Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Ingo Pietsch IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Mein Freund, der Baum | Juni 2015
Haunebu
von Ingo Pietsch

Auf einem Bergpass nahe der deutsch-schweizerischen Grenze
Der rechte RĂŒckspiegel löste sich in seine Bestandteile auf, als eine Pistolenkugel ihn zerfetzte.
Flag Sterling fragte sich, wie seine Verfolger es schafften, gleichzeitig das Motorrad zu steuern und zu schießen. Er selber hat alle MĂŒhe, sein GefĂ€hrt in der Spur zu halten, da es am vorherigen Tag geregnet hatte.
Flag sah sich kurz um: Durch die verkratzte Motorradbrille war ohnehin kaum etwas zu erkennen. Aber die Verfolger hatten dichter aufgeschlossen.
Drei MotorrÀder und ein GelÀndewagen jagten hinter ihm her.
WĂ€re der Fahrtwind nicht gewesen, wĂŒrde Flag der Schweiß in Strömen ĂŒber das Gesicht laufen. So hatte er sich seine RĂŒckfahrt jedenfalls nicht vorgestellt.
Wieder fielen SchĂŒsse und Flag duckte sich. Ein QuerschlĂ€ger prallte am GepĂ€cktrĂ€ger davon und jagte pfeifend an seinem Ohr vorbei. Flag geriet aus dem Gleichgewicht und musste sich mehrmals mit den FĂŒĂŸen abstoßen, damit er nicht hinfiel. Langsam wurden ihm die Knie weich.
Dadurch kam einer der Fahrer mit ihm gleichauf. Der zĂŒckte seine Waffe.
Flag zog rĂŒber und rammte ihn. Sein Gegner stĂŒrzte und die anderen beiden fuhren an ihm vorbei, wĂ€hrend der GelĂ€ndewagen einfach ĂŒber ihn hinwegpolterte.
Die NadelbĂ€ume zu Flags Linker schĂŒttelten sich unter einer Maschinengewehrsalve und es regnete Tannenzapfen.
Flag hoffte, dass sich die StraßenverhĂ€ltnisse nicht besserten, denn das war das einzige, was ihn am Leben hielt.
Ihm taten die Arme weh und er war erschöpft. Aber es lag an ihm, wie der Krieg sich weiter entwickeln wĂŒrde.
Flag schĂŒttelte die Gedanken daran ab und holte das letzte aus seiner Maschine.
Langsam aber sicher kam der GrenzĂŒbergang in Sichtweite.

Eine halbe Stunde zuvor
Flag saß gefesselt auf einem Stuhl. Er hatte Durst. Um ihn herum standen zwei Dutzend runde Fahrzeuge in einer riesigen Höhle, die in den Berg hineingetrieben worden war. In dem hangarartigen Bau arbeiteten Mechaniker, schraubten und schweißten an den Fahrzeugen.
Zwei blonde HĂŒnen flankierten Flags Stuhl. Seit einer Stunde standen sie reglos da und sprachen kein Wort. Flag hatte versucht, sie mit Witzen aus der Reserve zu locken. Einer der beiden hatte schließlich gekichert, gleichzeitig bekam Flag mehrere schmerzhafte Hiebe ins RĂŒckrad. Flag war mit seinem Stuhl umgefallen und hatte sich mit einer Hand eine Metallklammer sichern können, die auf dem Boden herumlagen.
Die ganze Umgebung wirkte nicht so sauber und aufgerÀumt, wie er es aus seiner MilitÀrzeit her kannte. Das ganze Projekt stand unter enormen Zeitdruck.
Gerade erst war bekannt geworden, dass sich die Vereinigten Staaten den Alliierten angeschlossen hatten.
Einer der Bewacher stellte dem Stuhl wieder auf seine FĂŒĂŸe.
Ein Oberst in straffer Wehrmachtsuniform und kurzer Reitpeitsche marschierte auf Flag zu. Direkt unter der dem Schirm seiner MĂŒtze blitzte ein Monokel hervor.
„Herr Sterling, schön sie wieder zu sehen. Wie spricht man ihren Namen jetzt aus? Fletsch Ztörling? Ihren Vornamen haben sie auch drastisch gekĂŒrzt! Ich werde sie trotzdem weiter mit Sterling ansprechen.“
Flag erwiderte nichts. Er hatte den Oberst kurz vor Kriegsanfang kennen gelernt. Eigentlich hatte er ihn fĂŒr sehr kompetent gehalten, mit einem leichten Anflug von GrĂ¶ĂŸenwahn vielleicht, der sich mittlerweile im ganzen deutschen Reich weiter ausgebreitet hatte.
Der Oberst lief im Kreis und wedelte mit seiner Reit-Rute. „Industriespionage!“ Er schlug sich mit Rute an sein Bein. „Deserteur!“ Ein weiterer Schlag. „Vaterlandsverrat!“
„Weltverbesserer!“, ergĂ€nzte Flag.
Der Oberst drehte sich um und schlug Flag mit dem HandrĂŒcken ins Gesicht.
Flags Lippe platzte auf und er spie aus. „Ich habe nichts falsch gemacht. Ich bin nur rechtzeitig auf die richtige Seite gewechselt.“
„Auf die Verliererseite!“, der Oberst lachte höhnisch. „Kommen sie zu uns zurĂŒck. Als Doppelagent wĂ€ren sie uns mit ihrer Spezialausbildung und ihrem Wissen sehr nĂŒtzlich. Obwohl: Haben sie etwa gedacht, dass wir sie mit dieser Maskerade nicht erkannt hĂ€tten? GefĂ€rbte Haare, wie einfallslos!“
„Ihre Soldaten, wie Hans und Fritz hier“, Flag nickte zu seinen BeschĂŒtzern, „sind eh nicht besonders helle, sonst wĂ€re ich ja wohl kaum so weit in ihr Heiligtum eingedrungen.“
„Woher kennt der unsere Namen?“, fragte einer der HĂŒnen unglĂ€ubig.
Das ĂŒberlegene Grinsen im Gesicht des Oberst erstarb kurzzeitig, kehrte aber sofort wieder zurĂŒck.
„Sie halten sich wohl fĂŒr besonders schlau?“ Der Oberst hieb sich so heftig in an die Wade, dass er die ZĂ€hne zusammenbeißen musste. „Meine Freunde aus Thule-Gesellschaft haben mich vor ihnen gewarnt und ich habe nicht auf sie gehört! Schon damals in Hamburg vor zwei Jahren, wo sie die PlĂ€ne fĂŒr unseren Vril-Antrieb stehlen wollten, hĂ€tte ich sie ausschalten sollen. Aber das kann ich jetzt immer noch nachholen.“
Flag verdrehte vor Langeweile die Augen.
WÀhrend der Oberst zum Rumpf eines der runden Fahrzeuge ging und es tÀtschelte, nestelte Flag an seinen Handschellen herum.
„Die Haunebu Zwo. Unsere Reichsflugscheibe. Diese Errungenschaft wird den weiteren Kriegsverlauf entscheidend Ă€ndern. FĂŒr das Radar unsichtbar, schwer gepanzert und schneller als jedes dieser albernen Propellerflugzeuge dieser Inselaffen und FranzmĂ€nner. Was haben sie oder ihre alliierten Freunde alldem entgegenzusetzen? Sicher erwarten sie jetzt, dass ich ihnen in der Stunde ihres Todes noch unsere PlĂ€ne verrate? Oder glauben sie etwa, dass sie hier lebendig und in einem StĂŒck wieder herauskommen?“
Hinter dem Oberst polterte etwas.
Irritiert drehte er sich wieder um: Flag stand direkt vor ihm und bedrohte ihn mit einer Pistole, die er Hans abgenommen hatte. Er und Fritz lagen bewusstlos am Boden.
Der Oberst war verunsichert. Er hatte seine Augen aufgerissen und sein Monokel baumelte jetzt an einer Kette vor seiner Brust.
„Wollen sie mich als Geisel nehmen, Herr Sterling?“
„Nein“, entgegnete Flag direkt. „Ich denke, sie wĂŒrde sowieso niemand vermissen. Ihr esoterisch angereichertes Geschwafel interessiert mich auch nicht. Mein Auftrag lautet einzig und allein, den genauen Standort dieser Basis zu bestimmen. Den Rest erledigen dann meine alliierten Freunde.“
Flag ging langsam rĂŒckwĂ€rts und rannte dann los.
„Diesmal entkommen sie mir nicht, Herr Sterling! Und wenn ich sie in die Finger bekomme, dann ziehe ich ihnen persönlich die Haut ab! Alarm!“, hallte es durch den Hangar.

Direkt vor dem Grenzposten
Die deutschen Grenzsoldaten hatten den Schlagbaum geschlossen. Als sie Flag auf den Posten zurasen sahen, hoben sie ihre Gewehre und riefen „Halt!“ und „Stopp!“. Doch bevor sie schießen konnten, wurden sie von der schweizer Seite aus niedergestreckt.
Flag schickte ein Stoßgebet Richtung Himmel, schloss die Augen und durchbrach ungebremst den morschen Grenzbaum. Holz flog in alle Richtungen davon.
Die schweizer Schranke war schon zur HĂ€lfte geschlossen und senkte sich weiter.
Flag warf sich auf die Seite und schlitterte unter dem Schlagbaum hindurch.
Die beiden Motorradfahrer hatten keine Möglichkeit mehr, zu reagieren und blieben am Baum hĂ€ngen, wĂ€hrend ihre Maschinen einfach noch ein StĂŒck weiterfuhren.
Die Schweizer Soldaten fischten sie auf und zogen sie zur Seite, ehe der GelÀndewagen angedonnert kam.
Wieder ratterte das Maschinengewehr des Wagens. Erde spritzte rund um Flag auf und die Kugeln verwandelten Flags Mottorad in ein Wrack. GlĂŒcklicherweise wurden weder er noch der Tank getroffen.
Flag sah auf und hörte trotz des ohrenbetĂ€ubenden Dauerfeuers den Oberst rufen: „Gib Gas!“.
Die Motorhaube kratzte unter der Schranke hindurch, die sich nicht ein StĂŒck bewegte.
Alles oberhalb Lenkrads wurde wegrasiert, der GelÀndewagen krachte in eine Eiche und explodierte in einem grellen Feuerball.
Niemand hatten diesen Unfall ĂŒberlebt.
Flag ging zu der rot-weiß lackierten Schranke. Das Herz hĂ€mmerte ihm immer noch in der Brust. Er klopfte auf den Schlagbaum, der metallisch klang; denn es handelte sich um das Kanonenrohr eines Panzers.
„Gute deutsche Wertarbeit!“, lĂ€chelte Flag. Der Panzer setzte sich langsam in Bewegung. „Los jetzt, wir mĂŒssen die Koordinaten des Hangars an die LuftstreitkrĂ€fte weitergeben.“ Flag blickte auf den brennenden GelĂ€ndewagen zurĂŒck und fragte sich, was dieser Krieg noch alles fĂŒr ihn bereit hielt.

Letzte Aktualisierung: 17.06.2015 - 08.43 Uhr
Dieser Text enthält 8400 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.