Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Auf Schatzsuche | August 2015
Quer durch die Stadt
von Karin Welters

Sie hatten mich reingelegt.
Schon wieder!
Aber diesmal – diesmal würden sie dafür büßen.
Viele Tage und Nächte habe ich nachgedacht. Wie konnte ich sie aufs Kreuz legen?
Sie waren immerhin zu viert. Eine eingeschworene Clique, die nur eins im Sinn hatte: wie können wir jemanden aus der Mittelstufe ärgern? Am liebsten nahmen sie uns Mädels dazwischen.
Ganz geschickt hatten sie mir eine Schatzkarte untergejubelt und die Zigarrenkiste wirklich gut vergraben. Sie wussten, dass ich Kakerlaken hasse wie die Pest. Und was war in der Kiste? Natürlich Unmengen an krabbelnden Kakerlaken. Mit Maden, Würmern und Spinnen hatte ich keine Probleme. Aber Kakerlaken konnte ich partout nicht ab.
Damit hatten sie den Bogen überspannt! Jetzt war Schluss!
Ich werde ihnen eine Lektion erteilen, damit sie mich nie, nie, nie wieder aufs Korn nehmen, schwor ich mir selbst. Allerdings musste ich mir dazu etwas Besonderes einfallen lassen.
Und dann kam mir die Idee. Ich machte mir eine Liste von den Mitgliedern der Clique und beobachtete jeden Einzelnen für einige Zeit. Durch naive Fragen an Bekannte, harmlose Bemerkungen der Klassenkameraden und zufällige Unterhaltungen bildete sich in mir ganz allmählich ein Plan. Fred, der Anführer der Clique, war in Julia verknallt. Aber Julia schwärmte für Leon. Ben, der Zweite in der Gruppe, spielte leidenschaftlich gern Fußball. Charlie naschte am liebsten Schokolade. Und Peer, der Jüngste von allen, kam immer mit dem Fahrrad zur Schule. Nachmittags hing er meist auf seinem Zimmer und hantierte stundenlang mit diesen Computer-Ballerspielen.
Und so entstand meine persönliche Schatzkarte, die durch die ganze Stadt führen sollte:

Fred liebt Julia (die steht auf Leon)
Ben liebt Fußball
Charlie liebt Schokolade
Peer liebt Fahrrad / Computer

Das Schwierigste bei meinem Plan war das Timing.
Alle vier sollte es am selben Tag und möglichst zur selben Zeit treffen. Auf diese Weise konnte keiner den anderen warnen.
Julia war drei Klassen über mir und es war nicht einfach, ihre E-Mail Adresse zu bekommen. Bei Fred war das ein Kinderspiel. Weil ich auch ein Computer-Freak bin, wusste ich genau, was ich mit Peer anstellen würde. Wozu gab es Internet-Cafés? Und weil es eine einmalige Sache sein sollte, würde niemand zurückverfolgen können, wer Fred, Ben, Julia, Charlie und Peer den Schlamassel eingebrockt hatte. Selbst wenn sie versuchten, es herauszufinden.
Den Verein, bei dem Ben sein wöchentliches Training absolvierte, hatte ich ausgekundschaftet. Während des Trainings war die Umkleidekabine unbeaufsichtigt. Wenn ich mich in einem Vereinstrikot blicken ließ, würde keiner auf die Idee kommen, ich hätte dort nichts zu suchen.
Charlie bekäme einige Tage lang eine gute Tafel Schokolade. Eine von diesen ganz dicken. Ich hatte schon herausbekommen, dass er am liebsten die mit Haselnüssen mochte. Und Maden hatte ich genug, weil meine Geckos im Terrarium am liebsten Maden vertilgten. Wenn ich zwei dünne Tafeln etwas aushöhlte und zusammenklappte, hatten die Maden reichlich Platz. Dann in das Papier der dicken Tafel ordentlich eingewickelt - und Charlie war versorgt.
Die E-Mail Adresse von Peer hatte ich ebenfalls herausgefunden.
Nur das Timing wollte mir nicht so recht gelingen.
Am Ende beschloss ich, Bens Fußballtraining als Zeitfenster festzulegen.
Die Jungs vom FC Kickers trainierten immer donnerstags von 15 bis 17 Uhr.
Also mussten alle vier ihre Ãœberraschung an einem Donnerstag zwischen 15 und 17 Uhr erleben.

Charlie bekäme seine besondere Schokolade um 15:45 Uhr.
Fred würde Julia um 16:00 Uhr suchen (Stadtpark)
Julia würde Leon (Fred) um 16h30 erwarten (Schwimmbad)
Peer öffnete seine E-Mail um 16h30 Uhr.
Ben würde um 17 Uhr in die Umkleidekabine zurückkommen.

Perfekt!

Als Zugabe hatte ich eine Stadtkarte viermal kopiert und die jeweiligen Orte angekreuzt, an dem sie ihr Schicksal ereilen sollte. Wie auf der Schatzkarte, mit der sie mich reingelegt hatten Sie würden zwar ahnen, dass ich diejenige gewesen bin, die ihnen den ganzen Schlamassel eingebrockt hatte, aber sie konnten es niemals beweisen.

Am besagten Donnerstag schlich ich mich in der ersten, großen Pause in den Fahrradkeller und drückte eine Reißzwecke in Peers hinteren Fahrradreifen. Der würde also sein Fahrrad nach Hause schieben müssen.
Von Montag bis Mittwoch hatte ich jeweils zwischen 17:00 Uhr und 17:30 Uhr eine große Tafel Schokolade vor Charlies Haustür gelegt – mitsamt der geheimnisvollen Botschaft: „von einer Verehrerin“. An jenem Donnerstag allerdings platzierte ich die Tafel schon um 15:45 Uhr, bevor ich klingelte und weglief.
Diese Schokolade war mit einer extragroßen rosa Schleife versehen und innendrin – in der Schokolade tummelten sich dicke, fette Maden. Unter der Schokolade lag die gefaltete „Schatzkarte“ mit dem Kreuzchen.
Die Mail an Julia – vermeintlich von Leon, und die Mail an Fred – vermeintlich von Julia, schickte ich am Mittwochabend vom Internetcafé ab. In beiden Mails habe ich ausdrücklich darum gebeten, der jeweils andere möge so tun, als ob sie nichts von dem Rendezvous wüssten, um die anderen nicht aufzuscheuchen. Heimlichkeit ist ja immer spannend, oder?
Schade, dass sie sich nicht begegnen würden. Julia würde die erste Parkbank am Schwimmbad um 16:30 Uhr aufsuchen, während Fred um 16:00 Uhr an der ersten Parkbank im Stadtwald vergeblich auf Julia wartete.
Bei demselben Besuch im Internetcafé habe ich die Mail an Peer verfasst, mit dem Absender „Fred“. Diese Mail, das hatte ich so vorbereitet, würde erst am Donnerstag um 16:30 Uhr gesendet. Als Dateianhang habe ich ein Ballerspiel hinzugefügt. Bei Fred als Absender würde Peer garantiert keinen Verdacht schöpfen.
Sobald er das Spiel öffnet, erscheint ein Standbild mit einem Haufen Kakerlaken. Dann stürzt sein Computer ab. Anschließend darf er seine Festplatte komplett neu formatieren.
Von Charlies Haus bis zum Fußballplatz sind es nur fünf Minuten mit dem Fahrrad. Meine Jacke und meine Jeans klemmte ich unter den Fahrradgepäckträger. Im Trikot schlich ich mich in die Kabine und fand Bens Schuhe sofort. Die kleine Flasche mit dem Sekundenkleber war in meinem Hosenbund versteckt. Bens Schuhsohlen und der Haken an Bens Jacke waren rasch eingeschmiert und warteten geduldig auf seine Rückkehr. In seiner Jackentasche würde er die Schatzkarte finden – mitsamt Kreuzchen.
Vom Sportplatz bis zum Stadtwald brauchte ich knapp zehn Minuten. Hinter einem Baum wartete ich, bis ich Fred von Weitem sah. Rasch legte ich das kleine Päckchen auf die Bank. Auf dem Zettel stand: „Lieber Ben, tut mir leid, dass ich nicht kommen kann. Nimm das hier als kleine Entschuldigung. Julia“. In der Geschenkbox war eine kleine Flasche verpackt. Darauf hatte ich ein Schildchen mit der Aufschrift „Duftwasser von Julia“ geklebt. Darunter lag meine Karte – mit Kreuzchen. Er konnte ja nicht ahnen, dass ich Buttersäure in das kleine Fläschchen gefüllt hatte.
Ich wartete seine Reaktion nicht ab, denn ich wollte rechtzeitig am Schwimmbad sein.
Vom Stadtwald bis zum Schwimmbad sind es nur zwei Kilometer. Ich war überpünktlich da. Wieder versteckte ich mich hinter einem großen Strauch, bis ich Julia kommen sah. Dann legte ich flink das Päckchen auf die Bank. Auf den Zettel hatte ich geschrieben „Liebe Julia, es tut mir leid, dass ich nicht kommen kann. Nimm dieses Päckchen als Entschuldigung an. Liebe Grüße, Ben“. Sie sollte ja wissen, wem sie die kleine Überraschung zu verdanken hatte.
Ob Julia große, dicke Spinnen mit haarigen Beinen mag?

Letzte Aktualisierung: 07.08.2015 - 08.23 Uhr
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