Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Auf Schatzsuche | August 2015
Sommer ist, was im Kopf passiert
von Glädja Skriva

Sylt. Weicher, warmer Sand zwischen den Zehen. Blauer Himmel über uns. Leichtigkeit. Sommerliche Leichtigkeit. Ein Gebrumm überzieht den Strand, ähnlich Bienen, die in Schwärmen ausgeflogen sind.
Da sind schnarchende Strandkorbmänner, deren Bäuche vibrieren; kreischende Möwen, die aufgeregt mit ihren Flügeln flattern, wenn sie einen Wurm im Watt aufgestöbert haben, um ihn dann festlich zu verspeisen. Da ist das Rascheln umgeblätterter Urlaubslektüre (natürlich von Dora Held) genauso zu hören, wie das „Ping-Plong“ aufgeschlagener Beachbälle, gespielt von schweißglänzenden, animalisch appetitlich aussehenden Bodies. Und hin und wieder: Kleinkinder, quengelnd, überhitzt, übermüdet, den Daumen im Mund, deren Eltern es über mit ihnen haben. Irgendwann. Zwischen Förmchen und Gießkanne und tausendem Mal Wasserholen, bis sie sich davon erschöpft in den heißen Sand fallenlassen.



Bo und ich drehen uns zeitgleich zum Strandsaum um und zu den aufschlagenden Wellen, die uns ein wenig Kühlung zufächeln. „Ahhh“. Wir müssen nichts tun. Wir sind zwei Ölsardinen, eingepinselt mit Sonnenmilch, gewälzt in glitzrigen Sandkörnern und sattsam gebraten im Nichtstun. Wir müssen keine in der Spiegelliste empfohlenen Bücher lesen. Wir können laut schnarchen, ohne dass uns jemand anstupst. Hier fällt es sowieso nicht auf. Wir können Beachball in einer Mannschaft spielen, die urlaubs-gut-gelaunt Omis wie uns sogar zum Aufschlag vorlässt, selbst wenn wir keinen Sixpack haben. Und wir müssen wegen keinen quengelnden Kindern aufstehen. Die haben wir nämlich zuhause gelassen, unsere kleinen, großen, quengelnden Kinder. Meines strampelt gerade im Pulk die Berge Mallorcas auf dem Rennrad hinauf und zeigt, was ein echter Kerl ist und Bo `s fotografiert gerade innere Werte von Schönheiten, deren zu zeigen er sich berufen fühlt und die natürlich ausschließlich weiblicher, kurvenreicher Natur sind.

„Herrlich hier, nicht wahr?“

Wir lachen und fühlen uns wohl. Sauwohl.

„Auf uns!“

Bo dreht die Thermoskanne auf. Eiswürfel gluckern darin. Kleine, mitgebrachte Häppchen zerbröseln im Mund; Krümel fallen zwischen unsere Brüste, kleben auf der schweißnassen Spur und jucken. Was soll`s? Als die Sonne im Zenit steht und nur noch lauwarme Plörre in unseren Pappbechern wabert, beschließen wir spontan, uns einem dieser schwachsinnigen Animationsprogramme im Stil von „Sylt, außergewöhnlich heiß“ anzuschließen. Heute mit Schatzsuche im ausgeteilten Piratenkostüm und mit Augenklappe, um darin eine gut versteckte und gekühlte Schampus-Flasche aus einem knapp zwei Meter tiefen Nordseestrand zu heben. Innerhalb weniger Minuten gleicht der Strand einer Wiese mit räudigen Hunden, die buddeln, dass uns die Sandkörner nur so um die Ohren fliegen. Keine Ahnung, was in der Plörre war oder ob wir bereits einen Sonnenstich haben, wir werfen uns mit ins Getümmel und haben ebenfalls daran Spaß, uns wie die Losgelassenen mit im Sand zu wälzen. Natürlich einäugig und mit Augenklappe.

Ralph hätte das nicht verstanden. Nicht gewollt. So etwas Kindisches, hätte er gesagt und dabei abfällig die Mundwinkel nach unten gezogen. Bis ich es selbst so gesehen hätte. Irgendwann. Im Strandkorb wäre ich sitzengeblieben. Neben ihm. Stocksteif. Hätte angefangen, auch den Kopf darüber zu schütteln, verständnislos, wie er, über diese Verrückten … zu denen wir jetzt gerade selbst zählen. Und dabei wäre wieder alle Lebendigkeit in mir versickert, wie das Meer zur Wattzeit.

„Was ist los mit dir? Keine Lust mehr?“ Bo schaut zu mir herüber. Weizenblondes Haar, ihr wippender Pferdeschwanz, offenes Gesicht, aber jetzt die steile Falte auf ihrer Stirn, über ihrer feinen Nasenwurzel.

„Ralph kriecht wieder in mir hoch“, sage ich. „Warum kann ich bei ihm nie so locker sein, wie mit dir, Bo? Einfach Spaßhaben. Warum tue ich immer nur das, was er will und mit dir kann ich das tun, was sich genau richtig anfühlt?“

„Dachte ich es mir doch! Den alten Cowboy nimmst du viel zu ernst!“ Sie grinst. Ihr gezielter Schlammspritzer ist ein Volltreffer. Er trieft genau in mein Bikinikörbchen, wo mich vorher die Krümel zwischen meinen Brüsten pieksten.

„Na warte“, gespielt wütend stürze ich mich auf Bo und reibe sie ebenfalls mit Schlick ein. Ihr erhitztes Gesicht, den kleinen Leberfleck hinter ihrem rechten Ohr …

Bo kreischt: „Nicht!“ Und japst, geziert aufgebracht: „Nicht, du weißt doch, ich bekomme davon einen Riiieseneiterpickel!“

„Kein Erbarmen“, lache ich und lasse nach. Ja, ich weiß, dass sie von Schlammbädern Rieseneiterpickel bekommt. Genauso, wie ich den kleinen bugs bunny kenne, den Otschke ihr damals auf unserer Schülerfete gestochen hat, der alte Mistkerl, der sie später abtreiben ließ. Ich erinnere mich, wie sie geheult hat, als später unsere Motte auf die Welt kam und Ämchen und Ralph meinte, wir seien zwei hormongesteuerte Ziegen. Und wie sie die Erste war, die im Krankenhaus war, als Papa starb und sich alle verdrückt hatten.

„Du, ich glaube, ich habe da was …“

Bo hat mich an der Hand genommen. Wir liegen nun dicht an dicht im warmen, weichen Sand auf dem Bauch. Unsere Finger tasten vorsichtig in das Sandloch hinein.

„Ganz schön glitschig da drin. Wahrscheinlich stoßen wir jetzt - auf Sylter Hundescheiße, mit einem Pling aus Promigold.“

„Red` nicht. Ich sag` dir, der Schampus ist für uns beide Hübschen reserviert.“

Wie immer sind wir gegensätzlich. Bo, die ewig Optimistische, die den Schampus schlürft und ich, diejenige, die an jeder Straßenecke Hundescheiße vermutet. Paare hätte das längst auseinandergebracht; uns hält es zusammen. Trotzdem. Irgendwie.
Ich trinke Tee in Bo`s chaotischer Küche. Das Tischtuch ewig fleckig. Die Zuckerdose abgesplittert. Zuhause staube ich akribisch jedes Buch einzeln ab, lese die Zeitung von hinten nach vorne. Weil meine Welt mit den Todesanzeigen beginnt. Und doch, bin ich nirgends so entspannt, wie bei ihr, obwohl sie ganz anders ist.

„Kannst du weitergraben?“ Bo pustet auf ihre abgescheuerten Finger.

Ich greife in die Sandöffnung. Bo legt ihren Arm um mich. Wir schauen gespannt in die nasse, tiefe Kuhle. Meine Finger kratzen am Sandboden entlang. Ich meine so etwas wie Glas zu spüren. Ihre Haare kitzeln in meinem Gesicht. Ich rieche ihren Duft. Vertraut fühlt sie sich an. Wie bei unserer ersten Umarmung. Ohne Argwohn. Ohne Hast. Nicht wie bei Ralph. Nur – wohlig. Unsere Körper liegen dicht an dicht; diesen komischen Piratensäbel zwischen unseren Schenkeln. Ich berühre ihre Brust. Kurz nur, als ich meinen Arm aus dem feuchten Sandloch ziehe. Erhitzt. Beschämt. Für - das.

„Schade. Das war wohl doch nur eine Muschel, die sich so angefühlt hat“, sage ich zu Bo. Noch atemlos.

Ich weiche ihrem Blick aus. Werfe schnell Sand, viel Sand über die gegrabene Öffnung. Über den Schatz. Den Schampus. Über das Gefühl, das nicht sein darf. Würde ich den Schampus mit ihr trinken, würde ich …




© P.S./Glädja Skriva/August 2015/Endversion

Letzte Aktualisierung: 16.08.2015 - 09.48 Uhr
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