'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespürt.
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Wen(n) wir lieben | Dezember 2014
Die Tour
von Klaus Freise

Er hätte nicht gedacht, dass ihm jemals eine Frau mit so kurzen Haaren gefallen würde. Vor dem Krankenhaus, mit ihren dunklen Augen, dem blauen HSV-Basecap und der kleinen abgenutzten Reisetasche. Ihn überkam ein so tiefes Ziehen in der Brust, dass ihm kurz die Luft weg blieb. Er brachte sie nach Hause, sie sprachen kaum. Ein paar Worte über die Stadt. Sie sah ihn an, versuchte zu lächeln, mit Sorgenfalten. Schmerzen im Blick. Vor ihrer Tür stand er mit der Tasche, ganz nah, traute seinen Worten nicht:
„Vor dem Rathaus ist jetzt Weihnachtsmarkt, aber du willst dich bestimmt noch ausruhen.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich habe lange genug gelegen.“ Dann schloss sie auf, warf die Tasche in den dunklen Flur, schloss wieder ab und sagte:
„Okay, fahren wir.“
Er schaltete das Schild auf dem Dach seines Mercedes ab.
„Das ist der Vorteil, ich kann überall parken, bin mein eigener Herr.“ Er lächelte. Dann, auf dem Markt, hielt sie seine Hand.
Sie kauften Christstollen, Lebkuchenherzen, gebrannte Mandel, tranken Glühwein, fuhren Karussell. Die vielen kleinen Lichter erhellten ihr Gesicht. Der Duft von Mandel und Zimtgebäck umschloss sie. Auf der Rückfahrt erzählte er Geschichten über seine Kundschaft. Lustige Japaner, die nicht wussten, dass eine ganze Stadtbevölkerung so hieß wie die Burger bei MacDonalds. Sie lachten beide und krümelten Lebkuchen auf die Sitze.
So fuhren sie die ganze Nacht durch seine Stadt.
Der Morgen graute, als sie vor ihrer Tür standen. Verlegen, schweigend.
Er fand die Worte als erster wieder.
„Ich bin Kai, das war ein toller Abend. Wenn du möchtest, könnten wir …“
"Rose. Sei mir nicht böse, aber ich bin sehr erschöpft. Ja, das war sehr schön.“
Als Kai bei seinem Wagen ankam, öffnete sich die Tür noch einmal.
„Mein Kühlschrank ist noch leer …“
Er ging ein paar Schritte auf Rose zu und sagte:
„Oh, kein Problem, ich kann kochen, wie wäre es mit Pasta?“
„Das wäre super, also dann, bis nachher.“ Sie lächelte und dann schloss sich die Tür wieder.
Kai drehte NDR 2 voll auf. Dean Martin ließ es wieder schneien.
Kai googelte zu Hause alle Pastagerichte und kaufte am Fischmarkt die Zutaten, bevor er duschte, den Wein und das Brot besorgte und dann bei Rose klingelte. Ungeduldig trat er von einem Bein aufs andere, konnte nicht verstehen, warum sie so lange brauchte.
Als Rose dann öffnete erschrak er, dass er fasst den Korb fallen ließ. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen, sie war blass, trug nur ein Nachthemd und hatte geweint. Kai stand da mit offenem Mund, bevor er sie an sich drückte und ihre Hände hilflos, zögerlich und langsam seinen Rücken umschlossen.
„Es tut mir leid, ich habe mich den ganzen Morgen übergeben … die Zytostatika … ich wollte …“
„Nein, Rose, es war meine Schuld, ich habe nicht daran gedacht, ich …“
Sie war so schwach, flüsterte:
„Bring mich nach oben.“
Kai trug sie die Stufen rauf, legte Rose auf ihr Bett. Holte den Korb in die kleine Küche. Dann setzte er sich neben sie und strich über ihr kurzes Haar. Er machte ihr Tee, flößte ihn ein, kniete neben ihr auf dem Klo und hielt ihren Kopf, wenn sie sich übergab. Nach zwei Stunden schlief sie ein. Er blieb bei ihr.
Am Abend ging es ihr besser. Er machte einfachen Haferbrei mit Knäckebrot. Rose hielt seine Hand und flüsterte:
„Danke, Kai. Du musst jetzt aber sicher los. Geld verdienen. Ich komme schon klar.“
Er kniete an ihrem Bett, drückte ihre zierliche Hand an seinen Mund.
„Ich bleibe, Rose, die ganze Nacht.“ Er küsste Roses Handfläche.
Zwei Abende später wollte er sich wieder von Rose verabschieden, aber sie strampelte die Bettdecke weg und flüsterte:
„Komm.“ Dabei hob sie ihr Nachthemd und legte seine Hand auf ihren Busen. „Fühlst du das?“ Er blinzelte irritiert.
„ Sie fühlen sich ganz warm an.“
Rose schloss die Augen und schluchzte:
„Ja. In ein paar Wochen … sie wollten sie mir wegnehmen, aber ich habe abgelehnt. Eh zu spät. Ich werde …“
Schnell küsste er Rose auf den Mund: „Wir haben Zeit.“
Kai und Rose liebten sich bis zum Morgen. Eng ineinander verschlungen flüsterte Rose:
„Du musst mir etwas versprechen, hörst du, Kai. Es ist wichtig.“
Und Kai hörte zu, zögerlich und den Tränen nahe versprach er, Rose alles zu tun, was sie wünschte.
Kai kam jetzt jeden Tag. Er besorgte einen Weihnachtsbaum, der gerade noch durch die Tür passte und Rose lachte, als die ganzen Lichterketten die Sicherungen rausknallen ließen. Sie drängte ihn, auch seine Pasta zum Fest zu machen.
Als die Glocken in der ganzen Stadt läuteten, verschmolzen Kai und Rose auf dem Sofa vor dem Baum zu einem leidenschaftlichen Höhepunkt. Dann fuhren sie wieder die Nächte durch, sahen sich den Michel an. Besuchten zwischen den Feiertagen den König der Löwen. Sie gingen händchenhaltend an der Elbe entlang, während erste Eisschollen sich am Ufer knirschend ineinanderschoben.
Silvester standen beide mit Tausenden beim Alsterfeuerwerk. Rose kuschelte sich an Kai, genoss das Funkel der Raketen, die knatternden Feuerräder und gleißenden Kaskaden.
Kai hielt sie ganz fest, während sich auf dem Wasser goldene Fontänen in immer größerem überbordenden Lichterglanz spiegelten. Sie stellte sich auf ihre Zehenspitzen und küsste Kai, dann flüsterte sie:
„Ich liebe dich. Mach, dass es nie aufhört.“
Als Roses Haare wieder länger wurden, blieb Kai immer öfter an ihrem Bett. Dann rief er den Arzt. Er packte die kleine Tasche, die immer neben der Garderobe stand, fuhr Rose ins Krankenhaus. Als die Ärzte sie auf die Intensivstation bringen wollten hielt er zum letzten Mal ihre Hand. Sie schluchzte:
„Du musst jetzt gehen Kai, du hast es versprochen, bitte geh. Deine Stadt wartet auf dich.“
Kai fuhr nie wieder die Tour zum Krankenhaus.

Letzte Aktualisierung: 22.12.2014 - 20.32 Uhr
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