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Partystimmung | Juli 2015

Rattenkönig
von Helga Rougui

DER SUCHER

Auf einmal stehe ich mitten auf dieser Straße, die sich hinter mir aufrollt wie ein roter Teppich zu einer dicken Schnecke, die streckt ihre Fühler aus und die verfolgen mich. Aber es ist nur der Bus, der mich ausgespuckt hat und jetzt weiterfährt.
Ich muß aufpassen.
Es vermischt sich so leicht.

Ich gehe ein paar Schritte, der Boden scheint fest und sicher, sehr nah plötzlich.
Es ist nicht immer gut an neuen Orten.
Gern tun sich Abgründe auf.
Von diesem Ort heißt es, er sei von Kanälen durchzogen, die sich in der Tiefe durch seine Eingeweide wühlen, ach was, die seine Eingeweide seien, und was Eingeweide tun, das weiß man ja, da will man nicht dabei sein.

Kanäle, dunkle, lange Gänge, Schläuche, Röhren, Darmgeschlinge zum Transport der Flüssigkeiten, die der Ort gebrauchen wird oder braucht und dann nicht mehr braucht.

Es ist nicht nur Wasser, was sich im ummauerten Bett träge vorwärtsschiebt.

Träge? Woher weißt du das? Warst du da?

Eine Pfote zupft an meinem Hosenbein. Ich schaue hinunter. Klein, struppig, glänzende Knopfaugen. Sie haben IMMER glänzende Knopfaugen. Die starren mich an, und die andere Pfote weist dringlich auf einen offenstehenden Gullydeckel.

Mir ist, als hätte ich das alles schon einmal erlebt.
Das ist natürlich Quatsch, ich kenne diese Ratte nicht. Ich meine, ich kenne eine Menge Ratten, meinen Vater zum Beispiel, diese obermiese Oberratte.
Ich mag meinen Vater nicht sonderlich.

Ratten lösen in meinem Geist Verwirrung aus.
Gleich werde ich mich wieder fragen, wer ich bin, und je nachdem, wie die Antwort ausfällt, endet alles in Heulen und Geschrei.
Alle gegen mich. Mörderisch.

Es zupft erneut an mir.

Wer – zum Henker - ...

Die pelzige Pfote zeigt immer noch auf den offenen Gullydeckel. Es scheint, daß meine Gedankenmäander das Problem nicht in Luft aufgelöst haben.
Da soll ich hinein?

Ich bin doch nicht verrückt.


DER NETTE KÖNIG RATTENMANN

- SIE ist zu dick, jammert Amalgamine, meine mir angetraute Gattin, sie paßt nicht.

Meine Herrlichkeit sitzt auf Selbdero Thron und hört nur halb hin. Müßte das nicht heißen – ICH bin zu dick? Also nicht Meine Herrlichkeit MichMeinerHöchstselbst, sondern ICH = SIE. Meine Gattin Nummer 273/560. Glaube ich. Es gibt einige davon.

- Mein Gebieterrrrr, rrrollt sie wie immer das R, wenn ich sie durch Nichtbeachtung gegen mich aufbringe, die Torte paßt nicht in das Loch.

Ich halte fein weiter das Maul.

Widersprich nie einer Rättin im Endstadium der Partyvorbereitung.
Im übrigen finde ich uns ganz schön vermenschlicht mit diesem neuen Multifunktionsherd, in dessen winzigen Backofen die Riesentorte meines Weibes nicht zu passen scheint, und die existentiellen Sinnkrisen, die derartige Pannen bei Amalgamine auslösen, findet man auch eher bei unseren Oberirdischen Schwestern.
Und wo wir schon mal dabei sind, heute sagt man nicht mehr "Party", sondern "Fete", und "Disco" heißt heute "Club", und es heißt auch nicht "Stimmung", sondern "Läuft".
So.
Ich hüte mich natürlich, diese Vorlesung laut zu halten, sonst hätte ich eher, als ich Käsewürfelquiche sagen kann – oder Mischwasserkanalabzweigung (je nach Stimmung halt) - umgehend einen Feudel in jeder Pfote – haben Sie schon mal einen Kanal gefeudelt?
Eben.
Mann soll weder Wut, Rachsucht noch Gewitztheit seines Weibes unterschätzen.

Meine Nummer Achistjaauchwurscht starrt mich an.
Was ist los? Sollte ich etwa doch -?

Nein, es scheint nicht.
Es setzt wieder Äckschen ein.
(Wer dreht diesen stinkigen Film eigentlich?)

Es beginnt mit einem retardierenden Moment.
Denn Amalgamine übertreibt immer und eben auch jetzt, als sie ein scharfes Küchenmesser packt und es langsam gegen ihre Brust richtet.
- Amalgammy, du bist nicht Vatel, lasse ich mich eilig auf eine banale Kommunikationsebene herab, der Fisch ist doch bereits heute morgen eingetroffen.
Sie schaut mich mißtrauisch an ob meines gelassenen, verständnisvollen Tons. Im übrigen hat sie nichts kapiert von dem, was ich gesagt habe. In ihr Hirn paßt gerade nur ein Gedanke: die Torte paßt nicht in das Loch.

Es gefällt ihr nicht, daß ich ihr nicht dramatisch das Messer entwinde usw usw.

Aber bei meinen 560 Ehefrauen sind solche Auftritte an der Tagesordnung, das hat sie wohl vergessen. Da nehme ich keine mehr richtig ernst, und sie sind so leicht zu ersetzen, dauernd werden neue geboren, und ich als Clanchef muß immer das größte Kontingent vom Nachwuchs heiraten, und Heirat bedeutet Beischlaf, und manchmal reichts mir echt mit dieser pausenlosen Fickerei, um neuen Nachwuchs zu erzeugen, den ich dann auch wieder heiraten muß, eine Schraube ohne Ende und Pimmelschmerz bis in alle Ewigkeit.

Das soll Liebe sein?

Ich träume echt so ab und an von einer netten Fernbeziehung, mit romantischem SMS - Verkehr, kein Austausch von Körperflüssigkeiten, keiner geht dem anderen auf den Sack durch allzugroßen Betrieb von Reibungsflächen, es gäbe keine messerschwenkenden Ehegesponse, keine sich vorlaut eingehandelten Feudel, keine Kinder, die in blödem Zärtlichkeitsbedürfnis ihre Schwänze ineinander verknoten ... UPPS.

Das Leben eines Rattenkönigs ist nicht leicht.

Und es reicht mir jetzt.

- Laßßßß das Messer fallen!, herrsche ich sie an, meine geliebte Gattin Nummer 273/560.
Sie tut es.
- Teil die blöde Torte durch zwei und back die beiden Hälften nacheinander.

Sie glotzt.

Herrgottnochmal.


DER STOLPERSTEIN

So weit, so niedlich.
Ein wenig verrückt, ein wenig verplaudert, ein wenig undurchsichtig.
Noch weiß keiner, wo es lang geht. Auch der Sucher nicht.
Der ist ja noch nicht mal in das Gullyloch gestiegen.

Also: die Geschichte des Rattenkönigs, der eine Party gibt.
Für seine Untertanen?
Für seine Frauen? (...nääää...)
Für den geheimnisvollen Gast?
(Wo bleibt der Sucher überhaupt?)
(Der steht immer noch vor dem offenen Gullydeckel und schaut in sein Eifon – was liest der da?)

All das hätte sich vielleicht sehr nett geschrieben.
Was noch gefehlt hätte, wäre ein Clou gewesen, ein überraschendes Ende, am besten ein Happy End für das rauschende Fest.
Irgendwer liebt immer irgendwen.
Wer wen, ist egal.
Hauptsache, sie kriegen sich.
Süperbe Idee.

Aber dann - der Hinweis, den kein Märchen aushält.
Desaströs.


DER WAHRE RATTENKÖNIG

Das Phänomen "Rattenkönig" – nicht so leicht zu vergessen, wenn einmal gegoogelt.
Auch wenn man es vergessen möchte.
Das Gegenteil von Ratatouille, dem putzigen kleinen Meisterkoch.
Das Gegenteil von dem herrlichen Herrscher auf seinem menschelnden Thron.
Teils Wahrheit, teils Mythos, wissenschaftlich lückenhaft dokumentiert.

Keine Partystimmung.
Wer eine Diät beginnen will, sollte sich diesen Wikipedia-Artikel reinziehen und ausgiebig die Bilder betrachten.

Wer hat den Sucher geheißen, seine Nase in Wiki zu stecken? Warum muß er jedem Hinweis nachgehen? Was ist es, das diesen Menschen so neugierig macht?

Das Leben ist, wie es ist.
Schöne Geschichten hier – Schleim, Schweiß, Widerwärtigkeiten da.

Die Wörter vs. die Wirklichkeit.

Diesmal hat die Wirklichkeit gewonnen.

Rattenkönig – monströs ausgeformte Anomalie des Wunsches, nicht allein sein zu wollen, nicht einsam zu leben, nicht verlassen zu sterben.

Der Sucher beschließt:

Besser, viel besser, allein zu sterben – als das.

Und - schmeißt eure Eifons weg.

Letzte Aktualisierung: 22.07.2015 - 06.14 Uhr
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