Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Mord und Totschlag | April 2015
Auf die subtile Art
von Klaus Freise

Eigentlich neige ich nicht zu Gewalt, aber manchmal neigt sich die Gewalt zu mir. Wie an diesem sonnigen Tag in Garrison, New Jersey.
Ich war mit Bill auf Tour, ausstehende Kredite eintreiben. Mein Boss war der Herr über die Finanzen, die in keiner Buchführung auftauchten. Seine Schäfchen waren Menschen, die Geld ausgaben, das sie nicht besaßen. Deren Leben sich im freien Fall befand. Die unter finanziellem Realitätsverlust litten. Ehemalige Neureiche, die zu Neuschuldnern wurden. Strudelschwimmer, wie ich sie auch nannte. Sie ruderten durch ihre scheinbar heile Welt, ohne die Rotation, die sie in die Tiefe zog, überhaupt wahrzunehmen. Sie hatten sich einen eigenen Mechanismus der Verdrängung angeeignet, um die letzten Worte ihrer Bank, meist in schriftlicher Form von der Rechtsabteilung, zu ignorieren: „Kreditlinie überschritten … persönliches Gespräch dringend erforderlich …“
Geld stinkt nicht, aber die Hand, die es gibt, schon. Auf den Touren zu meinen Opfern fielen mir immer neue Metaphern ein. In der Branche nannten mich einige schon den „Philosoph“. Natürlich nur hinter vorgehaltener Hand.
Ich suchte gerne das persönliche Gespräch mit den Kreditnehmern. Die detaillierte Erörterung der Problematik war mein Spezialgebiet. Früher war ich noch direkter, vielleicht auch ergebnisorientierter. Inzwischen verwende ich keinen Baseballschläger mehr, um Kniescheiben zu zertrümmern. Nein, ein Teleskopstab tut es auch. Viel kompakter zu transportieren. Oder ein Stechbeitel, wie ihn Tischler verwenden. Am kleinen Finger der linken Hand angesetzt und mit einem kurzen, aber energischen Hieb auf das Griffstück und schon liegt der meist manikürte Finger auf dem Küchentisch.
Außerdem übe ich den Nachdruck jetzt lieber auf die Angehörigen und Familienmitglieder aus. Die Ehefrauen oder älteren Kinder können sehr überzeugend auf den Kreditnehmer einwirken. Viel besser als die wiederholte persönliche Ansprache.
Ein Sohn, dessen Footballkarriere am College durch eine Fraktur am Knie abrupt beendet wird, oder die Ehefrau, vielleicht auch eine Geliebte, die heulend in der Notaufnahme abgeholt werden muss und den überraschenden Verlust ihres Fingers beklagt.
Ich nenne so etwas subtil. Ich habs nachgeschlagen. Also, „subtil“ meine ich. Billy meint, man könne das heute auch googeln. Subtil ist, wenn ich mein Ziel erreiche ohne direkt Gewalt am Kreditnehmer anzuwenden.
Heute zum Beispiel. Leroy Evans, 48 Jahre, Zahnarzt mit Praxis in Manhattan. 42.000 Dollar. Er hatte damit einen Ford Lincoln „Navigator“ für seine Frau gekauft.
Ein 2,5 Tonnen-SUV, gut sechs Meter lang, V8-Motor mit 400 PS und einem Verbrauch von über 20 Litern. Ideal für die kleinen Einkäufe in der Stadt.
Zweimal hatte ich seine Praxis besucht und ihm nahegelegt endlich zurückzuzahlen. Der zweite Besuch war etwas weniger subtil.
Ich schickte die Sprechstundenhilfe aus dem Behandlungszimmer, nahm einen Bohrer, presste den verdutzten Leroy in den Sitz und hielt den surrenden Bohrer vor sein Gesicht. Ich gebe zu, dass der Film „Der Marathon-Mann“ mit Dustin Hoffmann mich bei dieser Szene inspirierte.
Leider blieb auch diese Art der Zahlungsaufforderung erfolglos.
Nun also ein Hausbesuch in Garrison. Trautes Heim, naja, Heim war schon ziemlich untertrieben. Es war eins dieser von betrunkenen Architekten konzipierten Designerdingern. Ein schwarzweißer Klotz, mit einer glänzenden Basaltplatten-Auffahrt.
Die Fensterahmen in asphaltgrau, ebenso wie die Panzerschrank- Haustür mit klobiger Edelstahl-Türklinke. Aber in der Einfahrt stand ein schwarzer „Navigator“ und ein Mercedes SL „Pagode“.
Billy und ich fuhren einen grauen Crown Victoria. Ein ehemaliger Behördenwagen. Von einer der Drei-Buchstaben-Company. Wir standen an einer Querstraße und beobachteten den gepflegten Vorgarten. Typisch für Garrison. Alles top. Wenn einem hier ein Hotdog auf den Gehweg fiel, konnte man es ohne Probleme aufheben und weiteressen. Okay, die Zwiebel und Gurken waren natürlich hin.
Es war acht Uhr, als Leroy das Haus verließ. Im Anzug mit einem kleinen Aktenkoffer. Er ließ einen Abschiedskuss seiner Frau über sich ergehen, stieg in den Benz und fuhr davon. Wir warteten, bis er hinter der nächsten Kurve verschwand und stiegen aus.
Es war so leicht. Kein Türspion. Ich klingelte. Sie riss die Tür auf, kam einen Schritt heraus und erstarrte.
„Na, Schatz, hast du etwas vergess …“
Ich lese ja gern in Gesichtern. Freudige Erwartung, Entäuschung und Überraschung, die in Panik umschlägt. Alles in einer Sekunde abzulesen in einem ca. fünfundfünfzig jährigen Gesicht, das in stundenlanger Handarbeit aufgetakelt und verspachtelt wie sechsundsechzig aussah. Wer liest da noch in Büchern.
Sie stutzte.
„Wer sind Sie denn?“
Zu meiner Auffassung von subtil gehört auch eine korrekte Kleidung. Anzug, Hemd und Krawatte. Der Anzug nicht zu dunkel, eher silbergrau. Es gab da mal Anspielungen auf die Zeugen Jehovas. Das Hemd, nicht weiß, schon wegen möglicher Blutstropfen, sondern blau.
„Sind Sie Mrs. Evans?“
Sie starrte erst mich und dann Billy an, der leider seiner Kleidung nicht immer genug Aufmerksamkeit schenkte. Jeans, schwarzes T-Shirt mit Totenkopfaufdruck und verblasste Sneakers. Nach unserem Auftritt hier musste ich ihn mal beiseite nehmen, verschreckt ja die Kundschaft.
„Verzeihen Sie die Störung, aber wir sollten lieber drinnen weiterreden.“
Jetzt zuckten ihre Augen hektisch hin und her, sie war kurz davor hysterisch zu werden. Ich weiß, wann Frauen hysterisch werden. Schnell streckte ich die Hand aus, hielt sie vor ihr verdutztes Gesicht und schnippte kräftig mit dem Zeigefinger auf ihre Nase.
Tränen schossen ihr in die Augen. Keuchend riss sie die Hände vor ihr Gesicht.
Bevor Mrs. Evans schreien konnte, packte ich mit der Rechten ihren dürren Schwanenhals, hob sie hoch und schob sie durch die Tür. Billy folgte und schob mit dem Hintern die Haustür ins Schloss.
Das hässliche Design setzte sich im Flur fort. Der Fußboden mit Schachbrettmuster- Marmorfliesen und eine schiefergrau gehaltene Bordüre verschandelt. Die Türen in schwarzem Klavierlack. Gemütlich wie beim Zahnarzt. Im Wohnzimmer sah es nicht besser aus. Die bodentiefen Fenster grau eingerahmt mit Blick auf Garten und Pool.
Weißer Langfaserteppich, schwarze Ledersofas und eine schiefergraue Bar im Essbereich. Vor meinem Gesicht zappelte die rot angelaufene Mrs. Evans, schnell setzte ich sie aufs Sofa. Das Polster gab kaum unter ihr nach. Das Training im Fitnessstudio hatte sie auf vielleicht achtzig Pfund runtergemagert. In kurzen Sätzen erläuterte ich ihr unseren Besuch. Natürlich brach sie in Tränen aus, weil ihr Gatte von Schulden nie etwas erwähnt hatte. Ich gebe den Leuten in solchen Momenten tiefer Verzweiflung gern ein paar Minuten. Sie schniefte. Ich gab ihr ein Taschentuch.
Doch Mitgefühl wird manchmal auch falsch interpretiert. Mit einem Mal richtete sie sich auf und starrte mich durch ihren Maskaraschleier wütend an.
„Ich glaube Ihnen kein Wort. Sie werden jetzt sofort gehen oder ich rufe die Polizei.“
Sie sprang auf und griff nach einem Telefon, das auf dem hässlichen ovalen Glastisch lag, an dem Billy sich schon beim Reinkommen das Knie gestoßen hatte.
Da das Kontaktieren der Cops nicht zielorientiert war und sie schon wieder hysterisch zu werden drohte, streckte ich die Hand aus und schnippte gegen ihre linke Silikonbrustwarze. Die Reaktion war verblüffend. Sie ließ das Telefon fallen und presste beide Hände vor den für ihre Figur zu großen Busen.
Während sie schluchzend aufs Sofa sank, setzte ich mich daneben und griff durch ihre betonharte Drahtfrisur ihren Hinterkopf.
Da ich langsam zu einer Win-to-Win-Situation kommen wollte, drehte ich ihren Kopf ruckartig in meine Richtung. Ich kann es nicht leiden, wenn ich die Problemstellung erörtere und man mich nicht ansieht.
„Jetzt hören Sie mir gut zu, Mrs. Evans, Sie werden jetzt Ihren Mann anrufen und ihm sagen, dass wir den „Navigator“ mitnehmen und …“

Knack

Billy starrte mich an. Ich starrte Billy an.
„Scheiße“, sagte Billy.
„Scheiße“, sagte ich.
Mrs. Evans hätte sicher auch „Scheiße“ gesagt, aber …
„Hast du ihr etwa das Genick …?“, flüsterte Billy.
Ich ließ Misses Evans kleinen Kopf vorsichtig los. Sie fiel in sich zusammen wie eine Marionette ohne Fäden.
Ich musste nachdenken.

Knack bedeutete aktive Sterbehilfe, schlimmstenfalls Mord.
Knack bedeutete Flucht und Vertreibung durch die Cops.
Knack bedeutete Ärger mit meinem Boss.
Knack bedeutete, Gehe nicht über Los und ziehe 42.000 Dollar ein.

Knack war scheiße.

Letzte Aktualisierung: 27.04.2015 - 19.44 Uhr
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