Diese Seite jetzt drucken!

Liebeskummer | Mai 2015

Der Fertig-Blick
von Robert Pfeffer

Nehme ich ein Ei oder nicht?

'True love will never fade' ist eine doofe Untermalung für die schwierigste Entscheidung am Tag 1 der Nach-Britta-Ära. In einem dieser bräsigen Magazine beim Friseur stand die Weisheit, dass man eine Frau nur zurückgewinnt, wenn sie es selbst will. Wahlweise mit sehr viel Geld. Mein Kontostand schließt die Alternative aus. Und sie fragen? Wie bescheuert sieht das aus, wo sie mich gestern erst verlassen hat?

Ich nehme das Ei, bitte. Was kostet die Welt! Die Rückgewinnung der Ex kann ich mir gerade nicht leisten, dann halt das Ei.

Britta hat immer ein Ei genommen. Wenigstens im Cholesterinspiegel wolle sie gut aussehen, nach dem Gag konnte ich die Uhr stellen. Heute vermisse ich ihn. Zum ersten Mal, verdammt. Sie hat die Dinge auf dem Tisch in Ordnung gebracht. Sie hat in ihrem Kosmos so eine Art Symmetrie, in der Geschirr sortiert sein muss. Von ihr habe ich gelernt, was der wichtigste Gegenstand auf einem Frühstückstisch ist.

Der Lachs ist köstlich, davon hätte ich gerne noch zwei Scheiben.

Die Blume natürlich. Das naturgegebene Zentrum einer Tafel, egal, ob die Vase am Rand steht oder mitten drauf. Daneben das Kännchen für Milch und die Zuckerdose, möglichst im selben Stil. War mir nie wichtig, bis ich Britta kannte. Und dann war es mir auch nur wichtig, weil es ihr was bedeutete. Im Hotel ließ ich sie morgens am Tisch erst mal sortieren. Den Fertig-Blick konnte ich unter allen anderen Blicken problemlos rausfiltern. Für mich das Startsignal. Merke: Nimm niemals eine Semmel, bevor du diesen Blick nicht empfangen hast!

Kaffee, ich brauch noch Kaffee! Warum kommt denn hier niemand, wenn die Not am Größten ist?

Den Fertig-Blick hab ich gestern nicht gesehen. Dabei wär sie fertig mit mir. Hat sie gesagt. Der Blick gestern sah anders aus. Genau … aus. Wie ein Aus-Blick. Ohne Perspektive. Aber wieso? Eigentlich müsste es an Unis das Studienfach „Frauen“ geben. Da würden die Studenten nie unter dreißig Semester rausgehen. Ein ordentlicher Batzen Studiengebühren, oder? Und weniger als fünf Prozent schaffen einen Abschluss, soviel steht fest.
Sie meinte, der Tag hätte vierundzwanzig Stunden. Hab ich genickt. Von denen ich sechsundzwanzig für Arbeit, Schlaf und die Pflanzen verballere. Hab ich den Kopf geschüttelt. Sie warf mir vor, ich sei der einzige Mann auf diesem Erdball, der für die Durchquerung einer fünfzig Meter breiten Wiese einen Tag veranschlagen muss, weil es so viel Aufregendes zu sehen gäbe. Hab ich gesagt, bei Botanikern sei das so. Fand sie nicht sonderlich gut.

Die Kirschmarmelade ist sehr fruchtig. Harmoniert wunderbar mit Quark auf Croissant.

Seltsam, dass ich hier im Café allein an diesem Tisch sitze. Das Radio ist brutal. 'When you say nothing at all'. Verflucht, Ronan Keating hat recht. Sie ist nicht dabei und doch überall. In jedem Bild an der Wand, im Lächeln der Kellnerin, im Muster der Butterflöckchen, im nutzlosen Blättchen Petersilie am Tellerrand. Als würde alles auf einem Luftpolster schweben und erst wieder den Boden berühren, wenn Britta zurückkehrt. Ich hänge in der Luft und der Rest mit.

Meine neue Ex hat klare Vorstellungen von der Liebe. Für sie ist das ein physisches Gefühl. Wie ein Magnet, der nie ganz ans Metall heran sollte, weil er sonst nicht mehr loskommt. Der sich ständig angezogen fühlt, aber nie festpappen darf. In der Zone zwischen beiden Polen stecke das, was Liebe ausmacht. Bin ich Magnet und sie Metall, oder umgekehrt, … null Ahnung, ich hab mich nie getraut, das zu fragen. Blöd eigentlich, was? Dabei ist es auch wurscht. Obwohl, wenn Magnete nicht rosten, wär ich lieber …

Ein Tischmülleimer ist das Zweitwichtigste! Dass die Menschheit keine echte Idee dazu hat, was man mit Atommüll macht, war Britta egal, Hauptsache sie findet einen Platz für die Folie um die Butter. Man muss im Kleinen anfangen, Lösungen zu entwickeln, war ihr Credo. Erst danach könne man sich mit den größeren Dingen beschäftigen. Als ich ihr sagte, Tischmülleimer gebe es schon, weshalb die Welt durchaus bereit sei, wenn sie doch jetzt einen Vorschlag für die Brennstäbe machen, hat sie mir mit augenblicklicher Kernschmelze gedroht. Noch an diesem Tisch. Der Rest war Kauen und Schweigen. Am Nachmittag lag ich lesend auf dem Bett. Sie nahm mir wortlos das Buch aus der Hand und machte sich höchst angenehm an mir zu schaffen. Es kam zur Kernschmelze und als sie auf mir herumritt, dachte ich darüber nach, was wohl in der Zwischenzeit bei ihr passiert sein mag. Gute Prüfungsfrage nach zweiunddreißig Semestern Frauen, was?

Ein Müsli zum Abschluss? Ach, warum nicht. Aber bitte ohne Nüsse.

Zu ihrer Mutter ist sie nicht zurück, glaub ich. ‚Hast du endlich den Pflanzen-Heini in seine Wüste geschickt?‘ ... das Lob würde sie nicht ertragen, so viele Fehler ich auch habe. Und wenn Mama 'Britti' sagt, kriegt sie Hautauschlag. Mütter sind übrigens noch unerklärlicher als Frauen. Wie kann man einen Spitznamen erfinden, der den Austausch nur eines einzigen Buchstabens vorsieht? Ich hab sie nur so genannt, wenn ich sie ärgern musste. Ja, musste, nicht wollte! Wenn ihr Blutdruck so niedrig war, dass sie nicht mal die Sachen auf dem Tisch sortieren mochte. Ich hab dann die Vase verrückt, das Milchkännchen und all den Kram. Es war, als ob man auf einen Knopf drückte. Garniert mit 'Du, Britti, man muss die Dinge auch mal so lassen können, wie sie sind.' Auf den Fertig-Blick konnte ich danach lange warten. Sie hat mich angesehen wie einen Kaktus, dem sie jeden Stachel einzeln ausreißen wird. Aber wenigstens der Blutdruck war wieder da.

Ja, die Rechnung bitte. Und für nächsten Samstag einen Tisch für zwei Personen.

Die Hoffnung ist noch da, dass das hier das einzige Frühstück ohne sie war. Jetzt nehm ich mir einen Kontoauszug, leg ihr den hin, sag ihr einfach, dass ich auch das Metall sein würde, wenn ihr mehr nach Magnet ist. Hauptsache sie schenkt mir einen echten Ausblick. Einen ohne Bindestrich. Das sollte sie eigentlich alles verstehen, oder? Und dann klären wir die Details. Nach dem Fertig-Blick.

(Version 1)

Letzte Aktualisierung: 16.05.2015 - 19.47 Uhr
Dieser Text enthält 6175 Zeichen.


www.schreib-lust.de