Der himmelblaue Schmengeling
Der himmelblaue Schmengeling
Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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Alles nur Show | März 2015
Faites votre jeu
von Hajo Nitschke

„Ähem … Ich grüße alle anwesenden jenseitigen Freunde und bitte um Beistand und gute Gedanken. Erfüllt den Raum mit Weisheit und Liebe ...“

„Amen.“

„... und schickt uns ein Zeichen eurer Gegenwart.“ Der durchreisende Exorzist und Heiler versinkt in Trance, um nach einigen Minuten drei Mal mit dem Kopf zu zucken. Danach, langsam zu sich kommend:

„Ich danke euch in Demut. Wir sind heute zu Gast in Moorfeld. Es ist Dienstag, der 03.03.2015, äh … 16.00 Uhr. Vor mir sitzt wieder ein Geschöpf Gottes, das unserer Hilfe bedarf. Es ist ...“

„Leitersdorf … Johann Leitersdorf.“

„Friede sei mit dir, Bruder Johann.Was immer dich quält, du wirst gereinigt nach Hause gehen, ich garantiere es. Nun, so schütte dein Herz aus, lieber Freund.“

„Ich …. äh – also ich glaube, dass ich … äh … besessen bin. Wissen Sie, mir kommt es vor, als ob mich eine unsichtbare Kraft in die Spielcasinos und an die Hinterhaus-Spieltische lenkt. Das bin nicht ich! Immer wieder ...“

„Ah – Spielsucht. Da bist du hier genau richtig. Gerade auf diesem Gebiet habe ich eine hundertprozentige Erfolgsquote, sei unbesorgt. Süchte werden durch Geister erzeugt, die in uns gefahren sind, um durch uns ganz folgenlos ihre Leidenschaften ausleben zu können. Seit wann …?“

„Seit der Pubertät.“ Der Besucher seufzt mit betrübter Miene.

„Aha. Das ist ganz typisch ...“

„Es fing mit kleinen Wetten auf dem Schulhof an. Bald ging es um's Taschengeld, später um sehr viel mehr. Tausende, Zehntausende, und kein Ende. Wie im Fieber. Ich wollte aufhören, konnte es aber nicht. Inzwischen stehe ich vor dem Ruin, hab mich uferlos verschuldet.“

„Typisch. Diese unreinen Geister ködern ihr Opfer mit harmlosen Kleinigkeiten. Bis sie dich fest im Griff haben, dann folgt die Heimsuchung. Du brauchst Beistand, Bruder. Wir schaffen das. Gemeinsam.“

„Ja. Ich bin am Ende. Roulette, Poker, Baccarat, Black Jack, um nur einige zu nennen … Und dann diese Glücksspielautomaten ...“

„Typisch, lieber Freund, typisch.“

„Etwas ist in meinem Kopf, das treibt mich an, ob ich will oder nicht. Aber sehen Sie doch ...“ Leitersdorf deutet auf fünf flackernde Kerzen – drei rote, zwei weiße: „Ein Full House!“ Er wischt sich den Schweiß von der Stirn: “Verstehen Sie? Man kommt nicht davon los, denkt nur noch an Straight Flush, Vierling, Royal Flush ...“ (seufzt:) „Und man lebt nur noch in Rouge und Noir, Pair und Impair ...“

„Natürlich. Das ist bekannt. Aber Mut, mein Bester, du bist nicht allein. Meine jenseitigen Helfer und ich werden den bösen Glücksspielgeist austreiben.“

Der Gast sieht sich um. „Ich bin Ihnen so dankbar, Meister. Wie hoch sind noch mal Ihre ...äh … Auslagen?“

„Ich will mich an deiner Not nicht bereichern, mein Sohn. Gib einfach, was du geben kannst.“

Johann Leitersdorf blättert einige Scheine hin. Darauf der Andere, nach einem verstohlenen Blick auf selbige:

„Vergessen wir den Mammon, fangen wir an. Bist du bereit, Freund?“ Der Gottesmann ordnet feierlich eine stattliche Zahl von Heilkraft verheißenden Steinen, streift eine weiße Toga über den fülligen Leib, breitet mit messianischer Geste die Arme aus und ruft: „Oh, ihr guten Seelen, alle Heiligen und Schutzgeister, verleiht eurem Diener Kraft, auf dass er dieses arme Geschöpf frei machen kann. Kommt näher, Freunde aus einer anderen Welt. Näher. Noch näher.“ Er blickt intensiv in verschiedene Richtungen, um sich dann einer unsichtbaren Prozession anzuschließen. Sie führt ihn in dem matt illuminierten Tagungssaal des einzigen örtlichen Hotels langsam im Kreis um den Probanden herum. Der Kreis wird enger. Jener will zurückweichen.

„Fürchte dich nicht, mein Sohn!“ Die Stimme des Meisters klingt plötzlich um fast eine Oktave tiefer. Johann Leitersdorf, zurück auf seinen Stuhl gedrückt, blickt um sich … und schaltet während eines Hustenanfalles unauffällig ein kleines, verborgenes Mikrofon in der Hosentasche ein. Der Meister hat die Arme erhoben wie einst Moses während der Schlacht mit den heidnischen Heeren. Seine graumelierten Haare leuchten im Kerzenflackern wie ein Heiligenschein. Meditationsmusik ertönt, die Luft füllt sich mit Weihrauch. Engelschöre vom Band. Leitersdorf lässt langsam den Kopf sinken, gibt sich entspannt.

„Ich rufe den bösen Glücksspielgeist in meinem Bruder Johann. Nenn uns deinen Namen!“ Liegt es an der Sphärenmusik? Leitersdorf jedenfalls hört nichts. – „Asphahat also, aha … Wie alt bist du, Asphahat?“ Wieder kann der Proband nichts anderes hören als leise Streicher, untermalt von sanftem Wellenrauschen. „Zehn mal hundert Jahre!?“ Der Graumelierte lässt sich in einen schweren Sessel fallen, sackt in sich zusammen und rauft sich die Haare: „Ein besonders schwerer Fall! Ihr guten Mächte der Anderwelt, lasst euren Diener nicht im Stich!“ Mühsam erhebt er sich und tritt vor Leitersdorf hin:

„Höre, Asphahat: Lange genug schon irrst du durch die Welt der Lebenden. Du suchst bei uns deine Opfer und verschmähst die dir zugedachte Höherentwicklung. Wisse, dieses Kind Gottes hier ist unschuldig. Unschuldig, hörst du, Asphahat? Du wirst jetzt diesen unrechtmäßig besetzten Körper verlassen und dich in eine höhere Sphäre zurückziehen. Du wirst ausziehen, Asphahat, ich befehle es. Unser Bruder wird aufstehen und als Befreiter in eine Zeit von Licht und Hoffnung schreiten! Seine Sucht wird Geschichte sein. Du aber wirst nicht mehr wiederkehren.“

(und mit übergangslos schmeichelnder, gütiger Stimme:) „Sei ohne Angst, du wirst dich nicht auflösen. Ich will dir nichts Arges. In der höheren Ebene warten geistige Helfer auf dich, du wirst es gut haben und es nicht bereuen. Also weiche.“ Er hält nun ein Kruzifix wie eine Waffe vor sich und wiederholt, diesmal lauthals und wie mit Peitschenhieben: „Weiche, Asphahat, weiche! – Jetzt!“

Leitersdorf wiegt sich hin und her, verkrampft sich, verfällt kurz in Starre, um sich dann zu schütteln und vom Stuhl zu sinken. Durch scheinbar geschlossene Lider nimmt er ein ungläubiges Stutzen des Meisters wahr. Aus kalkweißem Gesicht fällt ein schockierter Blick auf ihn, den am Boden Liegenden. Mit schwacher Stimme – inzwischen wieder in der ursprünglichen Tonlage – fährt der Entsetzte fort:

„Fahre … äh … aus! Hebe dich von dannen … äh … Aspha … phahar … phahat ... Mache dich fort, äh ...“ Auf Leitersdorfs Lippen bildet sich Schaum, er hat die Augen verdreht. Der Meister, mit weit aufgerissenen Augen, stammelt zurückweichend:

„In Nomini Patri ...“ Leitersdorf erhebt sich drohend. „... et fili ...“ Leitersdorf streckt die Hände zu Krallen und geht langsam, wie mechanisch, vorwärts. Der Andere lässt das Kruzifix fallen und springt hinter den Sessel: “... spiri … äh … spiritus … äh … sancti ...“

Es geht alles schnell. Zu schnell. Unheimlich schnell. Mit lautem Scheppern rasseln die stählernen Rollos vor den Fenstern herunter, drehen sich von außen Schlüssel in den Schlössern der beiden Ausgangstüren, schnappen Riegel ein und werden die fünf Kerzen von unsichtbarer Hand zu Boden geschleudert. Auslegeware, Vorhänge und die mit Samt verkleideten Wände lodern im Handumdrehen auf, der Raum ist mit beißendem Qualm erfüllt. Die Decke steht in Flammen, schwere Balken krachen zu Boden, Regale fallen um. Ein Bombardement aus Heilsteinen, Besteck aus aufspringenden Schubladen, Uhren und sonstigen Gegenständen prasselt auf die beiden hernieder: Geschosse eines unsichtbaren Kanoniers.

Johann Leitersdorf ist unter gleich drei rot glühenden Balken begraben. Durch versengte Brauen sieht er, wie der Leib des von einem Heilstein niedergestreckten besinnungslosen Meisters von zwei – nur noch schwach als weiß lackiert auszumachenden – Vitrinen festgenagelt wird. 'Full House', schießt es ihm durch die schwindenden Sinne. Er möchte zynisch loslachen, aber die Kehle bringt keinen Ton mehr heraus.

Einstürzende Wände und zusammenfallende Schränke türmen sich auf, verwandeln den Saal in ein einziges Trümmerfeld. Gefangen inmitten eines Flammenmeeres. Das Letzte, das der Undercover-Reporter durch das Knistern des Feuers wahrnimmt, sind Streicherklänge, die der Höllenglut trotzen und sich zu einem Crescendo erheben. Seine Lungen versagen, die Haut wirft Blasen. Ein allerletzter Gedanke schleicht sich ein und entschwindet:

'Rien … ne … va … pl ...'




(c) Hajo Nitschke, V3

Letzte Aktualisierung: 04.03.2015 - 20.18 Uhr
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