Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Wen(n) wir lieben | Dezember 2014
"Oh nein!"
von Anne Zeisig

Ich bin geladen! Bis Oberkante!
Hätte ich ein Küchenmesser meiner Schwester gehabt, ich hätte für nichts garantieren können.
Sie ist eine Super-Hausfrau und hat sogar einen chinesischen Dolch in der Schublade. Für Wok-Gemüse.

Nur wegen meiner drei kleinen Nichten habe ich mich heute, an Heiligabend, durch das Verkehrsgewühl in die City gequält: Weihnachtsgeschenke kaufen!
Ich! Wo ich seit jeher diese gefühlsduselige Zeit im Romantik-Outfit verabscheue. Mir wird schlecht vom Gestank der Reibeplätzchen und Glühweinbonbons.
Bisher habe ich den Kleinen immer einen ansehlichen Betrag aufs Konto überwiesen, aber meine Schwester meinte, ich stelle mir ein Armutszeugnis aus, wenn ich nur die zahlende Tante sei, anstatt was Persönliches mitzubringen. Sie würden sich Barbies wünschen.
Seit wann sind Barbiepuppen was Persönliches?
Hätte ich mit Barbiepuppen gespielt, würde ich heute noch auf den Märchenprinzen Ken warten, der mich im Barbie-Mobil vögelt und mir jeden Wunsch von meinen langbewimperten Augen abliest, weil ich ihn lustvoll befriedige und ansonsten immer schön anzusehen bin.
Stattdessen habe ich Karriere gemacht und das Konto der Nichten gut gefüllt, damit sie mal ohne Geldsorgen studieren können. Ist das etwa nicht persönlich?
Aber was will ich erwarten von einer älteren Schwester, die in ihrer Hausfrauen- und Mutterrolle aufgeht wie ein Hefekuchen, der mit krankhaftem Harmoniebedürfnis zu lange im warmen Wigwam gelegen hat. Mamas Liebling, weil sie in ihre Hausfrauenstapfen getreten ist und sich aufopfernd um unsere alten Eltern gekümmert hat, während ich da draußen in der kalten weiten Welt das Geld für die Pflegeversicherung mitfinanziert habe. Einer muss schließlich die Kohle für die soziale Hängematte heranschaffen. Ich wollte eine private Pflegerin bezahlen. Aber nein! Meine Schwester musste ja unbedingt ihr Helfersyndrom befriedigen und lauft fortan mit einem Heiligenschein durch die Gegend wie Mutter Theresa.
“Zwei Töchter! Und nur eine kümmert sich! Traurig ist das!” Keine Ahnung, ob die Nachbarn das so gesagt haben, aber vorstellbar ist es. Wenn man im feindlichen Leben steht, erwirbt man Menschenkenntnis, ein gutes Einkommen und keinen Heiligenschein.

Da habe ich mich auch nicht in dem Alten geirrt, der mir heute früh beim Einparken zugesehen hat.
“Man könnte sich ja linksbündig in die Parkbox stellen, dann hätte ein Auto mehr Platz!”, meckerte er.
“Wie bitte? Ich habe zwei Euro für eine Stunde bezahlt, da kann ich meinen Wagen innerhalb dieser weiß markierten Parkbucht hinstellen wie ich will”, klärte ich ihn auf. Da wäre ich gesetzlich nicht zum Teilen verpflichtet, zumal die Breite des Stellplatzes auch nicht für Zwei vorgesehen wäre.
Oh nein!
Der gab sich nicht mit meiner Erklärung zufrieden, nein, der hat mein Auto und den Stellplatz mit seinem Krückstock ausgemessen und blieb dabei, dass ich raumsparender hätte parken müssen. Das wiederholte er tatsächlich zweimal.
“Pensionierter Polizist oder verrenteter Beamter vom Ordnungsamt?”, fragte ich ihn. “Und nun ist das Leben langweilig, öde und leer? Oder früher ‘nen Job gehabt, wo Sie nichts zu sagen hatten? Und deshalb nun auf die Pauke hauen? Oder macht Sie das Weihnachtsgedudel sentimental und lässt den Sankt Martin auferstehen, der nicht nur Mantel, sondern auch Parklücken teilt?”
“Ich hab ‘s doch nur gut gemeint”, antwortete er laut und fuchtelte mit dem Krückstock in meine Richtung.
“Ich bin nicht der heilige Martin !”, schrie ich in sein Hörgerät.
“Maria!”, schrie er noch lauter, “das ist die Mutter vom Jesuskind! Die hat mit Ihrer Parkerei nichts zu tun!”
Wie gesagt.
In dem Moment hätte ich gerne eine Waffe besessen und sie womöglich auch benutzt.
Meine Schwester heißt nämlich Maria. Aber das ist ein anderes Thema. Man muss sich nicht zwangsläufig lieben, nur weil man dieselben Eltern hat. Dafür sind wir zu unterschiedlich.

Klar. Es gab auch zig Kens in meinem Leben und die Augenpaare meiner Eltern und meiner Schwester ruhten stets erwartungsvoll auf mir, ob das wohl endlich der Richtige sei, mit dem ich häuslich würde einschließlich einer Schar Mini-Kens.
Und Kens wollen Kinder! Solange sie sich überm Wickeltisch nicht übergeben müssen, sondern ich. Mal abgesehen davon, dass ich den Karriereknick hätte einstecken müssen.
“Mein Haus! Meine Hausfrau! Meine Kinder! Mein Baum, dessen Laub meine Hausfrau jeden Herbst säuberlich wegharkt.”
Nein danke. Auch nicht mit väterlichem zweimonatigem Elternerziehungsurlaub. Seit wann ist es damit getan, ein Kind in zwei Monaten zu erziehen? Und nach diesen zwei Monaten reicht Ken eh die Scheidung ein! Kacke in Windeln macht depressiv! Jedenfalls hatte ich den Eindruck, dass das bei meinen Kens so sein würde.
Und als Alleinerziehende kannst du dir die Karriere auch gleich an feuchten Babytüchern abwischen.

Während ich nun zuhause die Barbies samt anti-emanzipatorischem Beiwerk einpacke, muss ich an meinen aktuellen Ken denken.
Der ist nun doch noch alleine, also ohne mich, über Weihnachten zu seinem Vater aufs Land gefahren. Ich wollte nicht mit. Ich muss mich vom Job erholen.
Man kennt das doch. Sobald ein weibliches Wesen so einen Bauernhof betritt, wittern die Altbauern ‘ne Schwiegertochter, die tier- und mistlieb ist. Zwar hat Ken oft beteuert, dass er den Hof nicht übernehmen wird, aber die Ähre kann sich schnell wenden, wenn die verklärten Landeier an die Erbfolge denken. Wenn der Sohn nicht will, dann will bestimmt der Enkel mit glücklichen Hühnern spielen.

Diese Ruhe!
Herrlich!
Ich lege die Nichtengeschenke beiseite, lehne mich zurück und schaue hinaus. Vor meinem Fenster lässt Frau Holle eifrig die Daunen herniederwirbeln. Sie schweben wie in Zeitlupe vorbei und wenn ein Windhauch sie streift, beginnen sie fröhlich zu tanzen. Eine Daune scheint die Primaballerina zu sein. Sie gibt den anderen die Schwebefolge vor.
Oh nein!
Ich werde nicht hinunterblicken, um sehen zu müssen, wie die Elevinnen auf dem Bordstein landen und man auf ihnen herumtritt. Gedankenlos, wie Menschen sind.
In diese Stille hinein klingelt es an meiner Tür. Ich öffne fluchend.
Vor mir steht der neue Nachbar: “Du kommen. Zu uns. Du alleine. Wir alle machen zusammen Bescherung.” Er will mich in den Flur ziehen.
Ich lehne dankend ab und verbessere. “Beschneidung! Beschneidung und nicht Bescherung.”
Er schüttelt eifrig sein volles schwarzes Haar. “Heute nix Beschneidung, heute Bescherung wie Christen, morgen Zuckerfest wie Muslime”,sein Lachen hallt durchs Treppenhaus, “man muss die Feste feiern wie sie fallen. Du nix Weihnachtsbaum?” Er schielt in meine Diele.
Ich schüttele den Kopf. “Ich brauche heute Ruhe. VIEL RUHE!”, betone ich und schließe aufatmend die Tür.
Ich kann das nicht.
Feiern auf Knopfdruck, weil der Kalender es vorschreibt. Ich kann, wenn ich will, auch zu anderen Zeiten fröhlich sein. Schließlich habe ich meinen aktuellen Ken auf so einer feuchtfröhlichen Betriebsfeier kennengelernt. Das war ganz spontan. Unser Team hatte einen super Deal gelandet, da sind wir um die nächtlichen Häuser gezogen und in einer Karaoke-Bar stand er am Micro.
Das war Liebe auf den ersten Blick. So richtig schön kitschig. Er sang eine Ballade ziemlich notentreu und ich bekam glänzende Augen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich allerdings bereits einige Sex-On-The-Beach getrunken.

Verdammt. Warum kriege ich ausgerechnet jetzt glasige Augen? Sicherlich vertrage ich die neuen Kontaktlinsen nicht.
Von unten ist ein Akkordeonspieler zu hören. Er spielt genau diese Ballade.
Einen Moment mal. Ich muss schniefen. Ist ja auch Erkältungszeit. Und es klingelt wieder.
Ich werde überrannt von meinen Nichten samt ihrer Eltern und plötzlich drückt mich Ken an seine Brust. “Überraschung!”
Ich höre, wie meine Schwester aus der Küche ruft: “Keine Sorge, wie haben Essbares und Flüssiges mitgebracht.” Geschirr klappert. “Du magst doch Reibeplätzchen und Glühwein?”
Die Nichten streiten sich. “Meine Barbie hat aber ein schöneres Kleid!” “Neee, meine!”
“Aber meine hat einen Porsche! Die hat nämlich so viel Geld, wie meine Tante!”
“Nun setzt euch endlich, ihr Klammeraffen!” Mein Schwager lacht uns zu und drückt uns Champagnergläser in die Hände. Er erhebt sein Glas. “Liebste Schwägerin, wir wissen, dass du Spontanfeten besonders gerne magst. Das hier soll eine sein.”
“Ohne fröhliche Weihnachten?”, nuschele ich.
Ken drückt mich an sich. “Ohne. Versprochen.”
Ich bin selig.
Plötzlich taucht hinter Ken der alte Mann von heute früh auf.
Oh nein!
Er lächelt. “Ich denke, ich muss mich entschuldigen.”
Ken schaut verdutzt. “Ihr kennt euch? Das ist mein Vater.”
Übrigens: Ken heißt eigentlich Jan und ich bin die Nele.

© anne zeisig ENDversion

Letzte Aktualisierung: 21.12.2014 - 18.12 Uhr
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