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Alles nur Show | März 2015
Die Hafenqueen
von Robert Pfeffer

Carlos ungeregeltes Leben erhielt in einer Art und Weise Struktur, dass sein mühsam akzeptiertes Hartz-IV-Denkmal bereits nach einer Woche kippte wie weiland die Saddam-Statuen im Irak. Es stand auf dem immer größer gewordenen Platz in seinem Gehirn, genau im Zentrum einer Fläche, die im Laufe von acht Jahren ohne Berufstätigkeit zur geistigen Brache verkommen war. Im Verlauf eben jener ersten Woche hatte ein Bagger in seinem Kopf alles umgegraben und erstaunt entdeckte Carlo, wie nach so kurzer Zeit kleine Pflänzchen von neuer Routine ihre Blättchen in den Job-Himmel streckten. Er war froh, die Boulevard- und Gerichts-Shows wieder gegen eine andere Tagesgestaltung tauschen zu können. Dabei hatte er bereits Pläne geschmiedet, Barbara Salesch sehr bald einen Antrag zu machen, um wenigstens reich zu heiraten. Verzweifelte Endvierziger-Single-Ideen, die er nun ad acta legen konnte.

Denn die Arbeitsvermittlungsmaschinerie hatte ihn aus der steuerlichen Bedeutungslosigkeit befreit und in einen Job gepresst. Vom Tellerwäscher zum Millionär, das wäre es gewesen. Aber statt von Zinsen leben zu können, saß er nun täglich an einer monströsen Bügelmaschine. Mit seinem früheren Beruf als Ingenieur hatte das wenig zu tun, doch es störte ihn nicht. Hotelgäste schlafen gerne faltenfrei, das ließ den Job krisensicher erscheinen.

Zwischen 12:30 Uhr und 13:15 Uhr ruhten alle Maschinen. Nach Kantine stand ihm nicht der Sinn und so machte er sich jeden Tag pünktlich auf den Weg ans nahe gelegene Hafenbecken. Um 12:36 Uhr knisterte er mit dem Butterbrotpapier und saß, schon ab seinem ersten Tag in der neuen Firma, auf einem sandsteinfarbenen Quader der oberen von zwei flachen Mauern. Hindurch zog sich eine Promenade, trennte den Alltag des geschäftigen Stadtlebens von der heiteren Gelassenheit eines maritimen Gefühls, wenn im Sonnenschein bei sanfter Brise die Hirnmuskeln locker lassen können. Hinter der zweiten Einfriedung und den einheitlich rot-gelben Sonnenschirmen legten die nur mühsam vom Lack zusammengehaltenen Ausflugskähne zu den Rundfahrten ab. Weiter außen, an den Rändern des hufeisenförmigen Beckens, verloren sich einige wenige Fischerboote.

Carlo wusste, dass sich die blühenden Landschaften noch auf dem Weg in seine Stadt befanden, doch für diese Boote könnte das zu spät kommen. Für ihn aber passte es, wie es jetzt war. Er stellte sich die südfranzösischen Küstenstädte vor, wie dort eine Schickimicki-Tussi mit Pudel nach der anderen an den Cafés entlangwandelt, vor allem, um gesehen zu werden. Obwohl sie sich vermutlich nur durch Hunderasse und Hutgröße unterschieden. Hier dagegen gab es die Vielfalt zu sehen. Vom Leben gebeugte Rentner, die auf stählernen Pollern hockend Fußballergebnisse diskutierten. Junge Muttis, die den Forscherdrang ihres Nachwuchses im Zaum zu halten versuchten, wenn dieser die Überreste eines Fisches zwischen den Rillen des Pflasters erspähte. Frisch verliebte Paare, die den stark erhöhten Strom ihrer Hormone in der Öffentlichkeit kaum zu bändigen wussten. Bereits beachtlich aufgequollene Matronen, deren einziger Lebenszweck der Austausch jener Dinge zu sein schien, die in ihrer Straße passierten. Stumme Depressive, die am Rand saßen und auf den Moment warteten, in dem sie ihren Flachmann unbeobachtet für einen Augenblick aus der Tasche ziehen konnten.

Gut gelaunt nach all dem Ausschau haltend, stoppte Carlo um 12:40 Uhr den Mahlbetrieb seiner Backenzähne. Ein Wesen, das eher nach Südfrankreich passte, betrat die Szene und nur die Tatsache, dass es ohne Hund daherkam, sorgte dafür, dass er die Bodenhaftung behielt. Mit dem Essen hielt auch die Atmung für eine Weile an. Die Frau erschien in einem Aufzug, als wollte sie eine ägyptische Tempelanlage besichtigen, wahlweise mit einer experimentellen Oper harmonieren. Wallende Tücher umhüllten eine Person, die irgendetwas zwischen fünfzig und hundertfünfzig Kilo wiegen konnte. Durch die stark ausgeschnittenen Ärmel des Kleides hätte man ebenso zwei Beine je Seite hindurchschieben können. Bei der Farbanalyse tat sich Carlo so schwer, wie Männer es für gewöhnlich tun. Sein „helles Orange“ wäre von der Ex-Gattin vermutlich mit „apricot“ abgestraft worden. Die Hose stand in der Weite den Ärmeln in nichts nach und nur auf den Treppen zum Café Herzog ließen sich die geschnürten Plateau-Sandalen für Sekundenbruchteile erahnen. Über allem schwebte ein hellbrauner, fast weißer Bast-Hut, der umgedreht als Obstschale fungieren könnte. Die Breite der Kopfbedeckung war nur durch extreme Furcht vor Sonne zu erklären, vielleicht diente sie auch als Abstandhalter.

Das Wesen nahm auf der Terrasse des Cafés nicht einfach auf einem der Stühle Platz, nein, es begann dort zu residieren. Es war jene Art, sich zu setzen, bei der die Dame von Welt offensichtlich mit den Nerven ihres Allerwertesten den Untergrund antestet und erst nach einer angemessenen Prüfdauer die Gefahrlosigkeit des sondierten Terrains zu genießen in der Lage ist. Carlo sah fasziniert zu und stellte fest, dass sie wegen der übereinandergeschlagenen Beine in der endgültigen Parkposition angekommen sein musste. Sie bestellte etwas, warf weder einen Blick in die Karte noch auf die junge Kellnerin. Als er von Salamibrot zur Käsestulle wechselte, erhielt sie einen Prosecco. Sie nippte daran und er war unsicher, ob sie die Qualität prüfte oder doch die Perlen des Getränks genoss. Der Hut verbarg, ob sie zufrieden war. Nun saß sie, von gelegentlichem Griff an das Glas abgesehen, wie eine Statue da und schien sich darin zu genügen, das Zentrum des Hafens zu sein, bereit, die Bewunderung aller lebenden und unbelebten Objekte entgegenzunehmen. Der Hut schaffte den seitlichen Platz, ihre Pose jenen natürlichen Abstand zwischen dem gemeinen Volk und der Regentin des Café Herzog, der einer Königin gebührte.

Das schöne Wetter über den Rest der Woche sorgte dafür, dass sich das Schauspiel wiederholte. Carlo traf zur üblichen Zeit an seinem Quader ein, die Hafenqueen zur Abnahme ihrer Parade immer vier Minuten später. Und selbstverständlich jeden Tag in einem anderen Outfit. Erst Donnerstag schlug Carlos Bewunderung in weitergehendes Interesse um. Ihn verwirrte, dass diese Komposition aus schier unerschöpflichem Kleiderreservoire und gleichbleibend hohen Haltungsnoten um Punkt 13 Uhr aufstand, etwas Geld auf den Tisch legte und sich wesentlich schnelleren Schrittes entfernte, als sie zuvor gekommen war. Freitag wartete er zur gewohnten Zeit auf sie und wurde nicht enttäuscht. Sie trug eine Kopfbedeckung in der Art eines Sombreros, der allerdings bei neunzig Grad gewaschen worden sein musste, denn es fehlte ihm deutlich an Größe. Dazu einen beigen Hosenanzug mit einem pistazienfarbenen Gürtel, dessen Schnalle in seinen Augen einem Kanaldeckel glich. Auf die Minute erhob sie sich, platzierte das Geld und ließ einen Rest Schaum des Latte macchiato sowie einige ehrfürchtig Blickende an den Nachbartischen zurück. Carlo sah auf die Uhr. Er hatte schon frei, seine Schicht war freitags bereits mittags zu Ende und so wollte er gemütlich hinter ihr herschlendern. Doch Madame war ausgesprochen forschen Schrittes unterwegs. Mühe bereitete es ihm noch nicht, aber es bedurfte einer guten Kondition, ihr zu folgen.

Durch einige Straßen ging es im Zickzack, sie huschte, für ihn unerwartet, sogar zwischen parkenden Autos hindurch. Die Grandezza ihres Auftrittes im Café war einer überraschenden Hektik gewichen. Am Ende eines Zebrastreifens öffnete sie den Gürtel und zog ihn aus den Schlaufen. Wenige Meter weiter, vor einem unscheinbaren Hauseingang, riss sie den Hut vom Kopf, ordnete sich in mechanischen Bewegungen das schulterlange Haar und sah sich zu beiden Seiten nach hinten um. Carlo konnte ihr Gesicht sehen und er wünschte, sie hätte gelächelt. Sie tat ihm den Gefallen nicht, sondern zwängte sich eilig durch die angesteuerte Tür. Sein Blick fiel auf das Schild daneben: 'Stadttheater'.

In genau diesem Theater saß er einen Tag später. Das Boulevard-Stück war unterhaltsam, riss ihn aber nicht von den Sitzen. Dennoch verfolgte er die Verwechslungskomödie mit einem steten Schmunzeln im Gesicht. An der Garderobe löste er seine Jacke wieder aus und trat Pläne schmiedend hinaus in die Nacht.

Montag, um Punkt 12:38 Uhr, saß er im einzigen Smoking, den er trotz erfolgloser erster Ehe schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht ausrangieren konnte, im Café Herzog und wartete. Sie kam, diesmal in einem textilen Urschrei aus den Siebzigern. Sie ging als Ampel, bloß dass der gelbe Hut oben saß, das froschfarbene Blüschen in der Mitte und die grellrote Hose unten. Ein voluminöser Plastikgürtel in der Farbe der Kopfbedeckung schien eine Warnung zu sein, sie nicht zu berühren. Doch kaum hatte sie sich gesetzt, stand Carlo auf.

„Gestatten Gnädigste, dass ich mich vorstelle? Münchhausen, Baron. Darf ich Sie auf ein Getränk einladen?“
Sie sah zur Seite, nicht der Hauch eines Mienenspiels wich am Abstandhalter vorbei nach oben. Sie war offenbar verwirrt, brachte erst keinen Ton heraus.
„Münchhausen“, sagte sie plötzlich, „wie lächerlich. Sie sind gar nicht passend dafür angezogen.“
„Das stimmt“, antwortete er und setzte sich einfach. „Aber mir fehlen ja auch Ihre Möglichkeiten, was Kleidung angeht. In meiner Wäscherei gibt es nur Laken und Handtücher. Bei Ihnen im Theater geht da schon viel mehr.“
Er legte eine Garderobenmarke auf den Tisch.
„Hier“, sagte er, „die haben Sie gestern nicht von meiner Jacke abgemacht, als Sie sie mir zurückgegeben haben. Ich kenne Ihr kleines Geheimnis.“
Sie war nervös, kramte in der Handtasche.
„Entspannen Sie sich! Was möchten Sie trinken? Wir haben noch achtzehn Minuten, dann muss ich wieder an meine Bügelmaschine zurück und Sie in die Garderobe. Ich heiße übrigens Carlo. Mir gefällt Ihre Art von Mittagspause.“

Version 2

Letzte Aktualisierung: 08.03.2015 - 19.49 Uhr
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