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Auf Schatzsuche | August 2015
Hanni-Schatz
von Anne Zeisig

Ich bin vollkommen durcheinander, lege mit zitternden HĂ€nden das pinkfarbene Barbie-Puppen-Köfferchen und den dazugehörenden SchlĂŒssel in den Aktenschrank zurĂŒck.
Gestern hatte ich den SchlĂŒssel zufĂ€llig gefunden, weil ich in den Akten nachsehen musste, welche Versicherungen von meinem Vater gekĂŒndigt werden mĂŒssen.
Ich wollte nicht vor der Bestattung meines Vaters neugierig sein ...

Mein Mann ruft nach mir, er benötigt noch Teller fĂŒr die TrauergĂ€ste. Ich eile hinunter und will in die KĂŒche gehen, als mich eine frĂŒhere Nachbarin meines Vaters abfĂ€ngt und mir ihr Beileid ausspricht: “Wie schön, dass der ehrwĂŒrdige Herr Albers, Gott habe ihn selig, seine letzten Monate im Kreise der Familie verbringen konnte. Er war eine Seele von Mensch. Aufrichtig und hilfsbereit.” Ich lĂ€chele noch gequĂ€lter, als mir der ehemalige Chef meines Vaters kondoliert: “Ihr Herr Vater war ein ehrlicher, pflichtbewusster Mitarbeiter. Durch und durch korrekt. Wir haben ihn nicht gerne vorzeitig in den Ruhestand geschickt, das mĂŒssen Sie mir glauben, aber ... “
“Ich weiß”, antworte ich, “die Umstrukturierung in der Bank, die Globalisierung”, und flĂŒchte endlich in die KĂŒche, hole Teller fĂŒr den Brunch.
ZunÀchst der Tod meiner Mutter, danach der Arbeitsplatzverlust, wir konnten zusehen, wie rapide mein Vater geistig abbaute, alleine nicht mehr leben konnte. Und unsere Mansarde war frei, seit unsere Tochter auswÀrts studierte.

* * *

“Aber Papa! Wenn du hier im Haus mit diesem rosa Köfferchen unter dem Arm herumlĂ€ufst, ist das in Ordnung, jedoch weigere ich mich, das Ding mit in den Urlaub zu nehmen.”
Es sollte der erste Urlaub mit uns und Vater sein, seit er bei uns wohnte.
“Hanni-Schatz, das verstehst du nicht. Es handelt sich um einen kostbaren Koffer.” Er flĂŒsterte nun. “Es könnten Einbrecher hier eindringen und ihn mitnehmen. Das darf nicht passieren.”
Ich kann mich nicht mehr erinnern, seit wann mein Vater mich mit dem Namen meiner Mutter anspricht, das muss kurz nach seinem Einzug bei uns gewesen sein. Allerdings hatte er meine Mutter nur Hanni genannt. Das Kosewort ‘Schatz’ war nie ĂŒber seine Lippen gekommen.
Ich lege die letzten Sachen in seinen Reisekoffer. “Willst du mir verraten, was an dem Plastikding so wertvoll ist?”
Unsere Tochter hatte seinerzeit das Köfferchen mit Barbiekleidung von den Großeltern geschenkt bekommen und benutzte es als Schatzkiste. Fotos, Glasperlen, Muscheln und Modeschmuck hatte sie darin gesammelt.
“Frauen dĂŒrfen alles essen und auch Ă€h, ja, Koffer packen zum Beispiel, aber wissen mĂŒssen sie nicht alles. Auch nicht, wenn man so lange verheiratet ist wie wir.” Er zwinkerte mit den Augen. Ich musste lĂ€cheln, weil aus seinen Augen der Schalk von frĂŒher aufblitzte. “Du kannst das Köfferchen doch gut im Haus verstecken, dann findet es niemand”, schlug ich ihm vor.
Er tippte sich an die SchlĂ€fe. “Da wĂ€re ich ja ganz schön blöd. Denkst du etwa, ich merke nicht, wie mein GedĂ€chtnis nachlĂ€sst? Am Ende weiß ich dann selber nicht mehr, wo ich ihn deponiert habe.”
Ich umarmte ihn innig. Er tĂ€tschelte meine Wange. “Aber Hanni-Schatz. Musst nicht traurig sein. Solange du bei mir bist, kann mir doch nichts passieren.” Vater löste sich von mir und zeigte auf das rosa Köfferchen. “Der Koffer, das ist ein kostbarer Schatz. Der kommt mit! Sonst bleibe ich zu hause. Ende der Diskussion!”
Ich schloss den Zipper seines Reisekoffers.
Mein Vater ließ sich nicht umstimmen.

* * *

“Den Urlaub kannst du vergessen!”, keifte mein Mann. “Ich mach mich doch nicht lĂ€cherlich und renne am Strand mit einem Schwiegervater herum, der einen Barbiekoffer mit sich rumschleppt und behauptet, das wĂ€re ein kostbarer Schatz! Es reicht, wenn er dich Hanni-Schatz nennt!”
Tja. Guter Rat war teuer und nicht in Sicht.
Aber auch Wut breitete sich in mir aus. “Wir werden alle mal alt!”, raunzte ich ihn an. “Und wer Toleranz predigt, sollte sie auch leben!”
“Ich habe fĂŒr Toleranz plĂ€diert?”
Ich nickte vehement. “Als unser Töchterlein diesen Obdachlosen mitbrachte, weil der Hunger hatte. Den hast zum Abendessen eingeladen, obwohl er furchtbar gestunken hat!”
“Aber der Mann hatte echt Ahnung von Autos! Und ich musste mit ihm ja nicht in die Oper gehen!”
Nun musste ich schluchzen. “Aber fĂŒr meinen Vater schĂ€mst du dich.”
Bernd umarmte mich. “Aber Hanni-Schatz.” Ich gab ihm versöhnlich andeutungsweise eine Ohrfeige und flĂŒsterte. “Darf ich mich vorstellen? Ich bin Uschi-Schatz.” Wir prusteten laut, als plötzlich mein Vater hinter uns stand. “Und wann geht es los? Ich bin gerĂŒstet!”
Er stand gestiefelt und gespornt mit Wintermantel und WollmĂŒtze bei Dreißig Grad Außentemperatur in der KĂŒche. In der Linken seinen Reisekoffer, in der Rechten seinen Barbie-Schatzkoffer, stellte beides auf dem Boden ab und zog ein Hosenbein hoch. “Schau, Hanni-Schatz, ich habe sogar die selbstgestrickten Wollsocken angezogen. Wegen dem Rheuma.”
“Na, Schwiegervater, wieviel Millionen hast du denn in dem Köfferchen?” Bernd erhob einen Zeigefinger. “Du hast doch wohl nicht etwa eine Bank ausgeraubt? Das mĂŒsste ich auf der Wache meinen Kollegen melden.”
Mein Vater zeigte ihm an seiner SchlĂ€fe ein Vögelchen und sĂ€uselte. “Mach dich nur lustig ĂŒber einen kleinen, bescheidenen Bankangestellten.” Und verließ den Raum.

Über den Urlaub gibt es nicht viel zu erzĂ€hlen.
Bernd hatte sich ein MetallsuchgerĂ€t gekauft und ging tĂ€glich alleine auf Schatzsuche. Die Betonung liegt auf dem ‘Alleine’. “Uschi-Schatz, du hast ja keine Ahnung, was die Menschen am Strand alles verlieren. Goldschmuck! Silberschmuck! Verstecktes Diebesgut!”
WĂ€hrenddessen spazierten Vater und ich barfuß an der Wasserkante entlang, ich den Brustbeutel mit der EC-Karte und Kleingeld um den Hals und Vater seinen Schatz-Koffer unter dem Arm.
Ja und? Kopf hoch und Brust raus! Was ist denn gegen einen Großvater zu sagen, der seiner Enkelin in einem der StrandlĂ€den so was Schönes gekauft hat! StĂ€ndig wurden wir von Eltern und kleinen MĂ€dels gefragt, in welchem Laden wir den gekauft hĂ€tten, der sĂ€he so toll nach Retro aus.
“Den lasse ich mir nicht klauen”, antwortete mein Vater stets und presste das Köfferchen noch enger an sich, “der ist kostbar, der ist unbezahlbar.”
Ich zwinkerte dann stets mit einem Auge und sagte leise, dass es der letzte Retro-Koffer gewesen sei, den wir erstanden hĂ€tten und nahm mir vor, mal im Internet nachzugoogeln, ob dieses Teil nicht womöglich inzwischen ein teures SammlerstĂŒck sei.
Das erzĂ€hlte ich auch Bernd und der ĂŒberzeugte meinen Vater, dass es besser sei, diesen Schatz in Rosa im hoteleigenen Safe aufzubewahren, bis sein Wert endgĂŒltig geklĂ€rt sei.
Vaters Augen bekamen Glanz, als er seinen Schatz dem Hotelpagen ĂŒbergab. “Ich nehme an, die eingelagerten Wertsachen sind bis einhunderttausend Mark versichert?”
“Euro”, berichtigte Bernd und ĂŒbergab dem verdutzten Mitarbeiter das Kinderköfferchen.
“Und wo ist der Ertrag deiner Schatzsuche? Der Gold- und Silberschmuck?”, fragte ich meinen Mann. “Wo wir doch gerade beim Einlagern unserer LuxusgĂŒter sind.”
Mein Gatte zuckte mit den Schultern. “Das hier scheint nicht der Strand der Reichen und Schönen zu sein.”
“Versager”, zischte mein Vater, “wer ist dieser Herr ĂŒberhaupt? Hoffentlich keiner von der Polizei.”
“Papa! Das ist Bernd, mein Mann! Und JA, err arbeitet bei der Polizei.”
“Trotzdem Versager”, nuschelte er.

Die Recherche am Abend ergab, dass das Barbie Köfferchen kein gesuchtes SammlerstĂŒck ist.

* * *

Als sich der letzte Gast verabschiedet hat, gehe ich noch einmal hoch in die Mansarde, hole das Köfferchen heraus und schließe es auf.
Obenauf liegt das Schreiben meines Vaters. Ich muss noch einmal lesen, um wirklich zu kapieren, dass ...

Hanni-Schatz. Meine Liebste.
Du hast immer so viel Geduld mit mir gehabt.
Mit mir, einem kleinen Bank-Buchhalter,
der dir nie Luxus ermöglichen konnte.
Frage nicht, woher das Geld kommt:
20.000,00 Euro.
ZĂ€hl aber vorsichtshalber noch einmal
genau nach.
Ich habe es denen entwendet,
die ĂŒberreichlich davon haben.
Sie haben ‘s nicht einmal bemerkt.
Kein Sparer wurde geschÀdigt.
Dein Gustav

Mit Herzklopfen zÀhle ich das Geld.
“Zwanzigtausend Euro”, flĂŒstere ich, “Papa, die Summe stimmt.” Und lasse die Geldscheine durch meine Finger gleiten.


© anne zeisig ENDversion

Letzte Aktualisierung: 26.08.2015 - 23.13 Uhr
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