Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
Ich bin vollkommen durcheinander, lege mit zitternden HĂ€nden das pinkfarbene Barbie-Puppen-Köfferchen und den dazugehörenden SchlĂŒssel in den Aktenschrank zurĂŒck.
Gestern hatte ich den SchlĂŒssel zufĂ€llig gefunden, weil ich in den Akten nachsehen musste, welche Versicherungen von meinem Vater gekĂŒndigt werden mĂŒssen.
Ich wollte nicht vor der Bestattung meines Vaters neugierig sein ...
Mein Mann ruft nach mir, er benötigt noch Teller fĂŒr die TrauergĂ€ste. Ich eile hinunter und will in die KĂŒche gehen, als mich eine frĂŒhere Nachbarin meines Vaters abfĂ€ngt und mir ihr Beileid ausspricht: âWie schön, dass der ehrwĂŒrdige Herr Albers, Gott habe ihn selig, seine letzten Monate im Kreise der Familie verbringen konnte. Er war eine Seele von Mensch. Aufrichtig und hilfsbereit.â Ich lĂ€chele noch gequĂ€lter, als mir der ehemalige Chef meines Vaters kondoliert: âIhr Herr Vater war ein ehrlicher, pflichtbewusster Mitarbeiter. Durch und durch korrekt. Wir haben ihn nicht gerne vorzeitig in den Ruhestand geschickt, das mĂŒssen Sie mir glauben, aber ... â
âIch weiĂâ, antworte ich, âdie Umstrukturierung in der Bank, die Globalisierungâ, und flĂŒchte endlich in die KĂŒche, hole Teller fĂŒr den Brunch.
ZunÀchst der Tod meiner Mutter, danach der Arbeitsplatzverlust, wir konnten zusehen, wie rapide mein Vater geistig abbaute, alleine nicht mehr leben konnte. Und unsere Mansarde war frei, seit unsere Tochter auswÀrts studierte.
* * *
âAber Papa! Wenn du hier im Haus mit diesem rosa Köfferchen unter dem Arm herumlĂ€ufst, ist das in Ordnung, jedoch weigere ich mich, das Ding mit in den Urlaub zu nehmen.â
Es sollte der erste Urlaub mit uns und Vater sein, seit er bei uns wohnte.
âHanni-Schatz, das verstehst du nicht. Es handelt sich um einen kostbaren Koffer.â Er flĂŒsterte nun. âEs könnten Einbrecher hier eindringen und ihn mitnehmen. Das darf nicht passieren.â
Ich kann mich nicht mehr erinnern, seit wann mein Vater mich mit dem Namen meiner Mutter anspricht, das muss kurz nach seinem Einzug bei uns gewesen sein. Allerdings hatte er meine Mutter nur Hanni genannt. Das Kosewort âSchatzâ war nie ĂŒber seine Lippen gekommen.
Ich lege die letzten Sachen in seinen Reisekoffer. âWillst du mir verraten, was an dem Plastikding so wertvoll ist?â
Unsere Tochter hatte seinerzeit das Köfferchen mit Barbiekleidung von den GroĂeltern geschenkt bekommen und benutzte es als Schatzkiste. Fotos, Glasperlen, Muscheln und Modeschmuck hatte sie darin gesammelt.
âFrauen dĂŒrfen alles essen und auch Ă€h, ja, Koffer packen zum Beispiel, aber wissen mĂŒssen sie nicht alles. Auch nicht, wenn man so lange verheiratet ist wie wir.â Er zwinkerte mit den Augen. Ich musste lĂ€cheln, weil aus seinen Augen der Schalk von frĂŒher aufblitzte. âDu kannst das Köfferchen doch gut im Haus verstecken, dann findet es niemandâ, schlug ich ihm vor.
Er tippte sich an die SchlĂ€fe. âDa wĂ€re ich ja ganz schön blöd. Denkst du etwa, ich merke nicht, wie mein GedĂ€chtnis nachlĂ€sst? Am Ende weiĂ ich dann selber nicht mehr, wo ich ihn deponiert habe.â
Ich umarmte ihn innig. Er tĂ€tschelte meine Wange. âAber Hanni-Schatz. Musst nicht traurig sein. Solange du bei mir bist, kann mir doch nichts passieren.â Vater löste sich von mir und zeigte auf das rosa Köfferchen. âDer Koffer, das ist ein kostbarer Schatz. Der kommt mit! Sonst bleibe ich zu hause. Ende der Diskussion!â
Ich schloss den Zipper seines Reisekoffers.
Mein Vater lieĂ sich nicht umstimmen.
* * *
âDen Urlaub kannst du vergessen!â, keifte mein Mann. âIch mach mich doch nicht lĂ€cherlich und renne am Strand mit einem Schwiegervater herum, der einen Barbiekoffer mit sich rumschleppt und behauptet, das wĂ€re ein kostbarer Schatz! Es reicht, wenn er dich Hanni-Schatz nennt!â
Tja. Guter Rat war teuer und nicht in Sicht.
Aber auch Wut breitete sich in mir aus. âWir werden alle mal alt!â, raunzte ich ihn an. âUnd wer Toleranz predigt, sollte sie auch leben!â
âIch habe fĂŒr Toleranz plĂ€diert?â
Ich nickte vehement. âAls unser Töchterlein diesen Obdachlosen mitbrachte, weil der Hunger hatte. Den hast zum Abendessen eingeladen, obwohl er furchtbar gestunken hat!â
âAber der Mann hatte echt Ahnung von Autos! Und ich musste mit ihm ja nicht in die Oper gehen!â
Nun musste ich schluchzen. âAber fĂŒr meinen Vater schĂ€mst du dich.â
Bernd umarmte mich. âAber Hanni-Schatz.â Ich gab ihm versöhnlich andeutungsweise eine Ohrfeige und flĂŒsterte. âDarf ich mich vorstellen? Ich bin Uschi-Schatz.â Wir prusteten laut, als plötzlich mein Vater hinter uns stand. âUnd wann geht es los? Ich bin gerĂŒstet!â
Er stand gestiefelt und gespornt mit Wintermantel und WollmĂŒtze bei DreiĂig Grad AuĂentemperatur in der KĂŒche. In der Linken seinen Reisekoffer, in der Rechten seinen Barbie-Schatzkoffer, stellte beides auf dem Boden ab und zog ein Hosenbein hoch. âSchau, Hanni-Schatz, ich habe sogar die selbstgestrickten Wollsocken angezogen. Wegen dem Rheuma.â
âNa, Schwiegervater, wieviel Millionen hast du denn in dem Köfferchen?â Bernd erhob einen Zeigefinger. âDu hast doch wohl nicht etwa eine Bank ausgeraubt? Das mĂŒsste ich auf der Wache meinen Kollegen melden.â
Mein Vater zeigte ihm an seiner SchlĂ€fe ein Vögelchen und sĂ€uselte. âMach dich nur lustig ĂŒber einen kleinen, bescheidenen Bankangestellten.â Und verlieĂ den Raum.
Ăber den Urlaub gibt es nicht viel zu erzĂ€hlen.
Bernd hatte sich ein MetallsuchgerĂ€t gekauft und ging tĂ€glich alleine auf Schatzsuche. Die Betonung liegt auf dem âAlleineâ. âUschi-Schatz, du hast ja keine Ahnung, was die Menschen am Strand alles verlieren. Goldschmuck! Silberschmuck! Verstecktes Diebesgut!â
WĂ€hrenddessen spazierten Vater und ich barfuĂ an der Wasserkante entlang, ich den Brustbeutel mit der EC-Karte und Kleingeld um den Hals und Vater seinen Schatz-Koffer unter dem Arm.
Ja und? Kopf hoch und Brust raus! Was ist denn gegen einen GroĂvater zu sagen, der seiner Enkelin in einem der StrandlĂ€den so was Schönes gekauft hat! StĂ€ndig wurden wir von Eltern und kleinen MĂ€dels gefragt, in welchem Laden wir den gekauft hĂ€tten, der sĂ€he so toll nach Retro aus.
âDen lasse ich mir nicht klauenâ, antwortete mein Vater stets und presste das Köfferchen noch enger an sich, âder ist kostbar, der ist unbezahlbar.â
Ich zwinkerte dann stets mit einem Auge und sagte leise, dass es der letzte Retro-Koffer gewesen sei, den wir erstanden hĂ€tten und nahm mir vor, mal im Internet nachzugoogeln, ob dieses Teil nicht womöglich inzwischen ein teures SammlerstĂŒck sei.
Das erzĂ€hlte ich auch Bernd und der ĂŒberzeugte meinen Vater, dass es besser sei, diesen Schatz in Rosa im hoteleigenen Safe aufzubewahren, bis sein Wert endgĂŒltig geklĂ€rt sei.
Vaters Augen bekamen Glanz, als er seinen Schatz dem Hotelpagen ĂŒbergab. âIch nehme an, die eingelagerten Wertsachen sind bis einhunderttausend Mark versichert?â
âEuroâ, berichtigte Bernd und ĂŒbergab dem verdutzten Mitarbeiter das Kinderköfferchen.
âUnd wo ist der Ertrag deiner Schatzsuche? Der Gold- und Silberschmuck?â, fragte ich meinen Mann. âWo wir doch gerade beim Einlagern unserer LuxusgĂŒter sind.â
Mein Gatte zuckte mit den Schultern. âDas hier scheint nicht der Strand der Reichen und Schönen zu sein.â
âVersagerâ, zischte mein Vater, âwer ist dieser Herr ĂŒberhaupt? Hoffentlich keiner von der Polizei.â
âPapa! Das ist Bernd, mein Mann! Und JA, err arbeitet bei der Polizei.â
âTrotzdem Versagerâ, nuschelte er.
Die Recherche am Abend ergab, dass das Barbie Köfferchen kein gesuchtes SammlerstĂŒck ist.
* * *
Als sich der letzte Gast verabschiedet hat, gehe ich noch einmal hoch in die Mansarde, hole das Köfferchen heraus und schlieĂe es auf.
Obenauf liegt das Schreiben meines Vaters. Ich muss noch einmal lesen, um wirklich zu kapieren, dass ...
Hanni-Schatz. Meine Liebste.
Du hast immer so viel Geduld mit mir gehabt.
Mit mir, einem kleinen Bank-Buchhalter,
der dir nie Luxus ermöglichen konnte.
Frage nicht, woher das Geld kommt:
20.000,00 Euro.
ZĂ€hl aber vorsichtshalber noch einmal
genau nach.
Ich habe es denen entwendet,
die ĂŒberreichlich davon haben.
Sie haben âs nicht einmal bemerkt.
Kein Sparer wurde geschÀdigt.
Dein Gustav
Mit Herzklopfen zÀhle ich das Geld.
âZwanzigtausend Euroâ, flĂŒstere ich, âPapa, die Summe stimmt.â Und lasse die Geldscheine durch meine Finger gleiten.