Schreib-Lust Print
Schreib-Lust Print
Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Marcel Porta IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Liebeskummer | Mai 2015
Schneebedeckt
von Marcel Porta

Anfangs war ich überzeugt, sie hätte einen Anderen. Doch heute weiß ich es besser. Und diese neue Gewissheit ist noch weniger zu ertragen: Sie kann sich ein Zusammenleben mit mir nicht vorstellen. Deshalb hat sie mich verlassen.
Ich habe lange gebraucht, bis ich das akzeptieren konnte. Deshalb musste ich all die Stadien durchlaufen: Den verzweifelten Versuch, sie zurückzugewinnen - doch Maria blieb hart -, dann Verzweiflung, Wut - und am Ende … die Resignation. In der ich mich immer noch befinde, auch wenn die betäubende Lethargie inzwischen verflogen ist.

Niemand wird meinen Entschluss verstehen. Zuallerletzt meine Eltern. Die unterdrückte und doch nicht zu verhehlende Freude in ihren Gesichtern, als ich ihnen unter Tränen erzählte, dass Maria mich verlassen hat, wütet noch immer in meiner Seele. Da wurde ihnen ein Herzenswunsch erfüllt. Doch nun werden sie sehen, dass man besser keine Wünsche hegt. Manchmal erfüllt sie der Teufel.

Um Walter tut es mir leid. Wenn es einen gibt, der mich verstehen kann ... und trotzdem wird er todtraurig sein. Der große Bruder wird nun nie mehr mit ihm spielen und sich für seine Nöte interessieren. Seinetwegen habe ich lange gezögert. Wie soll er es überwinden, dass ich ihn im Stich lasse? Er hat es ja auch nicht leicht mit einer Mutter, die ehrgeizig ist und Versager nicht ausstehen kann, außer sie sind ihr hörig - wie sein Vater.
Aber vielleicht lernen die beiden ja daraus. Dass der Intellekt nicht alles ist. Dass Herzensgüte und Empathie viel wichtiger sind, und dass Walter genau der Sohn ist, den sie jetzt brauchen - wo ich nicht mehr da bin.

Maria war die Frau, der ich mein Leben widmen wollte. Doch nun weiß ich, dass sie besser ohne mich dran ist. Dass ich für sie nur ein Bremsklotz gewesen wäre. Sie hat das erkannt und die Konsequenzen gezogen. Und das tue ich jetzt auch.
Ich bin überflüssig geworden. Es gibt kein Ziel mehr. Mein Lebensplan ist gescheitert, bevor er recht begonnen hat. Wozu diese jahrelangen Anstrengungen für ein erstklassiges Abitur, um Medizin studieren zu können? Es war ein Hirngespinst. Wem soll ich helfen können, wenn ich schon daran scheiterte, Maria eine Unterstützung zu sein. Sie hat mir eindringlich bewiesen, dass ich impotent bin, wenn es um die wahre Liebe geht.

Und so liege ich hier und spüre kaum die Kälte, die mithelfen soll, meinem Körper das Leben zu entziehen. Neben dem Alkohol, den ich weder mochte noch vertragen habe, und den Medikamenten, die hoffentlich ihre lebensverlängernde Wirkung durch die Überdosis ins Gegenteil verkehren. Ich schreibe diese Zeilen nicht, damit sie jemand findet und liest. Sie sollen mir vielmehr die Klarheit geben, in der ich von dieser Welt gehen will. Nicht mit Wehmut und im Zorn, sondern mit einer geläuterten ungetrübten Sicht. Im Schreiben habe ich schon immer zu mir selbst gefunden, es hat mir geholfen, mein Denken zu ordnen.
Der Schnee wird mich zudecken und ich hoffe, dass ich nie gefunden werde. Ich habe alles getan, was dazu nötig ist. Die Tiere des Waldes sind meine Verbündeten.

Ich merke, wie ich schwächer werde und so will ich meine Gedanken noch einmal zurückwandern lassen zu einer Zeit, in der ich glücklich war. Drei Jahre ist es nun her, dass ich Maria kennengelernt habe. Auf einer Freizeit, die Greenpeace organisiert hat. Schon am ersten Tag haben wir stundenlang diskutiert, über den richtigen Weg, die Welt zu retten. Und von Anfang an hat es mich nicht gestört, dass sie im Rollstuhl saß. Und auch ihr schien es nichts auszumachen, dass ich mit gesunden Gliedern ihr gegenüber stand. Ihre brillante Rhetorik und die Funken in ihren Augen, wenn sie die Politik an den Pranger stellte, faszinierten mich. Trotz ihres Handicaps war sie mein Mittelpunkt, an dem ich mich orientieren konnte.
Wie gerne wäre ich wieder dort, an dieser Stelle meines Lebens. Um die Jahre wieder zu durchleben, die ihm den Sinn gaben, den es jetzt verloren hat. Ich würde sie wieder lieben, mit all der Kraft, die mir zur Verfügung steht. Und würde wieder scheitern, ich weiß es. Doch die Liebe würde mir keine Wahl lassen.

Ich trage ihr nichts nach. Es ist ihr gutes Recht, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es für richtig hält. Und wenn ich darin keinen Platz habe, muss ich das akzeptieren. Nur ertragen kann ich es nicht.
Es ist genug, der Stift will nicht mehr gehorchen. Ich habe gerne gelebt …

***

Mühevoll hievt sich die junge Frau aus dem Rollstuhl. Das Katzenfutter steht ganz hinten im Schrank und sie kann es fast nicht erreichen. Mit den Fingerspitzen versucht sie, die Tüte nach vorne zu manövrieren, und als sie umfällt, verteilen sich die Leckerlis im Schrank und auf dem Küchenboden. Normalerweise bringen solche Kleinigkeiten sie nicht aus dem Konzept, doch heute bricht sie in Tränen aus.
Seit die Polizei bei ihr war und sie nach ihrem Freund gefragt hat, ist sie schlecht gelaunt und reizbar. Garantiert hat seine Mutter sie geschickt, denkt sie. Die konnte mich noch nie leiden und macht mich verantwortlich für sein Verschwinden. Dabei ist er sicher irgendwo im Ausland und versucht, über unsere Trennung hinwegzukommen. Aber er ist stark, er wird sich wieder berappeln und dann sein Studium beginnen. Auf ein Jahr kommt es da nicht an. Hauptsache, er macht etwas aus seinem Leben.

Sie legt sich den Schal enger um die Schultern. Seit es vor ein paar Tagen zu schneien begonnen hat, friert es sie häufig. Sie rollt zum Heizungsthermostat, doch die Temperatur ist eingestellt wie immer.
Ohne mich hat er eine Zukunft, beschwichtigt sie sich. Als Wissenschaftler oder Gelehrter. Mit mir an seiner Seite würde er nur ein mittelmäßiger Landarzt oder Lehrer. Ein vergeudetes Leben ... Ich kann diese Sünde nicht auf mich laden. Auch wenn wir beide jetzt darunter leiden, es ist besser so. Er wird mir einmal dankbar dafür sein.

Ihr Blick wandert zu dem Bild auf der Kommode. Es zeigt sie beide auf einer Podiumsdiskussion. Er steht hinter ihr, eine Hand auf ihrer Schulter, ein feines Lächeln im Gesicht. "Werde glücklich!", flüstert sie, wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und rollt wieder zum Schrank, um das verstreute Katzenfutter einzusammeln.

© Marcel Porta, 2015
Version 2

Letzte Aktualisierung: 15.05.2015 - 19.14 Uhr
Dieser Text enthält 6222 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.