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Verdorben | November 2014

Der burmesische Karpfen
von Jochen Ruscheweyh

Klara legte die Stäbchen zur Seite und sagte: „Das taugt doch nichts. Ich brauche eine Gabel!“
Max sah sie an, wischte sich ein Stück Mie-Nudel von der Lippe und kaute weiter.
„Wo versteckst du dein Besteck?“, hörte er sie sagen.
„Im der Küche, tweite Fublade limps.“
Karla schnaubte leise, aber dennoch hörbar, stand auf und ging in die Küche.
„Soll ich dir helfen?“ rief er hinterher, nachdem er fertiggekaut hatte.
„Ach lass, ich hab schon“, kam es zurück.

„Besteck-Versteck wäre ein guter Name für diese IKEA Küchenschubladen-Einsätze“, sagte er, als Klara wieder Platz nahm.
„Deine Küche, die könntest du auch mal wieder tapezieren“, erwiderte sie.
„Ich hatte in letzter Zeit viel um die Ohren und ...“, begann er, aber Klara fiel ihm ins Wort: „Was machst du an Sport?“
Max klemmte ein paar Nudeln und etwas Fisch mit den Stäbchen ein und sagte: „Ein bisschen Minigolf und ab und zu Fußball.“
„Das sind aber keine Kardio-Sportarten“, hielt sie fest.
„Nein, das stimmt“, antwortete er, und führte die Stäbchen zielsicher und ohne etwas zu verlieren zum Mund.
„Weißt du, was mir gleich an dir gefallen hat, als ich dein Bild gesehen habe?“, sie zeigte auf die Anzeige mit seinem Konterfei, die sie rot eingekreist hatte.
„Hmm, was denn?“, fragte er.
„Du bist ganz bei dir.“
„Aha“, antwortete er.
Klara stocherte ein wenig in ihren Nudeln herum und schob die Pappverpackung zur Seite. „Und was gefällt dir an mir?“
Er überlegte einen Moment. „Das ist schwer zu sagen, wir lernen uns ja gerade erst kennen.“
Klara schien seine Antwort zu überhören und sprach einfach weiter: „Meine Freundinnen mögen an mir, dass sie mit mir über alles reden können und dass ich gut zuhören kann. Ich glaube, im Job schätzt man meine Zielstrebigkeit und meinen Biss. Und beim Sport, dass ich eine Mannschaft führen kann.“

Max griff einen Shrimps mit den Stäbchen, hielt ihn gegen das Licht der Küchenlampe, kniff das rechte Auge zu und formte mit der freien Hand eine lockere Faust. Auf diese Weise bildete sich eine Art Röhre, die er sich vor das linke Auge hielt und gleichzeitig fragte: „Was schaust du für Filme?“
Klara lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. „Ich sehe keine Filme. Gefühle kann man im Fernsehen oder im Kino nicht ausdrücken.“
Er nickte. „Was ist mit Casablanca?“, erkundigte er sich. Sie holte eine Packung NIL hervor, steckte sich eine an und blies den Rauch schräg neben den Tisch, während sie sagte: „Antikommunistischer Propaganda-Film.“
Dann fügte sie hinzu: „Es stört dich doch nicht, wenn ich rauche, oder?“
Max schob sich den Shrimps in den Mund. „Nein, mach ruhig.“
„Das ist gut, ich hasse militante Nicht-Raucher.“
„Extrem ist nie gut“, fügte er hinzu.
Sie stand auf, ging um den Tisch herum, nahm seinen Kopf - so gut wie es mit der Zigarette ging - in beide Hände und küsste ihn auf die Stirn. „Extrem ist nie gut“, wiederholte sie, „das unterschreibe ich, das ist unsere erste Gemeinsamkeit. Ist das nicht toll?“
„Ja, stimmt.“
„Jetzt stell doch mal das blöde Essen weg!“, forderte sie ihn auf.
„Wie?“
„Du hast so ein schönes Sofa, da müssen wir doch nicht hier am Tisch sitzen.“
Max nickte.
Sie drückte die Zigarette in ihren Nudeln aus und führte ihn an der Hand zur Couch hinüber.
„Ich stehe auf Männer, die Mountain-Bike fahren, das macht richtig muskulöse Waden“, sagte Klara. „Muskulöse Waden sind sexy.“
„Ah, o.k.“
„Zieh mal dein Hosenbein hoch!“
Sie setzen sich. Max entblößte seine rechte Wade.
„Das geht aber gar nicht!“, bemerkte Klara.
„Was?“
„Du musst dir die Beine rasieren, Max!“
Er wischte sich mit dem Handrücken unter der Nase entlang. „Gut, ich denk drüber nach“.
„Ich bin eine sexuell aggressive Frau“, stellte Klara abrupt fest und schob ihre Hand unter Max Sweatshirt.
„Oh, ja?“, entfuhr es ihm.
„Und ich habe kein Problem damit, schon beim ersten Date alles zu machen, wenn du verstehst, was ich meine“, ergänzte sie.
„Mmmh, ja“, antwortete er.
Klara zog ihr Oberteil aus und öffnete ihren BH. „Ich weiß, dass meine Brüste dich schon den ganzen Abend verrückt machen.“
„Klara ...“
„Warte, ich hab mein Öl in meiner Tasche, ich hole es eben, dann kannst du es mir einmassieren. Oder hast du auch welches hier?“
„Klara, mir ist schlecht ...“
„Wie?“
„Schlecht. Wie übel. Also vom Magen her.“
Sie stöhnte und warf den Kopf zurück: „Das ist nicht dein Ernst, oder? Wieso ausgerechnet jetzt?“
Max zog eine Schulter hoch: „Ich weiß es nicht, vielleicht war das Essen irgendwie verdorben.“
„Ich habe doch dasselbe gegessen wie du.“
„Ja, schon„“ entgegnete er, „aber vielleicht vertrag ich es einfach nicht.“
„Burmesischer Karpfen“, sie schüttelte den Kopf, „was soll das überhaupt sein?“
„Keine Ahnung“, sagte Max, „aber es klang exotisch, und weil du gesagt hast, du magst keine Ente ...“
„Papperlapapp“, entgegnete Klara, „ich habe nie gesagt, dass ich keine Ente mag. Ich habe vielleicht gesagt, dass ich Rind oder Schwein Ente vorziehe, aber ich lasse mich nicht von dir darauf reduzieren, dass ich eine Enten-Ablehnerin bin. Akzeptiere das bitte.“
„Tut mir leid, das war dann mein Fehler.“
„Willst du eigentlich Kinder?“, fragte sie.
„Wie meinst du das?“
Klara fuhr sich durch die Haare: „Herrgott, was mache ich eigentlich hier?“
Max rieb sich über den Bauch und stieß hörbar auf. „Entschuldigung.“
Klara erhob sich. „Wo ist die Toilette?“
„Geradeaus und dann links“, antwortete Max.
Nach einer Weile hörte er die Spülung, dann schoss Klara an ihm vorbei, griff wortlos nach ihrer Jacke und verließ die Wohnung.

Max blieb noch eine Weile bewegungslos auf der Couch sitzen, ehe er sich ein Bier nahm, selbst ins Badezimmer ging, sich auszog und heißes Wasser in die Wanne laufen ließ. Er testete die Temperatur, in dem er einen Zeh ins Wasser hielt, als er das Mobiltelefon auf der Fensterbank entdeckte.
Die Tastensperre war nicht aktiviert, daher scrollte er zu den SMS. Hi, Betty, vergebene Liebesmüh, der Typ ist stockschwul, auch wenn er es selbst noch nicht weiß. Kla!
Über Erneut senden rief er Klaras SMS noch einmal auf, löschte den Inhalt und schrieb: Aber wenn du’s genau wissen willst, Betty, ich falle vielleicht auf die Kontaktanzeige von einem Homo rein, aber du siehst so scheiße aus, dass dich die Kerle nur aus Mitleid nehmen! Kla!.
Nachdem er die Nachricht abgeschickt hatte, legte er sich so in die noch kaum eingelaufene Wanne, dass seine Brust knapp vom Wasser bedeckt war, öffnete die Dose Bier und trank einen großen Schluck. Einen Moment später summte es. „Upps!“ sagte er, nahm das Handy und tauchte es kurz unter Wasser, bis das Display schwarz wurde. Dann griff er sich einen Waschhandschuh und führte eine Hand hinein, dass der Handschuh wie eine sprechende Puppe aussah, wenn er seine Finger bewegte. Gleichzeitig formte er seine Lippen zu einem Fischmaul und sagte mit verstellter Stimme synchron mit der Waschhandschuh-Puppe: „Ich bin kein Karpfen-Hasser, erst recht nicht, wenn es um Burmesische Karpfen geht, akzeptier’ das!“
Nach einer Weile streifte er den Handschuh ab, griff sich Nassrasierer und Schaum und legte sein rechtes Bein auf den Wannenrand.

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Letzte Aktualisierung: 15.11.2014 - 11.34 Uhr
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