„Meinst du, wir finden noch mehr davon?“, fragte Björn seinen Freund Tim.
In Tims Handfläche lag eine abgegriffene römische Münze, die er hin und her schwenkte, als sei sie ein Kompass.
Tim spuckte die Münze an und ließ seine Hand zuschnappen. „Und ob!“
„Habe ich was verpasst?“, völlig außer Atem gesellte sich Greta zum Duo.
Sie hatte noch schnell die Fahrräder zusammengeschlossen und war dann nachgekommen.
Greta überragte Tim und Björn um einen halben Kopf, obwohl sie alle gleichaltrig waren und in dieselbe fünfte Klasse gingen.
Die anderen Jungen hatten Respekt vor ihr, aber mit Björn und Tim kam sie besser klar.
„Wir müssen uns wohl auf unser detektivisches Gespür verlassen. Mein Vater hat mir seinen Metalldetektor nicht gegeben. Aber Mal im Ernst, wenn er damit heimlich auf Spielplätzen unterwegs ist, um verlorenes Geld zu suchen, sieht das total albern aus.“, sagte Tim.
Björn und Greta blickten ihn verwundert an.
„Das Training hilft ihm bei seiner geologischen Arbeit. Behauptet er zumindest. Münzen findet er dabei kaum.“ Tim zuckte mit den Achseln. „Aber jede Menge Pfanddosen.“
Alle drei lachten. Das erklärte auch, warum Tims Vater immer so viel Leergut wegbrachte.
Heute war ein heißer Tag. Trotzdem trugen sie lange Kleidung, um sich im Unterholz nicht zu verletzen und wegen der Zeckengefahr. Sie waren nicht zum ersten Mal auf Expedition. Jeder trug einen Rucksack mit den notwendigsten Sachen für ein Abenteuer.
Hier im Wald war es angenehm kühl.
Tims Vater hatte die römische Münze selbst als Jugendlicher gefunden, als er wieder mal von zu Hause ausgebüchst war. Von ihm hatten sie auch den Tipp zum Suchen bekommen.
Und von Björns Großvater wussten sie, dass es hier vor Ewigkeiten eine römische Festung gegeben hatte. Früher hatte der Limes durch ihre Heimatstadt geführt. Im historischen Stadtkern konnte man die rekonstruierten Reste des Grenzwalls wieder bewundern.
Greta konnte sich nicht erinnern, jemals in dieser Gegend gewesen zu sein. Zu dritt hatten sie schon alles im Umkreis von zehn Kilometern erkundet, aber hier führte kein Wanderweg entlang und sie waren schon gut zwanzig Minuten mit dem Fahrrad gefahren.
Tim hatte seinen Vater gefragt, ob er mit seinem Metalldetektor nicht selbst schon hier gewesen war. Mehr als ein paar rostige Nägel waren mit Gerät nicht zu finden. Und die stammten von einem vermoderten Baumhaus.
„Immer geradeaus und dann links, dann sind wir auf der Lichtung.“, gab Tim die Richtung an.
Der Wildpfad war nur schwach zu erkennen. Die Tiere hatten sich in den letzten Jahren tiefer in den Wald zurückgezogen.
Björn warf einen Blick auf sein Smartphone. „Der Empfang wird schlechter. Die GPS-Karte zeigt nur noch grüne Fläche.“
„Jetzt pack doch mal dein blödes Technik-Ding weg. Wir haben auch so Spaß!“, Greta überholte Björn.
„Du bist doch nur neidisch, weil du keins hast.“ Björn bereute seine Worte, gleich nachdem er sie ausgesprochen hatte.
Aber Greta steckte das locker weg. „Mein Vater hat zwar keinen Doktortitel wie deiner, aber dafür kann er Möbel zusammenbauen.“
Björn lief rot an, als er an den IKEA-Kleiderschrank dachte, den sein Vater zusammengeschustert und der sich beinahe als Todesfalle entpuppt hatte.
Sie hatten die Baumgrenze passiert. Es gab kaum noch ein vorankommen. Außerdem war es auch deutlich dunkler geworden. Finstere Wolken zogen auf und starker Wind zerrte an ihrer Kleidung.
Sie kletterten über eine riesige Baumwurzel und kämpften sich durch ein Dornengebüsch.
„Achtung, tiefhängende Äste!“, rief Tim gegen die inzwischen stürmischen Böen.
„Sollen wir nicht lieber umdrehen?“, schrie Björn zurück.
Tim drehte sich um. Greta nickte zustimmend.
„O.k., ihr habt Recht. Wir ...“, weiter kam er nicht, da er die Balance verlor und das Gewicht seines Rucksacks ihn rücklings herunterzerrte.
Greta fasste geistesgegenwärtig nach seiner Jacke und Björn gleichzeitig Gretas Rucksack.
Doch es gab kein Halten mehr. Sie rollten und rutschten einen zehn Meter langen Abhang herunter und nur das knöchelhohe, trockene Laub bewahrte sie vor ernsthaften Verletzungen.
„Hat sich einer was getan?“, wollte Tim wissen, nachdem sie aufgestanden waren.
Aber mehr als Dreck im Gesicht und ein paar Schürfwunden hatten sie nicht davongetragen.
„Ganz schön steil.“ Tim sah sich den Abhang an.
Greta und Björn starrten mit offenem Mund in die entgegengesetzte Richtung.
Vor ihnen lag eine riesige Lichtung. Weit über den Baumkronen war alles voller schwarzer Wolken und leichter Regen setzte ein.
Mitten auf der Lichtung stand ein uralter gigantischer Baum, der wie die offene Hand eines Riesen wirkte, da er statt nach oben zu den Seiten gewachsen war.
Der Regen wurde stärker.
„Wir müssen uns irgendwo unterstellen.“, schlug Björn vor.
„Der Baum! Seht, da sind Reste von einem Baumhaus, die bieten genügend Schutz. Den Hang schaffen wir nicht mehr.“
„Bist du verrückt, Greta? Das Ding zieht Blitze bestimmt magisch an.“ Tim schüttelte den Kopf.
Ein Donnergrollen, lauter als ein Kanonenschlag, hämmerte durch den Wald und ließ es die Kinder in der Magengrube spüren.
„Lauft!“, schrie Tim jetzt. Der Sturm und hagelartiger Regen wollten sie daran hindern.
Schließlich fanden sie Schutz unter einem der ausladenden Äste mit den Baumhausresten.
Sie kauerten sich zusammen und hielten eine Zeltplane über sich.
Ein mehrfaches Donnern kündete an, dass sich das Unwetter direkt über ihnen befand.
Ein Blitz schlug in eine kleine Birke auf der Lichtung ein. Er war so grell, dass sie ihn sogar durch die Plane sehen konnten.
Sie rückten noch näher zusammen.
„Ich habe Angst!“, zitterte Greta. Tim und Björn waren verblüfft von Greta, die ja größer als sie war und gaben ehrlich und wie aus einem Mund zu: „Ich auch!“
Ein kräftiger Windstoß entriss ihnen die Zeltplane.
„Schei…“, wollte Tim fluchen, aber ein Blitz unterbrach ihn. Direkt über ihnen splitterte Holz und Latten regneten herunter.
Björn wurde an der Schulter getroffen. „Aua!“, stöhnte er. Aber der Schreck war größer als der Schmerz.
Ein gefährliches Knarren kündete noch mehr an: Der Ast brach.
„Weg, weg, weg.“ Tim krabbelte in die eine Richtung, Björn und Greta in die andere. Da krachte auch schon der Ast mit dem Baumhaus nach unten, schlug auf die Erde und verschwand darin. Der Boden brach weg und die drei rutschen hinab.
„Nicht schon wieder!“ Björn versuchte sich vergeblich irgendwo festzuhalten, denn der Untergrund war zu matschig.
Schließlich landete er neben Greta, die vor ihm unten angekommen war.
Sie beleuchtete mit einer Taschenlampe den glitschigen Ast. Von der anderen Seite glitt ebenfalls ein Lichtstrahl über das glänzende Holz.
„Alles klar bei euch?“, fragte Tim.
Es regnete zwar noch, aber den Wind spürten sie nicht mehr.
„Wo sind wir?“ Björn hatte auch seine Taschenlampe aus dem Rucksack herausgekramt und leuchtete Wände und Decke ab.
Um sie herum waren große Steinquader zu Mauern verarbeitet worden.
Selbst die Wurzeln des Baumes hatten diese nicht sprengen können.
„Bevor einer was sagt. Wie sollten uns hier umsehen. Dieser Keller hat wer weiß wie lange gehalten und wird bestimmt nicht ausgerechnet jetzt gleich einstürzen.“ Tim sah längst nicht so zuversichtlich aus, wie es seine Worte waren.
Greta machte ein eher verkniffenes Gesicht und Björn regierte gar nicht.
Sie suchten ein Weiterkommen. Der Ast hatte einen Durchgang verschüttet und dann gab es noch eine Tür, die vom bloßen Ansehen auseinanderfallen würde.
Tim zog vorsichtig an dem Metallring. Das Holz riss an den Angeln und der Rest polterte auf den Steinboden. Dabei wirbelte so viel Staub auf, dass sie nichts mehr sahen und husten mussten.
Sie leuchteten in den Gang und das Licht fiel auf eine Art Wandteppich.
Björn zog daran. Dahinter hing ein angekettetes Skelett. Es trug eine römische Rüstung und hatte ein plumpes Messer in der Brust stecken.
Der bleiche Schädel grinste sie an.
Mit schreckgeweiteten Augen drückten sich Greta und Björn mit dem Rücken an der Wand vorbei.
Mutig zog Tim das Messer aus der Brust. „Ihr braucht keine Angst zu haben, der ist schon lange tot!“
Ein leichtes Beben ließ den Boden vibrieren und das Skelett fiel rasselnd auseinander.
„Gut, lassen wir ihn lieber weiterhin in Ruhe.“ Tim legt das Messer ab und schlich ebenfalls weiter.
Der Lärm des Unwetters blieb hinter ihnen.
Sie folgten dem langen Gang und kamen wieder an eine Tür, die aber stabiler wirkte.
Sie war verschlossen, doch als sich alle gleichzeitig dagegen warfen, stürzten sie wortwörtlich mit der Tür ins Haus.
Sie hatten einen Lagerraum gefunden. Offenbar hatten die ursprünglichen Bewohner ihn fluchtartig verlassen müssen. Überall lagen Tonkrüge, zerschlissene Säcke mit Korn, Kurzschwerter, verrottete Stoffballen und allerhand Tand herum. Auch Münzen. Tim kramte seine aus der Tasche: Sie waren identisch.
Nachdem das Unwetter abgeklungen war, hatten sie sich auf den Rückweg gemacht. Es war zwar gar nicht so einfach gewesen, den Ast empor zu klettern, aber gemeinsam hatten sie es geschafft.
Am Rande der Lichtung hatte Björn mit seinem Handy Tims Vater anrufen können, der wusste, wo sie waren.
„Ist ja doch zu was nutze.“ Lächelte Greta ihn an. Björn lächelte zurück.
Oben am Abhang drehten sie sich noch einmal um: Der Baum war zur anderen Seite hin umgestürzt und hatte noch mehr Kellergänge einstürzen lassen. Wie ein riesiges Spinnenetz zogen sich die Risse auf der ganzen Lichtung durch den Boden und ließen ungefähr erahnen, wie groß die Anlange gewesen war.
„Fehlt nur noch der Regenbogen, der zum Topf voller Gold führt“, meinte Greta melancholisch.
„Wie wahrscheinlich ist das denn?“, fragte Tim.
Björn zeigte ihr einen Vogel und winkte ab.
Müde machten sie sich auf den Weg, denn sie wollten trotz ihrer Entdeckung nur noch nach Hause und die nassen Sachen loswerden.
Und tatsächlich: Als sie bei ihren Fahrrädern angekommen waren und Tims Vater schon auf sie wartete, erstrahlte ein Regenbogen am Himmel und endete direkt über dem Waldstück.
Ungläubig starrten die beiden Jungen in den Himmel, während Greta stumm in sich hineinlächelte.
Letzte Aktualisierung: 23.08.2015 - 16.29 Uhr Dieser Text enthält 10212 Zeichen.