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Partystimmung | Juli 2015

Tanz im Garten
von Klaus Eylmann

In bleierner Morgenstille knarrten Kriminalinspektor Udos Schmitz‘ Schuhe auf dem Linoleum. Leuchtstofflampen flackerten. Eine Tür öffnete sich. Schmitz betrat das Büro, das er mit seinem Kollegen Heinrich Schneider teilte, setzte sich an den Schreibtisch und starrte mit leerem Blick zu Schneider hinüber, der in einen Schokoriegel biss und die Tastatur seines Computers bearbeitete.
„Moin, Udo.“ Schneider sah hoch. „Irgendwas nicht in Ordnung?“
„Zu blöd“, meinte der. „Ich habe gestern eine Verabredung verpennt.“
„Ah. Schach gespielt?“ Udo nickte.
„Wer war es denn?“
„Ein Freund aus dem Schachclub“, erzählte Udo. „Der mit der Nimzowitsch-Verteidigung.“
„Die Frau, Udo, die Frau.“ Schneider schüttelte den Kopf. Sie hörten schnelle Schritte, die Tür wurde aufgerissen und Dr. Schmidt, ihr Vorgesetzter rief: „In zwei Minuten bei mir im Besprechungsraum!“
„Else, die aus dem Hausratsgeschäft. Habe dir doch von ihr erzählt.“ Udo und Heinrich Schneider gingen gemeinsam die Treppe hoch. Die Tür zum Konferenzraum stand offen.
„Wir haben wieder etwas.“ Schmidt rieb sich die Hände und setzte sich zu ihnen. „Am Alsterdampfer Anlegesteg Mühlenkamp wurde eine Leiche angeschwemmt. Ein Mann, um die 50 Jahre alt. Er kam durch einen Schlag auf den Kopf ums Leben. So das Ergebnis der ersten Untersuchung. Er heißt Erwin Haberkorn und wohnte an der Alster. In einer halben Stunde haben Sie einen Bericht mit den Daten. Dann können Sie loslegen. Das ist alles.“ Dr. Schmidt stand auf und verließ den Raum.
Als Schneider und Udo vor Haberkorns Haustür standen, prasselte Regen auf sie herab. Eine ältere Frau öffnete ihnen, ließ sie eintreten, nachdem sie sich ausgewiesen hatten.
„Furchtbar, ganz furchtbar.“ Die Frau führte sie ins Wohnzimmer. „Der arme Herr Haberkorn. Er muss wohl nach dem Gartenfest ins Wasser gefallen sein. Wäre ich doch bloß hier geblieben. Doch nachdem das Buffet aufgebaut worden ist, hat Herr Haberkorn mich gehen lassen.“ Sie sah auf die beiden. „Ich bin Frau Knirschbier, die Haushälterin und das,“ sie nickte zu einem Riesenschreibtisch hinüber, hinter dem ein kleiner, hagerer, bebrillter Mann saß und Papiere durchsah, „das ist Doktor Fröhlich. Herr Haberkorns Anwalt, den ich gebeten hatte, hierher zu kommen. Ich wusste, Herr Haberkorn bewahrte den Schlüssel für den Schreibtisch in der Bonbondose auf. Nun versucht Herr Fröhlich Klarheit über den Nachlass zu erhalten, denn von gesetzlichen Erben ist uns nichts bekannt.“
„Gartenfest? Wann war das?“, fragte Schneider.
„Vorgestern.“
„Und wer war eingeladen?“ Schneider sah sich um. Das Wohnzimmer rustikal. Hirschgeweih über dem Kamin, davor ein Sofa, zwei Sessel mit Couchtisch und an der Seite der Schreibtisch aus dunklem Holz, vor dem der Anwalt saß, seinen Mund zu einem Lächeln verzog und mit einem Papier wedelte.
„Hier habe ich das Testament. Frau Knirschbier. Sieht so aus, als habe Ihr Chef Sie als Erben eingesetzt.“
Die Haushälterin ließ sich aufs Sofa fallen. „Was, mich? Da bin ich ja von den Socken. Wieviel ist es denn?“
„Nach erster Schätzung einige Millionen Euro.“ Fröhlich nahm seine Brille ab und blinzelte. „Nach den Auszügen zu urteilen, von Banken auf Barbados, den Seychellen, Malediven, wird es sich für Sie lohnen, dort mal Urlaub zu machen.“
Frau Knirschbier schnellte hoch und tippelte zu dem Anwalt.
„Kann ich mal sehen?“ Er gab ihr das Testament. „Und die Auszüge?“ Frau Knirschbier stopfte die Papiere in ihre Handtasche. Ihr Gesicht war gerötet. „Die kommen zur Sterbeurkunde.“
„Noch mal. Wer war eingeladen?“, insistierte Schneider.
„Hier ist eine Liste.“ Fröhlich schob sie dem Kommissar zu.
Schneider überflog das Papier. „Zwölf Personen. Und unten steht der Name der Tanzkapelle?“
„Ja“, meinte Frau Knirschbier. „Crying Wolf and the Allstars. Der Chef dieser Kapelle heißt Peter Luther. Ich hatte ihn und seine Band für Herrn Haberkorn über einen Manager angeheuert.“
Tanzkapelle. Wie sich am nächsten Nachmittag herausstellte, war es eine Rock n´Roll Band.
„Die Leute waren erstaunt, als wir mit unserem Bulli vorfuhren, Verstärker und Instrumente rausholten“, erzählte Luther, den Schneider ins Büro bestellt hatte. „Herr Haberkorn hatte mit Geigen und Akkordeon gerechnet und bat uns deshalb, Schlagzeug und Verstärker im Wohnzimmer aufzubauen und durch das geschlossene Fenster zu spielen. Auf der Terrasse und dem Rasen sei es immer noch laut genug.“
Luther, ein stämmiger, untersetzter Mann um die fünfundzwanzig, verzog sein Gesicht . „Unser Melodiegitarrist fand das nicht gut, weil er eine Chuck Berry Show abziehen wollte. Mit Duckwalk und Gitarre hinter dem Rücken. Das ging nun nicht.“ Luther grinste. „Dafür haben wir das Buffet abgeräumt.“
„Wer hat euch bezahlt?“, fragte Udo.
„Herrn Haberkorn haben wir nicht mehr gesehen. Es waren mehrere Männer. Sie haben noch was draufgelegt, weil sie den Rock, den wir spielten, cool fanden.“
„Ist Ihnen sonst etwas aufgefallen?“
„Dass die Partygäste nicht zum Buffet gekommen waren. Das war doch für sie bestimmt. Die Leute haben Polonaise bis zur Alster runter und zur Terrasse zurück getanzt und dann wieder zum Fluss. Als wir anfingen, wurde es schon dunkel. Einige Lampen waren im Garten aufgestellt, doch konnten wir nicht mehr viel erkennen. Wir konzentrierten uns auf Stücke, in denen Eisenbahnen vorkamen wie Little Evas Locomotion, Aerosmith Train kept a rolling, Guns N´Roses Night Train, Willie Nelsons City of New Orleans, Josh Turners Long black Train, CCR Midnight Special…”
“Schon gut!”, unterbrach Schneider. „Wir haben verstanden!“
Am darauffolgenden Tag, ließ die Kripo einen Taucher dort in die Alster steigen, wo Haberkorns Grundstück endete. Er kam aus dem Wasser und warf ihnen einen Ziegelstein vor die Füße. Der Sicherungsexperte zog sich Gummihandschuhe über, nahm ihn in die Hand.
„Gut möglich, dass Haberkorn damit erschlagen worden ist“, meinte er. „Sehen Sie die Blutspuren? Wir werden das verifizieren. Die Fingerabdrücke auf dem Stein sind vermutlich durch das Wasser unbrauchbar geworden.“
Schneider verabschiedete sich und ging mit Udo zum Wagen zurück. „Ich habe die Liste mit den Namen. Wir machen es wie im Film.“
Am Nachmittag danach standen sie mit den Partygästen im Konferenzraum. Acht Männer, drei Frauen mittleren Alters und ein alter Mann im Rollstuhl, der, um die achtzig Jahre alt oder älter, sein Gesicht nicht mehr unter Kontrolle bekam. Schneider und Udo sahen sich an.
„Und Sie haben mitgetanzt?“, wandte sich Schneider an ihn.
„Ich hatte einen Stellvertreter geschickt.“
„Wie heißt der Mann?“, fragte Udo.
„Der Name ist mir entfallen“, antwortete der Mann. „Ich weiß auch gar nicht mehr, wie er aussieht und wo er wohnt.“
„Kann ihn jemand beschreiben?“ Schneider sah die Partygäste der Reihe nach an.
„Nicht möglich“, antwortete einer. „Er trug eine Phantom-Maske.“ Die Frauen kicherten.
„Das ist ja lächerlich.“ Schneider lief rot an. „Einer von Ihnen hat Herrn Haberkorn erschlagen. Gab es einen Grund?“
„Er hat uns reingelegt, mit Hochglanzprospekten geködert, Renditen auf Immobilien versprochen, die er gar nicht besaß und uns um unser Geld gebracht“, rief der Mann aus dem Rollstuhl heraus. „Das Geld wollte ich Lilo, meiner Katze, vermachen. Sie geht nun leer aus. Herr Haberkorn hat uns alle zu dieser Party eingeladen, um uns nach der Tanzerei ein bombensicheres Projekt vorzustellen, mit dem wir unsere Verluste in Gewinne umwandeln könnten. Diese Frechheit war der Tropfen, der das Fass überlaufen ließ.“
„Und dann war da dieser Mann mit der Phantom-Maske“, rief eine Frau. „Unten am Fluss kam er plötzlich hinter den Büschen mit einem Mauerstein hervor und erschlug Herrn Haberkorn, stieß ihn ins Wasser, sprang in ein Boot und paddelte davon.“
„Und was haben Sie gemacht?“, fragte Udo.
„Wir haben noch ein paar Minuten weitergetanzt“, entgegnete einer der Männer. „Dann die Band ausgezahlt und sind nach Haus gefahren.“
„Wieso haben Sie die Polizei nicht informiert?“
„Der Mann war auf unserer Wellenlänge und hat nur das getan, vor dem wir als gesetzestreue Bürger zurückgeschreckt waren.“
Schneider sah Udo an und sagte dann: „Sie können gehen. Halten Sie sich jedoch in der Stadt auf. Wir werden Sie einzeln vernehmen müssen.“
„Der Mann mit dem Paddelboot“, seufzte Udo, als sie wieder allein waren. „Die Leute werden sich bald fragen, wo Haberkorn mit ihrem Geld abgeblieben war.“
Schneider hatte schon den Hörer in der Hand.
„Herr Dr. Fröhlich. Haben Sie die Nummer von Frau Knirschbier?....... Danke, habe ich notiert. Was? Sie ist nicht in Hamburg? Mit unbekanntem Ziel verreist? Sie wolle sich jetzt erst mal einen schönen Urlaub gönnen?“


Version 2

Letzte Aktualisierung: 14.07.2015 - 13.04 Uhr
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