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Erotik | Februar 2015

Und das soll erotisch sein?
von Monika Heil

»Papa!«
»Oskar, lass die Finger davon!«

»Schwarz, sind Sie noch dran?«
»Klar. Entschuldigung, Herr Martens, mein Sohn ...«
»Schwarz, so geht das nicht. Ihre Schleiertanzszene ist grauenvoll. Das soll erotisch sein? Ich bitte Sie, Schwarz.«
»Cilly, lass Mamis Gardine los. Cilly, gleich gibt´s was.«
»Und hier - ein Augenblick schläfriger Zufriedenheit. Letitia räkelt sich in seinen Armen, will mehr als Aufmerksamkeit. Und was macht Carlos? Nichts! Weil schläfrige Zufriedenheit ihn umgibt. Schwarz, das ist Scheiße, gequirlte Scheiße.«
»Ach ja, und in Stromstöße der Liebe hat es Ihnen noch gefallen?!«
»Wie bitte? Wann haben wir denn so einen Misttitel veröffentlicht? Und überhaupt, was heißt denn das? Schreiben Sie etwa Ihre eigenen Texte ab? Ich fass´ es nicht.«
»Mein Gott, Herr Martens, jeden Monat 67 Seiten Erotik liefern. Und das seit fast zehn Jahren. Was soll es denn da noch Neues geben?«
»Wie bitte, ich höre wohl nicht recht?«
»Oskar, lass deine Schwester in Ruhe. Nein, nicht das frische Brot anfassen! Das muss erst noch abkühlen.«
»Hier, hören Sie mal, was Ihre Konkurrenz schreibt. Dieser Rautmann hat´s wirklich drauf. - Miriam merkte, dass es ihm nicht leicht fiel, ruhig zu bleiben. Sie wusste warum. Schließlich hatten der Kuss und seine Berührungen sie vorhin ebenso erregt wie sie ihn. - Verstehen Sie, was ich meine, Schwarz? Das ist pure Erotik.«
»Der ist Single, der erlebt selbst, was er schreibt. Ich habe Familie, Herr Martens, da gibt es noch zweimal im Monat Sex, wenn´s hoch kommt. Für erlebte Erotik bleibt da keine Zeit.«
»Dann lassen Sie sich scheiden, Schwarz. Ganz einfach. Oder suchen Sie sich einen anderen Verlag mit einem anderen Anspruch. Autoren gibt es genug für Erotikserien. Hier, unser Nachwuchstalent, diese Sabine Barnickel, hat Eine Nacht mit Mona abgeliefert. Allein der Titel! Und ihre Texte! Hören Sie mal: Ich sehe ihr nach. Sehnsüchtig. Den Duft ihres Parfums immer noch in meiner Nase. Jasmin Noir. Stelle mir vor, wie sich ihr Körper anfühlt ...«
»Cilly, lass Mamas Parfum stehen, Cilly, nicht!«
»Aha, wenn ich Ihren Disput mit dem Töchterchen richtig verstehe, gibt es auch in Ihrem Haushalt Parfum.«
»Jasmin Noir.«
»Schwarz, da haben Sie doch Ihren Aufhänger für die Schleiertanzszene. Sprühen Sie Ihre Frau mit Jasmin Noir ein, nehmen Sie Cilly die Gardine weg und schicken Sie sie mit Oskar auf den Spielplatz und dann spielen Sie diese verdammte Szene mit Ihrer Frau nach.«
»Meine Frau ist in Hamburg bei ihrer Mutter.«
»Haben Sie keine Nachbarin?«
»Nein. Nicht dafür jedenfalls.«
»Hier, hören Sie sich das mal an. Eine Szene im Dessousladen - Eine junge Frau sprach mich an. Suchen Sie etwas Bestimmtes? Ich nickte und beschrieb, was ich suchte. Kennen Sie die Konfektions- und BH-Größe? Ich wurde rot im Gesicht. Dann wurde mir ganz warm. Meine Augen zitterten, als ich ihrem Blick standhielt. Schweiß lief mir von der Stirn. - Das, mein lieber Schwarz, ist eine Szene, die man sich bildlich vorstellen kann. Man fragt doch sofort, wo landen der Ich-Erzähler und die Verkäuferin, oder?«
»Wer hat das geschrieben?«
»I Punkt Pietsch. Hat auch einen tollen Titelvorschlag: Was Frauen wollen. Warum fällt Ihnen so etwas nicht ein, Schwarz?«
»Weil ich mich um meine Familie, meine Kinder und den Haushalt kümmern muss. Darum. Wissen Sie, was es bedeutet, jeden Tag drei Mahlzeiten auf den Tisch bringen, waschen, putzen, kochen?«
»Muss die Conrad auch. Und trotzdem fallen ihr Sätze ein wie: Er neigte sich über den Tisch, was mir einen Hauch von seinem teuren Eau de Toilette in die Nase trug, und hielt mir den Ball entgegen auf drei Fingern seiner schlanken Hand. Wie eine Praline. Oder eine verbotene Frucht. Das ist Erotik, Schwarz.«
»Tut mir leid, Herr Martens. Ich setze mich nochmal an den Text. Morgen schicke ich Ihnen eine neue Fassung.«
»Tun Sie das, Schwarz. Ich ziehe jetzt erst mal die Zeisig vor. Unschuld wird Nummer 1533 und Sie plane ich dann für 1539 ein. Bis dahin ist Ihnen was eingefallen, Schwarz, sonst ... Verstehen wir uns da richtig?«
»Unschuld? Kommt mir bekannt vor.«
»Sie verwechseln das wahrscheinlich mit: Unschuldig. Das war ein anderer Autor. Hier, hören Sie mal, was die Zeisig abgeliefert hat, zum Anwärmen, sozusagen: Sie bewegt sich langsam, wiegt ihren grazilen Körper sanft hin und her, hält ihre Augen geschlossen, wirkt völlig entrückt, als befände sie sich allein in einer anderen Welt. Zwischendurch stellt sie sich auf ihre barfüßigen Zehenspitzen und dreht sich gemächlich im Kreis.«
»Das ist gut. Richtig gut!«
»Sag ich doch. Ach Schwarz, ich glaube Sie sind tatsächlich ausgepowert. Vielleicht sollten Sie wirklich mal eine kreative Denkpause einlegen, bis der Augenblick schläfriger Zufriedenheit in Ihrem Leben vorüber ist.«
»Ich brauche das Geld. Meine Frau ist wieder schwanger.«
»Mensch Schwarz, von Sex scheinen Sie ja wirklich was zu verstehen. Hier aber geht es um Erotik, Schwarz. Erotik.«
»Gut, Herr Martens, dann schreibe ich mein Mansuskript jetzt nochmal um und melde mich wieder bei Ihnen. Vorher bringe ich die Kinder zu meiner Nachbarin und spreche mal mit meinem Nachbarn Chris, ein ganz Lieber.«
»Wenn ich Ihre Andeutung richtig verstehe, ist Chris ein Christian, oder?«
»Mmh.«
»Warten Sie, warten Sie. Das hat der Awert gerade versucht. Mutfrage ist für Heft 1536 geplant. Ein Versuchsballon, sozusagen. Wenn das beim Leser ankommt, gerne. Vorher schlage ich Ihnen vor, Sie geben die Kinder zum Nachbarn und reden mit der Nachbarin.«
»Oskar, nicht. Die Äpfel sind noch nicht gewaschen. Davon bekommst du Bauchweh.«
»Apropos Äpfel. Ich maile Ihnen mal Auszüge aus dem Manuskript vom ollen Nitschke.«
»Meinem Freund Hajo? Nein, danke. Wahrscheinlich fängt der wieder bei Adam und Eva an.«
»Genau das.«
»Ehrlich? Das sollte eigentlich ein Witz sein. Der hat über Adam und Eva ...?«
»Wenn ich es Ihnen sage.«
»Hat er ihre Brüste auch wieder als kugelige Dinger bezeichnet, wie in Befehl ist Befehl?«
»Na ja, daran arbeitet er auch noch immer. Stimmt. Jetzt ist es allerdings schon fast perfekt. Na gut, hier und da muss ich noch mal eingreifen. Zum Beispiel: Sie begann zu seufzen und zu schwitzen. Ich begann zu schwitzen und zu seufzen. Das ist wirklich noch nicht so ganz gelungen. Aber dann, passen Sie mal auf, Schwarz: Welch herrliches Wesen, schienen sich ihre Gedanken hinter der zierlichen Stirn abzuzeichnen. Welch prachtvolles Geschöpf, kam mir in den Sinn. Uns wurde ständig schwüler, fiebriger. Es war, als würde ein unsichtbares Feuerband unsere Körper umschlingen - und so weiter und so weiter.«
»Mmh, nun ja ...«
»Da fehlen Ihnen die Worte, was Schwarz? Also nochmal. Kümmern Sie sich jetzt erst mal um Ihre Plagen. Ab damit zum Nachbarn. Und Sie klingeln bei der Nachbarin. Wie alt ist die?«
»Nadja? Weiß ich gar nicht so genau. Zwanzig, vielleicht? Eine ganz Liebe. Sie übernimmt ab und zu das Babysitten bei uns, wenn meine Frau und ich mal ...«
»Klingt doch richtig gut. Heute also Babysitten ohne die Kinder, hehe, Schwarz. Das kann richtig gut werden. Wir reden in den nächsten Tagen wieder. Tschüß, Schwarz.«
»Auf Wiederhören, Herr Martens.«

Der Kerl denkt offenbar, Erotik habe etwas mit Gefühlen zu tun. dieser Narr. Erotik ist Geschäft. Pures Geschäft.

»Oskar, Cilly, wir rufen jetzt die Mama an und fragen, wann sie wieder heimkommt, ja?«

Version 2

Letzte Aktualisierung: 24.02.2015 - 19.52 Uhr
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