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Erotik | Februar 2015

Steuererklärung
von Katharina Conrad

Er war nicht mein Typ.
Steif, blass und glatt wie Porzellan, die Sorte Mensch, an dem alles abperlt. Und perfekt gebundene Krawattenknoten weckten bei mir schon immer die Assoziation zu Humorlosigkeit, Korinthenkackertum und dieser gewissen latenten Arroganz, bei der man sich ständig fragt, ob sie angeboren ist oder nur der Kenntnis des eigenen Kontostandes entspringt.
Wie gesagt, er war nicht mein Typ.
Er war mein Steuerberater.
„Sie werden gemeinsam veranlagt, wie ich sehe?“
Ach ja, ich vergaß: Mein neuer Steuerberater.
Unser neuer Steuerberater. Der alte hatte die Kanzlei aus irgendwelchen Gründen verlassen. Und weil mein Mann traditionell alle Termine, die nach Zahlen rochen und seine Anwesenheit nicht unbedingt erforderten, als meinen Aufgabenbereich ansah, saß ich alleine dort in quietschendem Leder und bestätigte Daten, die der Kanzlei seit Jahren vorlagen.
„Gemeinsam, ja. Schon immer.“
Ich lächelte und versuchte, nicht allzu gelangweilt auszusehen.
Aufmerksam schaute er mich an. Er hatte kaum Bartwuchs, nicht den kleinsten Schatten, aber die blauen Augen hinter seiner randlosen Brille blickten klar und klug.
„Verzeihen Sie mir. Nur - ich möchte die Klienten meines Kollegen nicht bloß übernehmen wie … einen gebrauchten Fuhrpark, verstehen Sie. Ich möchte sie kennenlernen.“
Er wirkte so seriös und vertrauenswürdig, wie nur Anzugträger mit perfektem Krawattenknoten es können, und fast hätte ich ihm geglaubt. Vielleicht ließ ich mich deswegen zu einem Scherz hinreißen, als er den Blick wieder auf unsere Akte senkte, mit dem Bleistift die Zeilen entlangfuhr und fragte: „Gab es im letzten Jahr eine Abweichung? Irgendwelche besonderen Anschaffungen?“
Den weiß glänzenden Ball am Rand seines Schreibtisches im Blick, erklärte ich: „Jetzt, wo Sie fragen … wir haben zwei Golf-Caddies gekauft.“
Nun hatte ich seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Es war interessant zu beobachten, was die Vorstellung, wir beide könnten etwas gemeinsam haben, mit seinen Gesichtszügen anstellte. Seine Mundwinkel wanderten nach oben, an seinen Augen erschienen kleine Lachfältchen und zum ersten Mal schien er sich wirklich für mich zu interessieren. „Sie spielen Golf?“
„Ähm … nein. Nein, das war nur ein Scherz. Tut mir leid.“
Er lehnte sich zurück, drehte den Golfball in seiner Hand und betrachtete mich. Prüfend, abwartend. Und irgendwie herablassend.
Kein Wunder, er kannte schließlich unsere Finanzen. Golf-Caddies … Gott, er musste ja denken, ich wollte ihn verarschen. Ich wünschte mir, ich könnte wie Jeannie einmal blinzeln und verschwinden.
Dann passierte etwas Merkwürdiges. In seiner zurückgelehnten Position, ohne mich aus den Augen zu lassen oder die Arroganz in seinem Blick zu mildern, löste er seinen Krawattenknoten und öffnete den obersten Knopf. Als wüsste er genau, was ich vorhin über ihn gedacht hatte.
„Haben Sie es denn schon einmal versucht?“
Er neigte sich über den Tisch, was mir einen Hauch von seinem teuren Eau de Toilette in die Nase trug, und hielt mir den Ball entgegen, auf drei Fingern seiner schlanken Hand, wie eine Praline. Oder eine verbotene Frucht.
„Äh … was denn, Golf?“
Es verunsicherte mich. Ein Perfekter-Knoten-Typ durfte den nicht einfach so aufmachen. „Ja. Aber nur ein einziges Mal, es war todlangweilig. Ich meine … es liegt an mir. Ich bin völlig talentfrei.“
„Was Ihnen fehlt, ist nur der richtige Lehrer. Sie müssten mal mit mir spielen.“ Er sah mir in die Augen, einen Wimpernschlag zu lange, dann senkte er den Blick wieder auf unsere Unterlagen. „Welche Steuerklasse?“
Drei und fünf und keine Kinder, wollte ich sagen, aber alles, was herauskam, war: „Mit Ihnen?“
Darauf gab er keine Antwort. Aber hatte er eben nicht leicht genickt?
Ich war aus dem Konzept. Machte er das mit Absicht?
Was denn, verlangte ein Teil meines Verstandes zu wissen. Dass ihm hier drin zu warm ist, oder dass er findet, dass jeder Vollidiot mit dem richtigen Coach Golf spielen kann? Du spinnst.
Warum machte ich mir überhaupt solche Gedanken? Ich meine, immerhin war er nicht mein Typ.
Mein Mann war mein Typ. Groß, sportlich, unrasiert und gutmütig. Irgendwie süß in seiner Unfähigkeit, mit Dingen wie Rechnungen, Anträgen und Steuererklärungen fertigzuwerden. Ein Anti-Steuerberater.
„Golf ist Leidenschaft. Meine zumindest.“ Das war die Wahrheit. Ich hörte es an der leisen Vibration in seiner Stimme. „Keinen, der das einmal gespürt hat, lässt es wieder los. Drei und fünf und keine Kinder?“
Ich nickte stumm und sah ihm dabei zu, wie er mit resoluter Feder unsere Unterlagen abzeichnete.
Flirtete er mit mir? Oder bildete ich mir das ein? Flirtete ich mit ihm? Einem arroganten Knoten-Typ?
Der offensichtlich verheiratet war. Der Ring an seinem Finger war schlicht und geschmackvoll und passte zu den Silberstreifen auf seiner lose baumelnden Krawatte.
Ob sie ihm dieses Selbstwertgefühl gab? Ob doch mehr in ihm steckte als die bloße Überheblichkeit, die diesem Büro mit seinen Ledermöbeln und dem Kingsize-Schreibtisch entsprang?
Sein beruflicher Erfolg war offensichtlich. Was aber, wenn er dazu noch wusste, dass er ein toller Kerl war, begehrenswert, ein fantastischer Liebhaber, einfach weil sie auf ihn stand?
Ob er seiner Frau beigebracht hatte, wie man Golf spielte? Setzte ihr Herz einen Schlag aus, wenn sie ihn dabei beobachtete, wie er das Eisen führte, es beherrschte, den Ball mit einem eleganten, kräftigen Schwung auf die Reise schickte – und schließlich immer ins Schwarze traf? Prickelte ihr Nacken dann wie mein eigener jetzt in diesem Augenblick?
Ich schwitzte in der Lederschale und war heilfroh, als er endlich konstatierte, unsere Unterlagen seien vollständig, und mich aus seinem Büro geleitete, wo er mich an seine Sekretärin übergab.
Als er mir höflich die Hand hinstreckte, war sein Krawattenknoten so perfekt, dass ich mich fragte, ob ich mir die ganze merkwürdige Golf-Episode vielleicht doch nur eingebildet hatte. Ein Auswuchs meines Gehirns, das schon immer dazu neigte, überall Dinge hineinzuinterpretieren, die bestenfalls an den Haaren herbeigezogen waren, wenn nicht vollkommen übergeschnappt.
„Machen Sie’s gut“, sagte er zum Abschied. „Und falls Sie doch mal wieder Lust auf Golf bekommen sollten …“

©KC V2


Letzte Aktualisierung: 22.02.2015 - 13.22 Uhr
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