis? Ist das das Ende, wie Mister Hancock geträumt hat?"
"Ja mein Junge, es sieht ganz so aus und jetzt versteck dich in einem Fass unter Deck. Los mach, Junge."
Vier Mann versuchten am Ruder das Schiff auf Kurs zu halten. Die Gischt schlug über das Vorschiff. Die letzten Segel zerplatzten, wurden fortgerissen. Die Taue der Takelage fetzten wütend über durch die Luft. Der Regen peitschte die Männer fast vom Deck. Keiner der nicht völlig durchnässt um sein Leben fürchtete. Immer wieder wurde das Schiff vor und zurück geworfen, niemand konnte sich mehr auf den Beinen halten. Die „H.M.S. Summit“ stampfte sich die Wellenberge hinauf, blieb Sekunden auf der Krone hängen, um dann in tosender Fahrt in das Wellental zu stürzen. Der Aufprall war so heftig, dass die Masten zitterten und der Bugspriet mit der Gallionsfigur zersplitterten.
Pearce brüllte:
„Das macht sie nicht mehr lange mit, Captain, Gott steh uns bei.“
Doch Captain Willard hielt sich mit einer Hand am Ruder fest, während er die Faust drohend zum Himmel schüttelte und brüllte:
"Da ist kein Gott mehr."
In diesem Moment fuhr ein Brecher so hoch wie ein Berg über das Schiff und zersplitterte die Masten wie Zahnstocher.

Meldung im „Londoner Independent“:
„H.M.S. Summit unter Captain Willard in stürmischer See mit Mannschaft gesunken. Schiffsjunge überlebt als einziger und wird nach zwei Tagen auf hoher See von Walfänger gerettet.“



Klaus Freise, Version 2

Letzte Aktualisierung: 27.10.2014 - 20.18 Uhr
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