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Verdorben | November 2014

Pizza Salmonella
von Ingo Pietsch

Bei Kerzenschein und ruhiger Mandolinenmusik saßen sich Armin und Nikki gegenüber. Ihr drittes Date hatte sie zu einem Italiener geführt.
Armin nippte an seinem Glas und nickte Nikki immer wieder zu. Er hörte nicht immer genau zu, was sie sagte, denn sie redete ziemlich viel - Gegensatz zu ihm.
Nikki entsprach nicht dem allgemeinen Schönheitsideal: Sie war mollig und anscheinend schminkte sie sich nicht oft, denn das Make-up wirkte ein wenig übertrieben.
Armin störte das aber nicht, er fand sie einfach hübsch. Und sympathisch. Er konnte mit ihr Reden, Lachen und in ihrer Gegenwart fühlte er sich wohl.
Auch Armin war nicht perfekt. Ein halbwegs durchtrainierten Körper, aber seine Haare gingen schon sehr weit zurück und Schüchternheit prägte sein Verhalten.
Als Abteilungsleiter in einem Supermarkt konnte er super mit Kunden umgehen, aber mit Frauen, besonders mit denen, die er interessant fand, klappte das überhaupt nicht.
Nikki ging es ähnlich: Als Bürokauffrau telefonierte sie häufig und konnte gut mit Gesprächspartnern reden.
So hatten sie sich auch kennen gelernt: Am Telefon. Armin hatte ihre Stimme mehr als angenehm empfunden und sie spaßeshalber zum Essen eingeladen.
Beide kamen selten aus ihren vier Wänden, auch wenn Bekannte sie mitschleppten. Aber die Angst vor Enttäuschungen überwog alles.
Nikkis Selbstbewusstsein hatte nach ihrer letzten Beziehung einen ziemlichen Knacks erlitten.
Armin traute sich nicht den nächsten Schritt zu tun.
Nach ihrem zweiten Date hatte Nikki ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange gegeben.
Seitdem deutete er ihr Lächeln, ihren Lidschlag oder wie sie sich mit dem Finger durch die Haare fuhr, dass auch sie mehr wollte.
Auch Nikki empfand so. Armins Antworten auf Fragen kamen ihr nicht mehr so neutral vor und er lachte auch nicht mehr über schlechte Witze, nur um zu gefallen.
Sie spürte seine Zurückhaltung. Schließlich nahm sie all ihren Mut zusammen und riskierte etwas, dass sie normalerweise nicht machte: Sie lehnte sich ein Stück zurück und schlüpfte mit dem Fuß aus ihrem Pump. Langsam wanderte ihr großer Zeh an seinem Knöchel nach oben. Sie hatte keine Angst erwischt zu werden, da die Tischdecke fast bis zum Boden reichte.
Armin zuckte fast unmerklich zusammen, als er ihre Berührung spürte.
Nikki wartete die Reaktion ab und ihr Zeh strich weiter an seiner Wade bis zum Knie entlang. Weiter wollte sie nicht gehen.
Armin legte sein Besteck beiseite, sah auf die Uhr und blickte ihr in die Augen: „Wollen wir noch spazieren gehen?“
Sie lächelte ihn an und wollte ihm antworten.
Ein Kellner drängte sich an ihr vorbei und schubste sie ein Stück nach vorn.
Unbeabsichtigt stieß sie mit ihrem Fuß in seinen Schritt.
Er hielt die Luft an, hob seinen Arm und sagte mit viel zu hoher Stimme: „Zahlen bitte!“

Die beiden schlenderten noch ein wenig durch die Innenstadt, aßen Schmalzgebäck, tranken Milchshakes und gelangten schließlich zu dem Haus, indem sich Nikkis Wohnung befand.
„Kommst du noch auf einen warmen Kakao mit nach oben?“, fragte sie.
„Gerne, aber wir sollten nichts überstürzen. Ich habe dich mehr als gern und möchte dich einfach nicht verlieren.“
Nikki ging einen Schritt zurück: „Du bist doch nicht so ein komischer Typ, der auf ausgefallene Sachen steht?“
Armin verzog das Gesicht. „Sehe ich etwa so aus?“, fragte er und bereute die Frage gleich wieder. „Nein, ich bin nur jemand, der nur kuscheln möchte.“
Nikki fühlte Vertrauen zu ihm. Das war schon mehr als Zuneigung. Sie schloss die Tür auf: „Hereinspaziert!“
Armin spürte ein Flattern in der Magengegend. Er hoffte, dass es Schmetterlinge waren.
Auch bei Nikki grummelte es gefährlich, aber sie dachte das Gleiche wie Armin.

Armin hängte seine Jacke weg und Nikki setzte einen Milchtopf auf.
„Entschuldige, aber ich habe nicht aufgeräumt“, sagte sie in nervösem Ton.
Sie bereitete zwei Tassen vor.
Armin sah sich in der Wohnküche um: Überall standen kleine Katzenfiguren und hingen Bilder von Kindern und einer Familie – der Ähnlichkeit der Frau nach zu urteilen war es ihre Schwester.
Alles war sehr ordentlich und Armin fragte sich, was sie wohl meinte.
„Setz dich doch.“ Nikki schaltete ein Radio ein. Rein zufällig lief ein Schmusesong.
Eine Papierstehlampe spendete gemütliches Licht.
Er nahm auf dem schwarzen Ledersofa platz. Armins Magen meldete sich wieder, seine Hände wurden feucht und irgendwie war ihm schwindelig.
Er atmete tief durch. Er roch ein angenehmes Parfum und musste gleichzeitig aufstoßen. Ein undefinierbarer Geschmack breitete sich in seinem Mund aus. Armins Hände krallten sich in das Polster. Ausgerechnet jetzt!
„Alles OK? Du wirkst angespannt“, bemerkte sie. Sie fasste an ihren Bauch. Das Grummeln von eben war schlimmer geworden. Sie musste pupsen und versuchte so leise wie möglich zu sein. Sie fühlte, wie ihr Gesicht rot wurde und schaltete in ihrer Not die Abzugshaube ein.
Armin sah sie an und sagte mit zusammengepressten Zähnen: „Es ging mir nie besser. Du bist ganz rot im Gesicht. Ist mir dir denn alles in Ordnung?“ Er hustete ein paar Mal und saß mit aufgeblasenen Wangen da.
„Ich, ich, ich bin nur ein bisschen nervös“, stotterte Nikki. „Das ist der Dampf von der Milch“, versuchte sie sich herauszureden. Sie spürte auf einmal, dass ihr Furz nicht nur aus Gasen bestand.
„Ich muss mich nur mal kurz frisch machen!“ Nikki rannte ins Badezimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
Eine infernale Kakophonie erfüllte die Wohnung. Nikki schämte sich in Grund und Boden. Sie dachte an Armin und hoffte, dass er noch da war, falls sie jemals wieder vom Klo herunterkommen würde.
Armin hörte weder den Lovesong, noch Nikkis Kampf mit der Toilette.
Er hatte einen ungeheuren Druck im Kopf und spürte wie die Magensäure immer höher stieg. Er hielt es nicht mehr aus, sprang auf und folgte Nikki ins Badezimmer.
Mit schreckgeweiteten Augen bedeckte sie ihre Blöße mit einem Handtuch.
Armin hielt sich die Hand vor den Mund und sah sich hektisch um: Toilette besetzt - Waschbecken oder Duschkabine?
Waschbecken. Armin stürzte vor und verhedderte sich im Teppich. Er stürzte nach vorn, direkt auf Nikki zu – das Unheil nahm seinen Lauf.
Ein Aaah, Ohhh und das Piepen des Rauchmelders in der Küche mischten sich zu einem grauenvollen Ton.

Armin und Nikki sind heute glücklich miteinander verheiratet und haben zwei Kinder.

Letzte Aktualisierung: 26.11.2014 - 21.29 Uhr
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