Mainhattan Moments
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Mein Freund, der Baum | Juni 2015
Wie zwei Tortenstücke
von Monika Heil

Eine Operation stand an. Die Gedanken liefen in viele Richtungen.
»Wir müssen unser Testament aufsetzen.«
»Warum? Nur weil du ins Krankenhaus gehst? In drei Wochen bist du wieder hier. Und dann leben wir weiter, wie wir es geplant haben. Wir genießen unseren Lebensabend. Und wenn alles so läuft, wie ich es mir vorstelle, gibt es irgendwann nichts mehr zu vererben.«
Wir haben keine Kinder. Also, was soll’s. Dennoch.
»Wenn, wenn. Du kennst den Spruch: Willst du den lieben Gott zum Lachen bringen, erzähle ihm von deinen Plänen. - Eine Vorsorgevollmacht wird auch notwendig werden.«
»Ich sorge schon für dich.«
»Du weißt genau, was ich meine.«
»Wo willst du beerdigt werden?«
»Jetzt wirst du gemein.«
»Entschuldige, du hast vom Testament angefangen, also willst du alles regeln.«
»Na auf dem Friedhof natürlich.«
»Wer pflegt unser Grab, wenn wir beide dort wohnen?«
Verwandte gibt es nicht in der Nähe. Die nächsten, vor allem die jüngeren, wohnen fünfhundert Kilometer entfernt.
»Was hältst du von einer Seebestattung?«
»Gute Idee. Eine schöne Zeremonie. Alle Lieben kommen zu einer Minikreuzfahrt und dann haben sie nichts mehr mit uns zu schaffen.«
»Das klappt nur, wenn wir gleichzeitig sterben.«
»Ach so, ja. Dann also nicht. Wie soll ich auch, ohne Führerschein, also ohne Auto zu fahren, an die Küste kommen? Oder nimmt mich die Pietät mit, wenn sie deine Urne zum Schiff fährt?«
»Ohne eigene Urne sicher nicht. Und wieso meine? Woher weißt du, dass ich der Erste bin?«
»Auch wahr. Aber wenn ich zuerst gehe, hast du noch das Auto. Du kommst da viel besser hin.«
»Welche Alternative gibt es noch?«
»Friedwald.«
»Dass mir das nicht gleich eingefallen ist. Richtig, kurz hinter der „Seeburg“ liegt der Friedwald.«
Die „Seeburg“ ist ein von uns sehr geschätztes Speiselokal.
»Da kannst du mich besuchen und danach gleich essen gehen.«
»Wieso ich. Woher weißt du, dass du die Erste bist.«
»Weiß ich nicht. Der Bahnhof jedenfalls ist ganz in der Nähe. Da kann ich mit dem Zug hinfahren, dich besuchen, wenn’s umgekehrt läuft und dann auch in der „Seeburg“ essen.«

Wir informierten uns im Internet. An einem Samstag im Juni wurde ein Termin angeboten, die Philosophie, das Gelände und die allgemeinen Bestimmungen kennenzulernen. Wir waren ca 20 Personen. Alle 65 plus. Die Führung und die Erklärungen kamen von der für diesen Wald zuständigen Försterin, einer netten jungen Dame. Schnell stand für uns beide fest - wir wollen dereinst im Friedwald beerdigt werden.

Nur eine Woche später vereinbarten wir einen individuellen Termin.

Es war ein sonniger Freitag. Wir waren für 12.00 Uhr verabredet. Pünktlich, wie es unsere Art ist, erreichten wir den Parkplatz. Er war erfüllt von Kinderstimmen, Lachen, Türenschlagen. Die Fragezeichen in unseren Augen beantwortete später die nette Försterin.
»Einhundert Meter von hier entfernt liegt ein Waldkindergarten. Ich hoffe, Sie haben nichts gegen Kinderlärm.«
Wir konnten sie beruhigen. Wir haben nichts gegen Kinderlärm. Weder heute noch, wenn wir unsere letzte Adresse bezogen haben werden.

Es wurde ein wundervoller Spaziergang. Die Sonne schien durch das Blätterwerk, der Waldboden duftete, Vögel zwitscherten. Ruhe breitete sich aus. Die Auswahl war riesig. Buche oder Eiche? Gemeinsam allein oder - wie im Reihengrab, hier nur rundherum - mehrere um einen Baum beigesetzt? Ein dicker Baum, ein dünnerer? Tiefer im Gelände oder nahe des Waldweges?
»Praktisch, wenn der Überlebende mit dem Rolli kommt.«
Sie hat wirklich »der« gesagt. Ich grinste meinen Mann an.

Wir schafften es. Wir wurden uns einig. Ohne große Diskussion. Eine Buche. Schön dick und freundlich. Den Baum umschloss ein rotes Band. Das bedeutete, es hatte sich bereits noch jemand für ihn entschieden. Die Försterin schaute in eine Liste, lächelte freundlich.
»Die Stelle neben Ihnen, die hat ein sehr nettes Ehepaar gekauft. Die würden Ihnen gefallen. Ihn haben wir letzte Woche beerdigt. Wirklich, sehr nett.«
???
Ein „Tortenstück“ neben uns war also bereits belegt. Es waren insgesamt neun.

Die Försterin verabschiedete sich, versprach, uns baldmöglichst den Vertrag und die Geschäftsbedingungen zu übersenden. Ein Flugzeug - sehr hoch - überflog den Wald und unterbrach kurzzeitig unser Gespräch. Seine Motoren brummen.
»Liegen wir hier etwa in einer Einflugschneise?«, fragte mein lieber Mann irritiert. Sie verneinte sofort.
»Nur ein Sportflugzeug.« Mein Mann atmete hörbar auf.
Wir blieben noch ein bisschen. Es kamen keine weiteren Flugzeuge. Anschließend spazierten wir zu unserem Lieblingslokal, genossen ein köstliches Zanderfilet, tranken Kaffee auf der sonnenüberfluteten Terrasse. Für Montag darauf war meine OP angesetzt.

+++
Das war vor fünf Jahren. Einmal im Monat essen wir in der „Seeburg“ zu Mittag. Vorher machen wir einen Spaziergang durch den Friedwald, besuchen „unseren“ Baum und freuen uns über die Lütten, die den Waldkindergarten besuchen.

Sie wachsen heran, kommen irgendwann in die Schule, gehen ihren Weg.
Und wir gehen unseren.

Version 1

Letzte Aktualisierung: 24.06.2015 - 20.34 Uhr
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