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Wen(n) wir lieben | Dezember 2014

Frau mit Stock
von Eva Fischer

Klack, klack. Das Geräusch auf den Steinfliesen kündigt ihr Kommen an. Eine Serviererin eilt ihr mit einem freundlichen Lächeln entgegen.
„Guten Tag, Frau Kaiser. Wie geht es Ihnen?“
Der bisher mürrische Gesichtsausdruck macht einem maliziösen Gesichtsausdruck Platz.
„Das Gehen geht gerade nicht so gut.“
Sie zeigt auf ihren Stock, auf dem Blümlein sprießen, so als habe sie ihn wie Mose erfolgreich bei der Suche nach einer Quelle in der Wüste eingesetzt.
Die Serviererin weist auf die leeren Tische.
„Nehmen Sie Platz, wo Sie möchten“, säuselt die Kellnerin.
Das hatte ich auch vor, du dünne Hippe, denkt sie und lässt den Blick kreisen.
Fensterplatz oder nicht? Außen- oder Innenschau?
Der Himmel draußen hat eine undefinierbare schmutzige Farbe angenommen. Frauen schieben Kinderwagen. Männer in Anzug und mit Krawatte eilen vorbei. Zwei grauhaarige Frauen in herbstlichen Kostümen unterhalten sich.
Nichts, was die Aussicht lohnt, denkt sie und geht schweren Schrittes in das Innere des Restaurants.
Der barocke Körper hat sich hinter schwarzem Tuch versteckt, so als trauere er wie ein Witwer, dass er sein Ideal, Kleidergröße 38, verloren hat. Sie ringt nach Atem, bevor sie sich auf dem viel zu schmalen Stuhl niederlässt.

„Was darf ich Ihnen zu trinken bringen?“
„Erst mal die Speisekarte. Das wäre schön.“
Eigentlich ist ihr die Speisekarte vertraut, weiß sie genau, welche Köstlichkeiten dahinter stecken, aber die Lektüre bereitet ihr wie immer Vergnügen.
Entenmägenconfit, Gänsestopfleber mit Rotweingelee, Perlhuhnbrust.
Sie fährt sich mit der Zunge über die Lippen.
Die Serviererin wartet diskret an der Seite, bis sie ihr durch einen Wink zu verstehen gibt, dass sie ihre Wahl getroffen hat.
„ Ich nehme das Plateau fruits de mer mit den drei Austern, dem Taschenkrebs und den crevettes roses. Dazu hätte ich gern einen Sancerre.“
„Sehr gerne“.
Heute gibt es mehr etwas zu basteln, nicht zu essen, denkt sie zufrieden und lässt den kühlen Weißwein eine Weile auf der Zunge, bevor er angenehm ihren Magen wärmt.

Mögen sich andere bei der Vorstellung schütteln, dass sie lebende Tiere essen. Sie nicht. Der Mensch ist ein hoffärtiges Wesen, denkt sie, hat vergessen, dass seine Vorfahren ihren Hunger auch mal stillten, ohne das Tier vorher quadratisch, praktisch, gut in eine Dose zu pressen.

Der Geschmack von Meer überwältigt sie. Sie denkt an Pierre, den Frauenfischer, der sie einst mitgenommen hat zum Atlantik. Ein Schauer geht durch ihren Körper, als sie die Auster herunterschluckt. In welchem Grab mag er jetzt ruhen? Das ist alles lange her. Mehr als ein Hauch von Erinnerung ist nicht geblieben, wie von der Auster auch.

Der Taschenkrebs fordert ganz andere Fähigkeiten von ihr. Ihre Hände bahnen sich geschickt einen Weg in das Innere des Tieres, um sich mit dem kleinen Zweispieß das Fleisch zu sichern. Es sind nur wenige Bröckchen. Um so kostbarer liegen sie auf der Zunge.
Sie denkt an ihren Vater, der immer stolz war, dass er im Krieg gelernt hatte, Essen schnell zu vertilgen. Essen muss nicht lecker sein, war sein Wahlspruch. Oh, doch! Du hast vieles verpasst, Papa! Aber das ist jetzt auch schon egal. Santé! Deiner Gesundheit kann es allerdings nicht mehr nützen.

„Bringen Sie mir bitte noch einen Sancerre!“
„Aber gerne, Frau Kaiser.“

Bitte, gerne, äfft sie lautlos nach. Was ist das für eine neumodische, unehrliche Floskel! Kein Mensch bedient gerne. Sie geht nicht gerne am Stock. Hat sie dieses Leben noch gerne, das ihr unerbittlich durch die Finger rinnt? Nein, eigentlich kann es sie gerne haben. Das war nicht vorgesehen, dass sie mal älter wird. Bieder, brav. Das war gestern.
Sie nimmt einen Schluck Weißwein.
Ok, sie war nicht nur bieder und brav, hat sich auch mit zahlreichen Lovern amüsiert, aber jetzt, wo sie mental viel freier wäre, macht dieser doofe Körper ihr einen Strich durch die Rechnung.

Die rosa Crevetten lassen sich leicht in Mayonnaise tunken. Ein bisschen Fett muss sein, denkt sie. Genussvoll leckt sie sich über die Finger, stippt das Weißbrot hinterher.
Die Melodie „I can’t get no satisfaction“ ihres Smartphones schreckt sie auf. Ihr Finger hinterlässt eine ölige Spur auf dem Display, als sie auf den grünen Hörer drückt.

„Hallo, mein Schätzchen“, flötet sie wie Papageno.
„Ja, ich war schon Shoppen heute, habe mir lange schwarze Stiefel gekauft. Sie passen super zu meinem Minirock.“
Sie gluckst in sich hinein und fährt sich über das lange Haar, das er blond wähnt.
„Jetzt esse ich gerade eine Kleinigkeit. Ja, mein Süßer, deine Mail habe ich bekommen. Ich schreibe dir heute Abend zurück.“

Sie nimmt einen weiteren Schluck. Ihre Wangen haben eine rosa Farbe angnommen. Ihre dunklen Augen leuchten.

Er lebt auf Mallorca. Das ist gut so, denkt sie.
Sie lebt in Düsseldorf. Das ist gut so, denkt er.

„Willi, kommst du essen?“, hört er seine Frau sagen und legt auf.

Letzte Aktualisierung: 11.12.2014 - 19.34 Uhr
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