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Partystimmung | Juli 2015

Aljoscha tanzt
von Elisabeth Kuhs

...und dann griff Alexej in trunkenem Überschwang nach seiner Ziehharmonika, saugte Luft in ihre alten Lungen und spielte, spielte so schön wie Pjotr Iljitsch und Modest zusammen, und ihm traten Tränen in die Augen von der Rührung und vom Wodka und seine Finger tanzten nur so über die Knöpfe und die alte Harmonika sang und lachte mit Aljoscha, der dem Herrgott noch ein Töchterchen abgetrotzt hatte, ein Töchterchen, rot und hutzlig, noch ganz ohne Haare, und schaute doch schon so klug und lustig in die Welt wie sein Väterchen, der Alex, der Teufelskerl! Dass er es noch einmal fertig bringen würde, denn jenseits der 70 zählten die Jahre doppelt, weiß Gott, wo doch sein grauer Bart schon dünn wurde und er an feuchten Herbstmorgen seine Knochen spürte, nein, niemand hatte das gedacht. Seine Nadja, sein Mütterchen, sein Hühnchen, seine Nadjeschda hatte ein Wunder vollbracht, ein Engelchen hatte sie ihm ge-schenkt. Und alle hatten sie gesagt: Die doch nicht, die wirft nie was, schon gar nicht von dir, Großväterchen, alle, der lange Wenedikt, Sergej mit dem steifen Knie, der verrückte Wassilij und ihre Weiber, alle hatten sich das Maul gewetzt - aber er hatte es ihnen gezeigt, hatte es ihnen noch einmal gezeigt! Und er presste und drückte seine Harmonika, als hielte er seine Nadja, er breitete seine Arme aus, breitete ihre Arme aus, und sie jauchzte wie Nadjeschda in jener Nacht, als sie das kleine Mädchen, das Püppchen, das Zuckerschnütchen zeugten. Und mit einem Mal fingen sie an zu singen, erst die dicke Iwanowka mit der schrillen Stimme und dann die Petrowska und Wladimir mit seinem versoffenen Bass und Stepan der Schäfer, alle, alle, und Aljoscha tanzte wie ein Junger, er schwenkte seine Harmonika wie eine Braut, er sang und stampfte und lachte und drehte sich und wirbelte und jauchzte und sprang in die Knie und lachte - und da versagte mit einem Mal sein Herz. Kündigte ihm den Dienst auf, nahm seinen Abschied, hörte auf zu schlagen. Und Alexej, der Jüngling, das frischgebackene Väterchen, wankte, taumelte und brach mitten im Jubel, mitten im Tanz zusammen.

Später, als sie ihn in den Sarg legten, sagte einer verwundert - es wird Wassilij gewesen sein - : „Nun schau sich einer sein Gesicht an! So viel Glück - fast möcht´ man neidisch werden.“

Letzte Aktualisierung: 22.07.2015 - 12.57 Uhr
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