Das alte Buch Mamsell
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Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
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Liebeskummer | Mai 2015
Ein Sommermärchen
von Reiner Pörschke

„Gehst du nachher auch noch zu den Dolphins?“
Matthias schaute seine Tanzpartnerin überrascht an. Er kannte sie kaum und die Dolphins nur aus der Lokalzeitung, eine kleine Schülerband hier aus Moers. „Ich weiß nicht, muss noch mit dem Bus nach Hause, ich wohne in Homberg. Wo spielen die denn?“, fuhr er fort, neugierig geworden.
„In unserm alten Kinosaal. Du, die sind echt gut“, kam die Antwort. Genau so temperamentvoll, wie sie redete, wippten an den Seiten im kastanienbraunen Haar neckische Herrenwinker hin und her. Er schaute in ihr hübsches Gesicht mit den strahlend grünen Augen, auf das süße, rotgepunktete Sommerkleid und grübelte darüber nach, wie er die Frage zu den Dolphins beantworten sollte. Beim Auffordern hatte sein Herz geklopft, sogar mit einem Korb hatte er gerechnet, sie konnte sich ihre Tänzer aussuchen. Was wollte sie von ihm? „Ich bin nicht alleine hier, ich frag mal meinen Freund, ob der mitkommt“, wich er aus. „OK, vielleicht bis später.“

Sie trennten sich, die Tanzstunde war zu Ende. Er suchte nach Wolfram. „Ich hätte schon Lust, ist ja erst sechs.“ Sie gingen quer durch die Stadt zum Kino, wo viele junge Leute hektisch auf dem Bürgersteig herumliefen, der Auftritt der Band ließ auf sich warten. Auf einmal sah er sie, jetzt fiel ihm auch wieder ihr Name ein: Doris. „Da bist du ja“, kam sie erfreut auf ihn zu, drängte sich ein bisschen durch die Menge: „Komm, wir können uns doch zusammensetzen.“ Automatisch folgte er ihr, in der Mitte des Saals nahmen die drei nebeneinander Platz. Bald wurde es brechend voll, nach den ersten Stücken der Band wusste er, warum. Die vier Jungs auf der Bühne waren klasse, spielten Songs von den Shadows, laut und glasklar: „Apache, The Rise and Fall of Flingle Bunt, Wonderful Land, meine Lieblingsstücke“, jubelte er. Dann die Beatles: „I want to hold your hand...“, jetzt ging es richtig los, die Zuschauer kreischten mit, gerieten in Ekstase. Matthias war hin und weg.

Plötzlich sah er statt der Band nur noch grelles Licht. Der weiße Strahl des Scheinwerfers, der bisher auf die Bühne gerichtet war, traf ihn im Zuschauersaal, alle blickten ihn automatisch an. Peinlich, so allein im dunklen Saal angestrahlt zu werden. Wie kam das? Was sollte das? Augenblicke später verstand er. Der Strahl war jetzt auf Doris gerichtet. Von der Bühne grinste der Gitarrist herunter, er machte die Show und hatte Spaß daran, mit seinem Instrument, das er wie einen Spiegel benutzte, das Licht im Saal herumzulenken. Er baggert Doris mitten im Auftritt an, dachte Matthias wutentbrannt, dieser Idiot!

Die Musik dröhnte indessen weiter, die Zuschauer tobten, er konnte kein Wort mit ihr wechseln. Es wurde wieder hell, Schluss des Konzerts. Draußen wollte sich Matthias von ihr verabschieden, er war ganz durcheinander, es reichte ihm. „Kannst du mich nicht noch nach Hause bringen?“, bat sie mit weicher Stimme. Er würgte heiser heraus: „Weiß gar nicht, wo du wohnst!“ „ Nicht so weit weg. Du kennst doch sicher Vinn?“ Kenne ich nicht, dachte er. Aber er hatte den Namen dieses Vororts schon mal auf Schildern gelesen, wenn seine Familie über die B 60 nach Venlo fuhr, um in Holland einzukaufen. Müsste dann ja auch rückwärts nach Hause klappen, durchzuckte es ihn. „Ist gut, gehen wir.“ Er wollte Wolfram Bescheid geben, der war in der Menge aber schon verschwunden.

Am Stadtrand angekommen zeigte sich der Niederrhein in der Abendsonne von seiner schönsten Seite, warm und friedlich. Wohnhäuser gab es nicht mehr viele. Auf Feldwegen überquerten sie jetzt stillgelegte Eisenbahnschienen, kamen an Wäldchen und saftig grünen Wiesen vorbei. Pferde und Kühe hatten bereits ihren Schlafplatz aufgesucht, verfolgten die beiden aber noch interessiert mit großen Augen. An einer Wegecke ergriff sie seine Hand. „Hier herum“, dirigierte sie zärtlich. Ihre Hände ließen sich nicht mehr los. Er nahm all seinen Mut zusammen und flüsterte: „Ich würde mit dir bis zum Ende der Welt gehen. Oder ich zaubere dich ganz klein, dann kann ich dich in meine Jackentasche stecken, und du bist immer bei mir.“
Doris lächelte ihn an. Er verstummte vor Glück. Vor ihrer Türe verabschiedeten sie sich mit einem Kuss. „Danke Matthias, das war lieb von dir, mich nach Hause zu bringen.“ In der Dämmerung erkannte er hinter dem Haus den grauen Asphalt der Bundesstraße und trat den Heimweg an, nach einer weiteren Stunde war er zu Hause, fiel erschöpft auf sein Bett und schlief sofort ein.

Eine Woche später fuhr sie in die Sommerferien. Beim Abschied hatte sie ihm ein Foto geschenkt. Das Bild war wohl im letzten Urlaub aufgenommen worden, da war sie mit ihrer Familie in den Alpen gewesen. Sie saß vor einer Almhütte und schaute charmant in die Kamera. Matthias trug das Bild stets bei sich, konnte sich nicht sattsehen an ihrem lieben Gesicht, das ihn anlächelte. So ist es wohl, wenn man sicher ist, gut auszusehen, dachte er. Aus leidvoller Erfahrung kannte er das Gegenteil. Er wirkte auf Bildern stets verkrampft. Er schielte etwas und bemühte sich, dies zu verstecken.

Für den Mittwoch nach ihrer Rückkehr hatten sie sich wieder in Moers verabredet. Der Mittwoch war ein heißer Sommertag. So trotteten sie durch die ausgestorbene Innenstadt. „Du, ich hab Durst, lass uns hier ins Bistro gehen.“ Ihm war’s recht. Drinnen war jetzt in den Ferien am Nachmittag nicht viel los, es war wohl so eine Art Schülerkneipe. An einem Tisch saß denn auch eine Pennälerclique des Moerser Gymnasiums, er glaubte sogar, in deren Mitte den Gitarristen wiederzusehen. Die Jungen kannten Doris. Sie wurde laut begrüßt. Ihn musterte man stumm. Die Blicke in der schummrigen Kneipe gingen hin und her, freundlicher wurden sie nicht. War es draußen noch heiß gewesen, so fröstelte es ihn plötzlich. Die Moerser machten irgendwelche Witze. Einer flüsterte, die andern lachten laut los. Dann war eine Art drohendes Grummeln zu hören. Da sind sie wieder, die hochnäsigen Adolfiner, dachte Matthias. Sie halten sich für die Elite, weil ihr Adolfinum schon seit dem Mittelalter besteht. Homberger werden hier nicht für voll genommen. Er bekam langsam die Wut. Hatte sie ihn mit Hintergedanken hier hereingeführt? Sonnte sie sich heimlich im Kreise ihrer Verehrer? Trieb sie ein doppeltes Spiel? Er wollte es nicht glauben. Sicher war ja auch nichts, alles konnte Zufall sein. Er hielt es nicht mehr aus: „Zahlen bitte!“

Matthias platzte draußen der Kragen: „Da hast du wohl zwischen zwei Stühlen oder zwischen zwei Tischen gesessen, Doris. Fand ich echt nicht gut. Hättest deinen Schulkameraden ja doch mal die Meinung sagen können!“ Sie zog ihre Augenbrauen hoch: „Da haben die doch nur drauf gewartet, um dich dann richtig durch den Kakao zu ziehen.“ Dann schwieg sie. Die Stimmung war gedrückt, da half auch kein Spaziergang im romantischen Stadtpark, rund um das alte Moerser Schloss. Sie hielten verkrampft Händchen, aber die Kussallee war geschlossen.

Beim nächsten Treffen machte Doris ohne viele Worte Schluss: „Wir sind ja noch so jung, und du gehst eh im September nach Bonn.“ Matthias schluckte, das war wahr. Dennoch, was hätte er dafür gegeben, in ihrer Nähe zu bleiben, sie als Freundin zu behalten. Aber Worte waren zwecklos. Sein Magen verkrampfte sich, er sah ins Leere und kämpfte mit den Tränen. Es war aus!

Reiner Pörschke

Letzte Aktualisierung: 21.05.2015 - 20.20 Uhr
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