Der himmelblaue Schmengeling
Der himmelblaue Schmengeling
Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Lou Lila IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Mord und Totschlag | April 2015
Die Beerdigung
von Lou Lila

Sie stand vor der Glasfront ihres Wohnzimmers, den gesamten Garten überblickend. Dicke Schneeflocken landeten weich auf den akkurat geschnittenen Buchsbaumkugeln, um dort zu einer dicken Schneedecke zusammenzuwachsen, die alle Geräusche verschluckte. Die Stille im Garten war greifbar nah. Gern wäre sie ein Teil von ihr geworden. Stattdessen drehte sie sich um und ließ den Garten hinter sich. Die Geräusche des Hauses strömten augenblicklich auf sie ein. Die trauernden Gäste, die sich weitläufig in ihrem Wohnzimmer verteilt hatten, bestanden schätzungsweise aus 50 Personen. Heute war die Größe des Hauses nützlich. Trotz der Menschenmenge gab es keinerlei Gedränge. Zum letztmöglichen Zeitpunkt zahlte sich sein Wunsch das Haus zu kaufen aus. Sie hatte das Haus nicht gewollt. Aber ihr Wille hatte nie gezählt.

Ein Geschäftspartner ihres Mannes kam auf sie zu, um sein Beileid zu bekunden. Sie hörte nicht zu, sondern schaute sich die zumeist unbekannten Gäste an, die ihr egal waren. Sie hatte an der Seite eines Firmenmagnaten gelebt. Das war alles. Die Menschen in ihrem Umfeld kannten sie nicht. Er hatte sie in einen goldenen Käfig gesperrt und sie herausgeholt, wenn es für ihn von Nutzen gewesen war. Sie hatte sein Spiel die ganzen Jahre mitgespielt. Vielleicht aus Angst, vielleicht aus Bequemlichkeit? Ab heute würde alles anders werden, auch wenn sie noch nicht wusste wie. Sie nahm sich einen weiteren Cognac. Der erste hatte keine Spuren hinterlassen. Übung macht den Meister. Bei diesem Gedanken musste sie lächeln. Dazu hatte sie in der Vergangenheit selten Gelegenheit gehabt. Gedankenverloren nippte sie an ihrem Drink, schaute sich um und entdeckte das rote lange Haar der Frau. Sie hatte sich tatsächlich zu seiner Beerdigung gewagt. Das Spiel konnte beginnen. Ihr Herz begann zu klopfen. Ab jetzt musste sie alles richtig machen. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie die junge Frau. Sie schüttelte immer wieder ihre langen roten Haare. Ob sie sich dessen bewusst war? Natürlich, diese Frau tat nichts ohne Grund. Für eine Beerdigung war ihr Rock zu kurz und der Ausschnitt zu tief. Alles an ihr strahlte Siegessicherheit aus. Es war nur eine Frage der Zeit bis sie den Weg zur trauernden Witwe finden würde. Während diese immer wieder an ihrem Getränk nippte, suchte die Frau den Blickkontakt zu ihr, wartend auf den geeigneten Moment. Die Entscheidung über den richtigen Zeitpunkt würde die Witwe heute selbst treffen. Sie trat erst ans Fenster und dann mit dem fast leeren Cognacglas vor die Tür. Mit der Gewissheit, dass die Rothaarige den Moment nutzen würde. Sofort war sie Teil der Ruhe, mit der Gewissheit, alles konnte gut werden. Sie atmete ein und genoss die sinkenden Schneeflocken und die Eiseskälte. Wie erwartet trat kurze Zeit später die Frau neben sie. Die Witwe lächelte leicht. Die roten Haare der Frau leuchteten in der Winterlandschaft. Beide Frauen schwiegen. Ihr Atem war das einzige Geräusch im Garten. Es vergingen einige Momente, dann richtete sie ihre Worte an die trauernde Witwe.

„Es tut mir sehr leid, dass ihr Mann tot ist. Er war ein guter Chef. Mein aufrichtiges Beileid!“ Während die Frau sprach, hatten sich ihre Hände immer weiter in ihre Manteltaschen vergraben. Die Witwe trank ihr Glas leer und sagte: „Vielen Dank für ihre Anteilnahme, aber sie sollten nicht so bescheiden sein.“ „Bescheiden?“, fragte die Rothaarige, während sie reglos in den Garten schaute. Sie war schön, fand die Witwe. Was Frauen anging, hatte ihr Mann immer guten Geschmack bewiesen. „Ich denke, sie kannten meinen verstorbenen Mann besser, als sie zugeben wollen.“ Dabei hielt sie das Glas fest in den Händen und wünschte sich, es möge sich füllen. Die Rothaarige atmete geräuschvoll aus und fragte: „Woher wussten Sie es?“ Die Witwe lachte und antwortete: „Ich wusste immer über seine Affären bescheid! Hat er versprochen Sie zu heiraten? Das tat er meistens.“ Die Rothaarige schaute sie an und ihr Tonfall wurde ein wenig aggressiver: „Ja, er hatte es mir geschworen. Er wollte sich von Ihnen scheiden lassen.“

Die Witwe schaute in den Garten und fragte sich, ob sie früher auch so naiv gewesen war. Nein, sie war so dumm gewesen ihn zu heiraten. An die Rothaarige gewandt antwortete sie: „Immer erzählte er die gleiche Geschichte. Aber er hätte mich nie verlassen, das wussten Sie, oder?“ Die Witwe drehte sich ganz zu der rothaarigen Frau. Diese antwortete: „Es war so erniedrigend! Am Telefon sagte er mir, dass er keine Verwendung mehr für mich habe. Ich sollte in eine andere Abteilung versetzt werden. Damit ich ihn nicht den ganzen Tag sehen muss. Er wollte mich nicht mehr sehen, so war das! Wie kann ein Mensch so gemein sein!?“ Die Rothaarige war lauter geworden: „Aber so lasse ich mich nicht behandeln!“ Die Witwe erkannte ihre Chance. Der Zeitpunkt war gekommen das Gespräch in die richtige Richtung zu lenken: „So? Was hatten Sie denn vor dagegen zu unternehmen? Es ist doch so: Wenn ein Mensch durch und durch schlecht ist und kein Gewissen hat, womit soll man ihn dann bestrafen?“

Voller Wut lachte die Rothaarige auf: „Ich bin nicht wie Sie! Ja, er war ein schlechter Mensch und er hatte viel Macht. Aber er hing an seinem Leben. Das war sein Verhängnis.“ Der Witwe kam der Garten kälter vor. Gern hätte sie einen Schal gehabt, um sich einzuwickeln. Ihre Zähne klapperten ein wenig aufeinander, als sie fragte: „Wie meinen Sie das?“ Die junge Frau antwortete schnell: „So, wie ich es sagte: Er war beim Leben zu packen! Denn er lebte wirklich gerne, ganz zum Schaden seines Umfelds. Und das Leben habe ich ihm genommen!“ Beim letzten Satz huschte ein Lächeln über ihr Gesicht und die Witwe fragte: „Wollen Sie damit sagen, dass Sie ihn erdrosselt haben?“ Für einen kurzen Moment wurden die Knie der Witwe weich. Sie nahm ihren Mut zusammen und sagte: „Aber die Polizei glaubt, dass es Herr Heinrichs von Heinrich und Co war, der durch meinen Mann ruiniert wurde. Sie waren das?!“

Die rothaarige Frau schaute in die Augen der Frau und antwortete: „Ja, das war ganz einfach. Er war so ein furchtbares Gewohnheitstier. Immer musste er donnerstags bis zum Schluss im Fitnessraum der Firma bleiben. Am liebsten allein. Alle wussten das und da ihn niemand verärgern wollte, war er dort stets allein. Ich hatte mich in einer der Umkleidekabinen versteckt, bis er nach dem Duschen auf seiner Bank saß. Der Überraschungsmoment war mein Glück. Nur so konnte ich ihn überwältigen. Die rothaarige Frau schien in Gedanken weit weg zu sein. Die Witwe hatte sich etwas gefasst und wartete auf den Rest des Geständnisses. Sie wurde belohnt: „Alles andere war ein Kinderspiel. Den Heinrichs hatte ich bestellt. Er dachte, ihr Mann würde ihm eine Chance geben seine Firma zu retten. Ich hatte ihm erzählt, dass der Chef eine Aussprache unter vier Augen wünscht. Wie hätte Heinrichs darauf nicht eingehen können? Als Heinrichs Ihren Mann fand, war er schon tot. Auch die Polizei hatte ich benachrichtigt. Sie trafen kurz nach Heinrichs ein. Er hatte ein Motiv, war am Tatort, ein wahrer Glückstreffer!“, die Rothaarige lachte laut auf. Die Witwe schluckte schwer, als sie fragte: „Aber waren Sie nicht im Kino?“ Es streifte sie ein verächtlicher Blick, bevor ihr geantwortet wurde: „Ja und ich habe dafür gesorgt, dass sich alle an mich erinnern. Dass ich während des Films durch das Toilettenfenster raus und später wieder hereinkam, hatte keiner bemerkt.“ Sie schaute die Witwe an und sagte: „Wenn ich ihn nicht haben kann, sollte ihn auch keine andere haben. Sie sollten mir dankbar sein. Ich habe Sie von ihm befreit!“ Die letzten Worte hatte sie mit ihrem herzlichsten Lächeln ausgesprochen. Als die Terrassentür aufging und drei Herren im Garten erschienen, sagte die Witwe an die Männer gewandt: „Na endlich! Wie lange wollten Sie mich noch warten lassen!“ Sie wendete sich der rothaarigen Frau zu und sagte: „Die Herren von der Polizei brauche ich Ihnen wohl nicht vorzustellen. Das brauche ich ja jetzt nicht mehr, oder?“ Damit nahm sie das Mikro von ihrem Kleid und reichte es einem der Polizisten, der es dankend entgegennahm. Sie sah nur noch aus dem Augenwinkel, wie das Gesicht der rothaarige Frau die Farbe des Schnees angenommen hatte, als sie fragte: „Sie haben mich in eine Falle gelockt. Woher wussten sie es?“ Die Frau antwortete: „Ich wusste immer alles, was ihn betraf!“ Dann drehte sie sich um und schlüpfte ins Warme. Es waren noch immer Gäste da und sie drängte sich durch die Menge, um ihr Glas zu füllen. Während sie beobachtete wie die braune Flüssigkeit sich im Glas ausbreitete, wurde ihr klar, dass nun alles vorbei war und sie Glück gehabt hatte. Wenn Heinrichs sie nicht über das Treffen mit ihrem Mann eingeweiht hätte, sie hätte nichts vom nächtlichen Besuch im Fitnessraum gewusst. Hätte er nicht im Stau gestanden, wäre er vielleicht pünktlich im Fitnessraum erschienen und alles wäre anders gekommen. Aber es war so gekommen und das war ein großes Glück. Sie erinnerte sich genau, wie sie in die Umkleidekabine des Fitnessraums gekommen war. Das Parfüm der rothaarigen Frau hing noch in der Luft. Dann hatte sie ihren Mann am Boden liegen sehen. Er war bewusstlos gewesen. Sein Atem war schwach. In diesem Augenblick wusste sie, dass so eine Gelegenheit nie wieder kommen würde. Sie zog das Seil, das noch immer um seinen Hals hing, fest zu, ohne Fingerabdrücke zu hinterlassen. Sie hörte erst auf, als er nicht mehr atmete. Dann hatte sie Panik ergriffen. Sie war nach Hause gelaufen und hatte die ganze Nacht auf ihre Verhaftung gewartet. Umsonst. Da der unschuldige Mann nicht für ihre Tat büßen sollte, hatte sie der Polizei erfolgreich den Tipp mit der Sekretärin gegeben. Die Witwe setzte sich in ihren Sessel, trank einen Schluck Cognac und musste die Augen schließen. Sie musste sich sehr konzentrieren, um nicht laut aufzulachen. Was für ein wunderbares Leben lag nun vor ihr. Sie würde es damit beginnen am nächsten Morgen Heinrichs aus dem Gefängnis abzuholen.

Letzte Aktualisierung: 11.04.2015 - 09.32 Uhr
Dieser Text enthält 10154 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.