Der himmelblaue Schmengeling
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Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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Erotik | Februar 2015
Befehl ist Befehl
von Hajo Nitschke

Sie lag eines Morgens plötzlich neben mir. Einfach so. Wo sie herkam? Keine Ahnung. Als wäre sie vom Himmel gefallen. Bis dahin war ich in diesem riesigen, üppigen Garten das einzige aufrecht gehende Lebewesen. Manchmal war das etwas bedrückend, zumal die übrigen Bewohner meiner Pflanzenwelt zu keiner Kommunikation fähig zu sein schienen. Einzig dieses merkwürdige kriechende Geschöpf, das sich mir als Frau Schlange vorstellte, tauschte hin und wieder ein paar Worte mit mir, wobei ich mir zunächst unter 'Frau' nichts Gescheites vorstellen konnte. Von diesem Morgen an aber sollte sich das ändern. Und dies in einem Maße, dass ich es nicht selten vorgezogen hätte, für mich allein geblieben zu sein.

Ja, dieser Morgen. Nummer 2 und ich erwachten gleichzeitig, schauten uns an – und schrien uns aus Leibeskräften unser Erschrecken in die Gesichter. Sprangen vom Gras auf und musterten uns mit aufgerissenen Augen, teils kampf- und teils fluchtbereit. Ich stellte äußerlich eine verblüffende Ähnlichkeit zwischen uns fest, aber es gab auch Abweichungen. Da, wo bei mir die oben eingeschüttete Flüssigkeit unten in einem kleinen Rüssel wieder austrat, hatte mein etwas kleineres Gegenüber … nichts. Oder genauer gesagt, eine Vertiefung des Unterleibs, eine Art Spalte. Und während meine Brust hart und flach beschaffen war, verunzierten zwei fleischige Kugeln den Oberkörper. Komisch wirkte auf mich auch der Anblick einer Sitzfläche, die in ihrer weichen und gerundeten Ausformung deutliche Anzeichen von Schwäche gegenüber meiner straffen Sitzmuskulatur zeigte.

Wer immer dieses Wesen erschuf – falls es sich nicht selber erfunden hatte –, musste eine Vorliebe für Provokationen haben. Reichte mir anfangs für alle Zeiten der einmalige Blick in eine Pfütze, saß Nummer 2 jeden Morgen und Abend schier endlos in Lagernähe am Teich, beäugte sich ausgiebig und ordnete ihr filziges Kopfhaar mit empörender Ausdauer. Dabei schnitt sie zahlreiche Grimassen, dass es recht wunderlich aussah, war aber wenigstens still. Mal steckte sie sich eine Blüte auf den Schädel, mal band sie sich Ringe aus Lianen um den Hals oder färbte sich die Lippen rot mit etwas, das sie Ampfer nannte. Wie sie sich überhaupt anmaßte, mir massiv das Recht der Namensgebung zu beschneiden. So begehrte sie zum Beispiel, Eva genannt zu werden. Es war eine schwere Zeit für mich. Und wie oft sie mir auf Schritt und Tritt folgte! Ganz ungewohnt auch diese Flüssigkeit, die sie gerne aus ihren Augen rieseln ließ, verbunden mit nervendem Gejammer.

Was mich aber am meisten störte, war ein unablässiger Wortschwall dieser Person. Irgendwann verstand ich auch, was sie wollte: Ich sollte dieses tun und jenes lassen, und wehe, wenn nicht: die Lautstärke des Geschreis wurde unerträglich. Nie hatte man zuvor im Garten derartiges gehört. Es übertraf sämtliche Laute der vierbeinigen oder gefiederten Mitbewohner, die dann mit Ausnahme von Frau S. panisch das Weite suchten (ich nannte das, was Nummer 2 dabei betrieb, Evakuierung). Das Getöse währte so lange, bis ...

„Rrruuuuuhe, verdammt noch eins! Vielleicht darf ich auch mal was sagen!“ Der Sprecher blieb unsichtbar, aber eine erquickende Stille trat ein. Nummer 2 – sprachlos! Leider hielt das nicht lange an, jedoch gelang es dem Unsichtbaren noch schnell, mit Donnerstimme hinzuzufügen:
„Aufgepasst! Erstens: von dem goldenen Apfel dürft ihr bei Strafe nicht naschen! Zweitens: Seid fruchtbar und mehret euch! Kapiert?!“ Dann nichts mehr.

Wir waren ratlos, selbst Nummer 2 kaute eine Weile stumm auf dem Gehörten rum, ohne Resultat. WAS sollten wir? Uns vermehren? Na gut, aber wie? Frau S. kam uns zischelnd zu Hilfe:
„Dasss Runde musssss inssss Eckige“, um sich sofort zu verbessern: „Nein, dassss bringe ich erst viel später … Das Längliche mussss ins Schmale! Untenrum!“

Länglich? Ob mein kleiner Rüssel gemeint war? Oder diese zu Nummer 2 gehörende ulkige Ritze, aus der sie in Hockstellung das getrunkene Wasser ausschied? Ich packte die noch in Gedanken Versunkene und versuchte, meinen Ausguss in diese seltsame Vertiefung hineinzufummeln.
„Was tust du da!! Aufhören, augenblicklich!“, schrie sie (ich weiß mittlerweile zwischen sie und er zu unterscheiden) gellend, jäh aus ihrer Versunkenheit erwacht. Es hätte des Gekreisches nicht bedurft, denn der Ausguss war viel zu biegsam, als dass ich Erfolg gehabt hätte. Schulterzuckend zog ich ihn zurück und sah mich unschlüssig nach Frau S. um, die ob des Gekeifes fast vom Baum gefallen wäre. Schwer atmend gab sie uns einige praktische Ratschläge. Wir sollten uns unserer körperlichen Anziehung bewusst werden (Hä?), unsere Gefühle (Hä?) beim Anblick der körperlichen Unterschiede (Aha) beachten und dafür sorgen, dass mein Anhängsel eine stabile Festigkeit erhielt (Hä?). Zum Zweck der Demonstration kringelte sich die Ratgeberin an einem Ast zusammen, um sich danach langsam zur zigfachen Länge zu strecken und mit dem Ast zu einer schnurgeraden Einheit zu verschmelzen (Aha).

Aber wie wir uns auch mühten: Weder wollte sich bei uns ein „Gefühl“ einstellen noch mein Ausguss sich strecken. Selbst dann nicht, als ich ihn an den experimentellen Ast der Frau S. befestigte: er blieb kurz, der Ást lang. Nichts zu machen. Kein Gefühl, kein Längliches, also keine Vermehrung. Der Unsichtbare würde uns wegen Befehlsverweigerung strafen, aber was sollten wir tun?

Wieder wusste Frau S. Rat:
„Sssseht ihr diese goldene Frucht dort? Einfach abbeissssen und zack ...“
„Aber er hat sie uns doch verboten ...“
„Papperlapapp. Der isssst viel zu gut für diese Welt. Nee, keine Ssssorge.“
„Und wieso soll das funktionieren?“
„Ganzzzzz einfach“, zischte Frau S., „essss wird sich allesss von allein ergeben, denn ihr fühlt euch herrlich eroootischschsch ...“
„Und wenn er uns doch drankriegt?“
„Denkt doch nach, Leute! Wie ssssollt ihr euch denn vermehren, wenn dasss Längliche nicht ….“
Und sie redete nun so lange wie hypnotisierend auf Nummer 2 ein, bis diese ratzfatz den Apfel pflückte und ihn mir in den Rachen schob, nicht ohne vorher selber einen entschlossenen, schmatzenden Bissen genommen zu haben. Wir warteten auf Gefühle …

In diesem Moment geschah der erste Akt der Veränderung.
„Du bist ja ganz nackig!“, schrie Nummer 2 so angeekelt, dass sich schon gar kein Gefühl bei mir einstellen wollte.
„Selber nackig!“, rief ich zurück und wir sahen einander schweigend an. Wir waren schon vorher unbekleidet gewesen, jawohl, doch das fiel mir erst jetzt so richig auf. Ihr schien es ähnlich mit mir zu gehen. Sie deutete auf mein Gehänge:
„Pfui, wie unästhetisch! Überhaupt, wie bescheuert du aussiehst, und dann dieses Dödeldings!“
Ihr Aussehen wirkte andererseits ebenfalls kaum gefühlfördend.

Da stand sie nun vor mir: die den ganzen Körper von Kopf bis Fuß bedeckenden langen Haare zottelig und ungepflegt, flache, fliehende Stirn, Augen unter Höckern, Breitnase, wulstige Unterlippe, die riesigen klauenartigen Hände bis fast unterhalb der Knie … Das sollte eroootischschsch sein? Die Unterschiede machten es auch nicht. Zwei Kugeln vorne oben und hinten unten: na und? Ihr schien es bei meinem Anblick nicht anders zu gehen, dazu glichen wir uns mit jenen wenigen Ausnahmen viel zu sehr. Mit leerem Blick wandte sie sich ab.

So konnte es nicht weitergehen. Die Gegenstände des offensichtlichen gegenseitigen Widerwillens mussten bedeckt werden. Ich flocht uns aus Zweigen und Blättern kleine Vorhänge. Wir legten sie an und gingen wieder unserem Alltag nach, das heißt, sie schrie und zeterte, ich duldete. Während einer Standpauke wegen ungewaschener Füße aber geschah es, jener zweite Akt:

Nummer 2 verstummte mitten im Wort und blickte mich mit großen Augen an.
Ich blickte mit noch größeren Augen Nummer 2 an.
Sie schielte auf meinen provisorischen Lendenschurz, unter dem sich etwas auszudehnen schien.
Ich starrte auf diese beiden wogenden kugeligen Dinger unter ihrer Brustbedeckung
Sie begann zu seufzen und zu schwitzen.
Ich begann zu schwitzen und zu seufzen.
Welch herrliches Wesen, schienen sich ihre bewundernden Gedanken hinter der zierlichen Stirm abzuzeichnen.

Welch prachtvolles Geschöpf, kam mir in den Sinn. Aber nicht einfach nur prächtvoll, sondern auf eigenartige Weise unanständig. Gelüste weckend, appetitanregend. Das musste also das von Frau S. angedeutete Gefühl sein! Plötzlich lief mir der Sabber im Mund zusammen, in etwa so, wie bei meiner größten Schwäche, der Gier nach dieser selten zu findenden Made, deren Verzehr ich der üblichen Früchtekost vorzog. Dem Heißhunger auf jene Insektenlarve glich mein Verlangen: ich musste diese neue Delikatesse haben. Sofort!

Uns wurde ständig schwüler, fiebriger. Es war, als würde ein unsichtbares Feuerband unsere Körper umschlingen, uns aufeinander zu ziehen und in Flammen setzen. Wir sanken einander in die Arme. Mein Rüssel glich endlich dem großen, starren Ast von Frau S., als mein Bekleidungsstück zu Boden fiel. Es ging alles, auch ungeprobt, wie von selbst und stöhnend wälzten wir unsere nackten Körper im Gras. Das Längliche passte ins Schmale und bevor uns im Taumel der Gefühle alle sonstigen Sinne abhanden kamen, hörten wir es gedämpft kichern (oder war es ein Zischen?):

„Geht doch ...“



(c) Hajo Nitschke, V3

Letzte Aktualisierung: 12.02.2015 - 07.30 Uhr
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