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Mord und Totschlag | April 2015
Mary-Lous erster Mordfall
von Eva Fischer

Mary-Lou legte resigniert die Fernsehzeitschrift beiseite. Krimis ĂŒberschwemmten die KanĂ€le wie eine grĂŒne Algenpest. Wer wollte schon tĂ€glich eine Leiche sehen? Am meisten nervte Mary-Lou jedoch, dass die Kommissarinnen enge Jeans und lange schwarze Haare trugen. In Highheels rannten sie hinter den Verbrechern her, die es in Turnschuhen nicht schafften, ihnen davonzulaufen. Sie arbeiteten die NĂ€chte durch, ohne erkennbare ErmĂŒdungserscheinungen zu zeigen, und hatten mit ihren SchmollmĂŒndern noch Zeit fĂŒr ein SchĂ€ferstĂŒndchen. Krimis waren die reinsten MĂ€rchenstunden, hatten mit der RealitĂ€t nichts gemein, fand Mary-Lou und sie wusste, wovon die Rede war.
Sie war selbst Polizeibeamtin seit ĂŒber zwanzig Jahren in einer gottverlassenen Kleinstadt. Mary-Lous Haare waren straßenköterblond, eher kurz und widerspenstig. Zwar war sie schlank und körperlich durchtrainiert, aber einem Verbrecher war sie noch nie hinterhergespurtet. Mehr Sorgen als die Verbrecher bereitete ihr eher ihre 80-jĂ€hrige Mutter, mit der sie seit dem Tod ihres Vaters zusammenlebte. Diese hatte es sich zur Aufgabe gemacht, sie abends mit warmen Essen zu versorgen, ihr ein Schaumbad einzulassen, ihr jegliche Hausarbeit abzunehmen. SĂ€mtliche mĂ€nnlichen Bewerber ihrer Tochter – und es waren nicht viele gewesen - schlug sie durch ihre nörgelnde Kritik in die Flucht, bis sie schließlich ganz wegblieben. Mittlerweile war Mary-Lou ĂŒber 50 und die Chancen auf einen Ehemann gingen auf Null. Damit hatte sie sich im Grunde schon abgefunden, weniger mit den diversen Krankheitsgeschichten ihrer Mutter. Bisher habe ich dich versorgt, jetzt bist du dran, mein Kind, war der unausgesprochene Tenor. Und so rieb sie ihr die Schultern ein, googelte im Internet den Hintergrund ihrer Krankheiten, kochte ihr Tees und vitaminreiche Kost, ĂŒberzog ihr Bett oder saugte den Teppichboden und freute sich mit ihr, wenn eine Krankheit ĂŒberwunden war, obwohl die nĂ€chste kommen wĂŒrde so sicher wie die nĂ€chste Nacht. Auch wĂ€hrend der krankheitsfreien Zeit - selten genug - ließ ihre Mutter nicht von ihrem wachsenden Alterspessimismus ab. Die Welt ist schlecht, wurde ihr Mantra. War dieTĂ€tigkeit ihrer Tochter nicht Beweis genug?
Die Welt war, ist und bleibt schlecht, das ist ein Naturgesetz, dachte auch Mary-Lou. Allerdings gab die Kleinstadt wenig her, diese These zu stĂŒtzen. Jugendliche hatten gegen das BetĂ€ubungsmittelgesetz verstoßen, weil sie die gĂ€hnende Langeweile eines Ortes nicht aushielten, der außer einem Einkaufszentrum nichts zu bieten hatte. MĂ€nner waren aufgrund zu hohen Alkoholkonsums in den Kneipen handgreiflich geworden und hatten ihrem vermeintlichen Gegner die Nase blutig geschlagen. Nachdem sie den Rausch ausgeschlafen hatten, kam es zu herzzereißenden VerbrĂŒderungsszenen. Teenies versuchten als Mutprobe Videospiele zu klauen. Meist wurden sie von der VerkĂ€uferin erwischt. Sie telefonierte mit den Eltern, die ihre Sprösslinge abholten und ihnen den Hosenboden stramm zogen. All dies geschah, ohne Mary-Lou zu behelligen, die mit der Pflege ihrer Mutter wahrlich Besseres zu tun hatte.
Jeder kannte hier jeden. Jeder passte hier auf jeden auf. Die Polizeibeamtin reprĂ€sentierte die Sicherheit des Ortes und wurde wie der Pfarrer als Respektsperson behandelt. Beide garantierten das Seelenheil, der eine im Diesseits, der andere im Jenseits. Einen Mord hatte es jedenfalls in den letzten zwanzig Jahren hier nicht gegeben, und wenn, so blieb er unbemerkt. Alte Menschen starben. Das war doch nur zu natĂŒrlich. Meist starben sie in ihrem Bett, wie sich das gehörte.
Mary-Lou hĂ€tte die Zeit bis zu ihrer Pensionierung auch noch gerne ohne Mord abgesessen, aber eines Freitagabends - es war der dreizehnte- als sie ihr BĂŒro verlassen wollte, lag tatsĂ€chlich eine Tote vor ihrer TĂŒr. Die Identifizierung ging schnell, denn Mary-Lou erkannte die Huberin sofort, auch wenn diese seit einigen Jahren eher zurĂŒckgezogen lebte. Sie war eine Klassenkameradin ihrer Mutter gewesen und hĂ€tte man sie tot in ihrem Bett gefunden, so hĂ€tte alles seine Richtigkeit gehabt. Vielleicht war sie an altersbedingter HerzschwĂ€che gestorben, aber als Mary-Lou die Huberin auf den RĂŒcken drehte, da war ein Messer nicht zu ĂŒbersehen.
Nun handelte es sich also um den ersten Mordfall in Angerhausen. So ein Mist, dachte Mary-Lou und telefonierte erst einmal mit dem Arzt.
Der 70 jĂ€hrige Landarzt hatte es nicht besonders eilig, denn Tote könne er nicht zum Leben erwecken, dafĂŒr sei eher der Pfarrer zustĂ€ndig. Er lachte ĂŒber seinen Witz in den Telefonhörer, weil er sich sicher sein konnte, dass es sonst niemand tat. „Wenn Sie nicht sofort kommen, dann kriegt meine Mutter einen Herzinfarkt, weil sie denkt, mir ist etwas passiert. Dann ist Ihr Feierabend endgĂŒltig futsch“, versuchte Mary-Lou ihn auf Trab zu bringen.
Wenig spĂ€ter konnte der Arzt den Tod der Huberin nur noch amtlich bestĂ€tigen. Nun musste der Leichnam der Gerichtsmedizin in der nĂ€chsten Kreisstadt ĂŒbergeben werden. Wer war nun zustĂ€ndig fĂŒr die KlĂ€rung des Mordfalls?

Am nĂ€chsten Tag meldete sich ein Kommissar Juraschek bei Mary-Lou. Sie fand, auch er Ă€hnelte in keiner Weise einem Krimihelden. Er erinnerte sie eher an einen in die Jahre gekommenen Schuljungen und löste bei ihr bis jetzt brachliegende mĂŒtterliche GefĂŒhle aus.
Sie lud ihn zu sich nach Hause zu einer Tasse Kaffee ein. Ihre Mutter schien durch den Mord an ihrer ehemaligen Klassenkameradin geradezu aufgeblĂŒht zu sein, denn sie hatte sogar einen Apfelkuchen gebacken und Sahne geschlagen. Sie fand es wahnsinnig spannend, von einem echten Kommissar befragt zu werden. So erzĂ€hlte sie –wĂ€hrend hektische Flecken auf ihrem Hals wuchsen - von ihrer ehemaligen Freundin.

Marianne Feldhoff sei in der Schulzeit eine graue Maus gewesen, die keiner weiter beachtet habe, bis sie Hans Huber kennenlernte, einen Installateur, der dafĂŒr sorgte, dass in dem Ort die Rohre reibungslos funktionierten. Die Ehe sei glĂŒcklich, wenn auch kinderlos verlaufen, bis ihr Mann vor etwa zehn Jahren tot unter dem heimischen Apfelbaum zusammengebrochen sei. Der Arzt habe Herzversagen festgestellt. Seither lebe die Huberin zurĂŒckgezogen, halte zu keinem Kontakt, sei wieder zur grauen Maus von einst mutiert.

Die Gerichtsmedizin hatte herausgefunden, dass Frau Huber den Messerstich in ihrer Wohnung erlitten haben musste und vermutlich um Hilfe suchend sich zur Polizeistation geschleppt hatte.
Leider hatten sich keinerlei Zeugen gefunden, die Frau Huber auf dem kurzen Weg von ihrer Wohnung zum PolizeibĂŒro gesehen hatten. Die Straßen waren freitagabends menschenleer. Die meisten Leute saßen beim Abendbrot oder vor dem Fernseher.
Motiv wie TÀter lagen vollkommen im Dunklen. Wer sollte ein Interesse haben, diese alte, unscheinbare Frau zu töten? Irgendwelche Spuren eines Kampfes in ihrer Wohnung oder eines Eindringlings gab es nicht. Auch wurden keinerlei WertgegenstÀnde entwendet, weil nicht vorhanden.

Herr Juraschek und Mary-Lou kamen bei der TĂ€tersuche nicht recht voran. Das unterscheidet auch wieder einen Krimi von der RealitĂ€t, dachte Mary-Lou. Dort wird der TĂ€ter meist innerhalb von 24 Stunden ĂŒberfĂŒhrt, fĂŒr den Zuschauer auf 90 Minuten reduziert.
Die TĂ€tersuche rĂŒckte fĂŒr Mary-Lou immer mehr in den Hintergrund. Viel wichtiger erschien ihr die Zusammenarbeit mit Herrn Juraschek und seine tĂ€glichen Kaffeebesuche bei ihr zu Hause. Ihre Mutter buk weiterhin eifrig Kuchen und erfreute sich bester Gesundheit. Ganz offensichtlich war endlich ein Mann gefunden worden, der zum Schwiegersohn taugte. Es stellte sich heraus, dass auch Herr Juraschek mit seiner Mutter unter einem Dach lebte, was sein Ansehen in den Augen der Mutter von Mary-Lou steigerte.
Nach einiger Zeit beschloss man, die beiden Ă€lteren Damen miteinander bekannt zu machen. Und nach weiterer Zeit zogen Mary-Lou und Bernd –so nannte Mary-Lou Herrn Juraschek mittlerweile liebevoll – zusammen. Beide MĂŒtter gaben ihre Zustimmung.
So wurde der Mordfall zwar nicht gelöst, trug aber zur Lösung anderer Probleme bei.

Kurz nach ihrem neunzigsten Geburtstag verstarb Mary-Lous Mutter. Eine ihrer zahlreichen Krankheiten hatte sich doch als tödlich erwiesen.
Im Nachlass fand Mary-Lou einen an sie adressierten Brief.

Liebste Mary-Lou!
Wenn du diesen Brief liest, werde ich meine Augen fĂŒr immer geschlossen haben. Ich weiß, wie sehr es dich bedrĂŒckt hat, dass du deinen einzigen Mordfall nicht lösen konntest.
Die AufklĂ€rung mag fĂŒr dich ein Schock sein, aber ist die Konfrontation mit der Wahrheit nicht immer schmerzlich?
Marianne Feldhoff war ein Biest, das es faustdick hinter den Ohren hatte. Sie hat mir Hans weggenommen, der, wie du wissen musst, meine große Liebe war.
Es war mir eine große Genugtuung, dass sie kein so reizendes Kind bekam wie ich. Aber Hass ist leider genauso ausdauernd wie Liebe und so habe ich ihr nie verziehen.
Am Freitag, den dreizehnten, besuchte ich sie zu Hause. Sie war zwar ĂŒberrascht, aber sie glaubte tatsĂ€chlich, ich hĂ€tte ihr vergeben, wir könnten wieder Freundinnen sein.
Das Messer trug ich bereits in meiner Tasche. Als sie mir den RĂŒcken zuwandte, stach ich zu.
Mein Vater war Metzger und ich habe Erfahrung, wie man ein Schwein schnell tötet, denn nichts anderes war Marianne. Sie konnte es nicht fassen, hat noch nicht einmal geschrien. Sie schleppte sich zu dir, um mich zu verpetzen, aber ich wusste, der Tod wĂŒrde schneller sein.
Als Mutter einer Polizeibeamtin war es nicht schwer, die Spuren zu beseitigen, und ihr beiden TurteltÀubchen habt es mir leicht gemacht.
Glaube mir, ich bereue nichts.
Die Welt ist schlecht. Das wird fĂŒr dich nichts Neues sein.
Es liegt an dir, was du mit diesem Brief anfÀngst.
Deine dich immer liebende Mutter.


Mary-Lou nahm den Brief und verbrannte ihn zusammen mit den alten, von den BÀumen gefegten BlÀttern.
Sie ging zurĂŒck ins Haus.
„Du siehst blass aus, Liebling. Der Tod deiner Mutter hat dich wohl mitgenommen.“
Bernd legte seinen Arm um sie.
„Wir sollten verreisen“, schlug er vor.
„Ja, das sollten wir.“ Sie lĂ€chelte ihn dankbar an.


2. Fassung

Letzte Aktualisierung: 07.04.2015 - 13.01 Uhr
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