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Mord und Totschlag | April 2015

Henkers Mahl
von Helga Rougui

HORS D'Å’UVRE FROID

Mord und Tod?
Das ist mein Beruf.
Meine Berufung.

Ich bin groß. Unbesiegt.

Jedem die Waffe, die ihm gebührt.


ENTRÉE CHAUDE

Gerda B*** zog die Nase kraus, als der heiße Luftstrom sie traf. Diese Kaufhaussschleusen mit ihrem Gebläse – unerträglich.
Sie dachte kurz an ihren Exmann, der, wenn er durch einen solchen Eingang ging, immer ein völlig unwürdiges Affentheater aufführte, wie sie ihm alsbald mit großem Genuß hämisch zu verstehen gab.
Sie empfand das Durchschreiten dieser miefig-glühenden Luftwand zwar ebenfalls als unangenehm, aber um nichts in der Welt hätte sie das zugegeben und sich so der Möglichkeit beraubt, diesen Trottel herabzusetzen und verächtlich zu machen.
Inzwischen hatte sich der blöde Hund vom Acker gemacht.
Gott weiß, warum.
Wo sie doch so eine Nette war. Fand sie jedenfalls.

Gerda schaute sich um. Der Bereich Konditorei Exquisit war direkt rechts – die heißen Schwaden des Eingangsbereichs so nah an der Süßware waren sicher qualitätsfördernd für die dekadent überzuckerten Pralinen, die dort den Leuten angedreht wurden.
Ein Stück geradeaus und dann schräg links befand sich die Parfümerieabteilung, überteuerter Tierdrüsengestank in geschmacklosen Designerimitatflacons - das Geschäft florierte sicherlich blendend angesichts des hier speziell vertretenen dämlichen Schicki-Micki-Publikums. Faustdicki Moschus hinter den Öhrchen, Diamanten an den ausgeleierten Läppchen und gähnende Leere unter den nachblondierten Haarwurzeln.
Sie haßte sie alle, würde, wollte nie so sein wie sie.
Die Plakatierung hinten rechts neben den Rolltreppen - "Echt Leder – Vero Cuoio - Schnäppchen aus Bella Roma" verwies auf die Aktionsfläche mit den italienischen Handtaschen im Sonderangebot.

Da wollte sie hin.


POISSON FROID

Objekt geortet. Trabt zielstrebig heran.
Typ kräftiger Kaltblüter, sture Behäbigkeit eines Brauereipferdes, nichts von der selbstsicheren Eleganz der hier ansonsten flanierenden femininen Fauna.
Aber darauf kommt es nicht an.

Ich hatte die Handtaschen zurechtgerückt, einige tiefschwarze, besonders hochpreisige Modelle eines unbekannteren Labels in den Hintergrund und davor die Eine, die Einzige, the One And Only aus korallenrotem Haifischleder mit Goldbeschlägen, eine echte Gucci, die es sonst nur als Sonderanfertigung in den Boutiquen der Marke selber gäbe, ein Einzelstück (kein Wunder, ich hatte sie diskret mitgebracht) und mit einem lächerlichen Preis versehen.
Das Signal für eine Frau, die – nicht begehrenswert - ihre Unscheinbarkeit spektakulär konterkarieren will.
Eine günstige Gelegenheit für ein dummes, gieriges Weib, dessen einzige Götter Geiz und Gehässigkeit sind.

Der Köder ist ausgelegt. Der Jäger wartet.


LE GIBIER

Gerda sah sie schon von weitem. Korallenrot stach sie vor der Masse der gedecktfarbigen Ledertaschen ins Auge – ihre Goldbeschläge blitzten mutwillig im Kunstlicht der Kaufhauslampen.
Bestimmt sauteuer, dachte sie verdrossen, überschaute mit einem Blick das gesamte Angebot und ihr Blick blieb gebannt am Preisschild der roten Schönheit hängen. Das mußte ein Irrtum sein. Sie versuchte ihre Gesichtszüge am Entgleisen zu hindern und ihre Schnappatmung zu kontrollieren, als sie sich an die Verkäuferin wandte, die inzwischen herbeigeeilt war.
Nein, eine Vorführung der Tasche wollte sie nicht.
Nein, das Seidenpapier brauchte nicht herausgenommen zu werden.
Nein, sie sollte nicht als Geschenk verpackt werden. (Herrgottnochmal.) Eine Plastiktüte würde reichen.

An der Kasse wurde Gerda vor Ungeduld halb verrückt, denn die Tasche mußte auf einem Sonderkonto verrechnet werden, weil sie nirgendwo gelistet war – während sich die Kassiererin noch wunderte und bevor sie das Objekt näher in Augenschein nehmen konnte, knallte Gerda schon die vierzig Euro auf die Theke, schnappte sich den Plastikbeutel, versenkte ihre Beute darin und strebte eilig dem Ausgang zu.


PLAT EXOTIQUE

Die Haustür fiel hinter Gerda ins Schloß. Endlich daheim.
Sie eilte in die Küche, zerrte ihre glamouröse Neuerwerbung hervor und stellte sie aufatmend auf den Küchentisch.

Das gute Stück leuchtete wie eine Verheißung.
Wie ein brünstiger Pavianhintern im ansonsten tristen Gehege ihrer mittelmäßigen Existenz.

Das Papier entfernen und entsorgen war eins. Gerda strich mit der Hand andächtig über das feine Leder, öffnete und schloß die Goldschnalle und erkundete das Innenleben, tastete sich am zarten Seidenfutter entlang bis in die letzte Ecke.
Nanu, da war etwas Kühles, Längliches. Ein Kugelschreiber? Ein Füllhalter? Ein edles Schreibgerät, vielleicht aus Schildpatt oder Elfenbein, gratis mitgeliefert? Sie fühlte noch einmal, stach sich ein wenig an der Spitze, zog die Hand hervor und wollte den im Entstehen begriffenen Blutstropfen ablecken.

Doch dazu kam es nicht.
Unsanft und bereits im Fallen sterbend stürzte sie tot auf den Küchenboden, die Tasche entglitt ihrer Hand.
Die winzige giftgrüne Schlange, die eilig in einer Ritze der Fußleiste verschwand, sah sie nicht mehr.

Wie auch. Es gab sie nicht, hatte sie nie gegeben.


DESSERT POINT FINAL

Ich mag Grünes nicht.
Eine Speise viel zu frisch, viel zu lebendig.
Außer im Fall Gerda B***.
Das Reptil habe ich mit der Zärtlichkeit, zu der ich fähig bin, für sie kreiert.

Ich mache einen Haken hinter ihren Namen und wende mich dem nächsten Eintrag auf meiner unendlichen Liste zu.
Routine, Erfindungsgeist, Effektivität – unverzichtbare Zutaten.
Jedes Mahl ein todsicherer Erfolg.

Ich bin groß.
As sure as death.

Letzte Aktualisierung: 22.04.2015 - 20.07 Uhr
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