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Auf Schatzsuche | August 2015

Wunderheiler Sansibar
von Marcel Porta

„Ich will, dass ihr für mich auf die Suche geht.“
Mit dieser Botschaft empfing Herr Schmitt die Kopfgeldjäger. Auch wenn sie keine Ahnung hatten, worum es ging, wenn jemand wie Herr Schmitt einen Auftrag erteilte, beeilte man sich, Freude und Einsatzbereitschaft zu signalisieren. Er war ziemlich sicher der reichste Mann in Norddeutschlandcity, ganz sicher aber der skrupelloseste.

„Selbstverständlich, Herr Schmitt, worum handelt es sich?“
„Sicher habt ihr schon von dem Wunderheiler in Süddeutschlandcity gehört. Er ist jetzt etwa zwölf Jahre alt. Ich muss ihn haben.“
„Ein Kind sollen wir suchen?“ Die Frau im Team der Kopfgeldjäger sah ihn ungläubig an.
„Nicht irgendein Kind. Dieses besondere Exemplar ist wertvoller als der teuerste Fußballspieler. Wenn ihr es bei mir abliefert, werdet ihr die höchste Belohnung erhalten, die ich jemals gezahlt habe. Eine Million, bar und unversteuert. Wenn ihr es innerhalb eines Monats schafft, lege ich noch hunderttausend drauf.“

Vier Wochen später stand ein schmächtiges Kind vor dem mächtigen Herrn Schmitt.

„So, du bist also der Junge, der Wunderheilungen vollbringt.“
„Ich heiße Sansibar.“
„Ich habe viel Gutes über dich gehört.“
„Und ich viel Schlechtes über dich.“
„Du bist zu frech für dein Alter!“
„Ich sage nur die Wahrheit. Das ist nicht frech.“
„Weißt du, warum du hier bist?“
„Weil deine beiden Jäger mich gefangen haben. In deinem Auftrag, nehme ich an.“
„Und warum, denkst du, habe ich das getan?“
„Weil du Darmkrebs hast. Im Endstadium.“
„Wusste ich doch, dass du besondere Fähigkeiten hast. Davon haben nur ganz wenige Eingeweihte eine Ahnung. Du wirst mich heilen.“
„Ich kann dir nicht helfen.“
„Du kannst sehr wohl. Wenn du dich weigerst, willst du nicht. Für solche Fälle habe ich Mittel und Wege.“
„Das glaube ich nicht. Es unterliegt nicht meinem Willen.“
„Sei nicht so altklug und spar dir die Ausflüchte. Du wirst mir sofort helfen!“
„Es ist nicht möglich, so leid es mir tut.“
„Was soll das Gerede?! Du machst mich wütend, und das bekommt dir nicht gut, verlass dich drauf.“
„Es ist nun mal so, dass ich nur Menschen helfen kann, die mir sympathisch sind. Und das ist bei dir nicht der Fall. Ich bemühe mich sehr, dich nicht unsympathisch zu finden, denn das würde dir schaden. Und das will ich nicht.“
„Lächerlich, du Gnom! Redest geschwollen daher wie ein Erwachsener, dabei verstehst du die einfachsten Tatsachen nicht. Ich kann dich zu allem zwingen, was ich will. Das ist in dieser Stadt ein Naturgesetz.“
„Es ist echt anstrengend, dich nicht unsympathisch zu finden, weißt du das?“
„Na los, fang ruhig damit an. Wenn dich meine Leute in der Mangel haben, wirst du mich noch als ganz was Anderes empfinden als bloß unsympathisch.“
„Dazu wird es nicht kommen.“
„Du verdammter Dreikäsehoch! Du sollst mich gesund machen! Und keine dummen Sprüche klopfen.“
„Es geht nicht. Ich kann das nicht beeinflussen.“

Die stoische Haltung des Kindes trieb Herrn Schmitt den Schweiß auf die Stirn. Was, wenn der Junge die Wahrheit sagte? Mit seinen üblichen Methoden kam der Boss über tausende Menschen hier nicht weiter. Alle Einschüchterungsversuche blieben wirkungslos, das war ihm noch nie passiert. Und schon gar nicht bei einem Kind.
Dabei kannte Herr Schmitt keine Skrupel. Wäre er sicher gewesen, dass der Wunderknabe gezwungen werden könnte, hätte er bedenkenlos jede Folter befohlen. Doch das Wesen vor ihm war definitiv anders als alle Menschen, mit denen er bisher zu tun gehabt hatte.

„Und wenn ich dich bezahle, dein Gewicht mit Gold aufwiege? Du könntest dir kaufen, was du willst. Computerspiele, eine eigene Fußballmannschaft, ein Haus mit Tennisplatz und Swimmingpool. Alles, was du dir ausdenken kannst.“
„Weißt du, Herr Schmitt, ich habe schon alles, was ich brauche.“
„Was besitzt du denn schon, du kleiner Stinker? Meine Leute haben dich in der Gosse gefunden.“
„Ich habe Freunde.“
„Die hab ich auch, jede Menge.“
„Du hast keinen einzigen.“
„Pah, die tun alles für mich. Ein Fingerschnippen und sie beweisen mir, bis unter die Haarspitzen motiviert, wie sehr sie mich schätzen und lieben.“

Der Junge brach in ein glockenhelles Lachen aus, Geräusche, die dieser Ort noch niemals vernommen hatte. Herr Schmitt zuckte zusammen.
„Bist du blöd? Warum lachst du.“
„Weil du keine Ahnung hast, was Freundschaft und Liebe bedeuten. Dabei bist du schon 53 Jahre alt und warst schon fünf Mal verheiratet.“
„Woher weißt du das alles?“
„Ist das nicht egal? Ich weiß es eben. Ich kann es in deinem Gesicht lesen. Da steht noch viel mehr drin.“
„Was denn zum Beispiel?“
„Dass du Angst hast.“
„Pah. Ich kenne keine Angst.“
„Doch, eine Scheißangst hast du. Vor dem Krebs in deinen Eingeweiden.“
„Dann hilf mir! Ich kann dir auch helfen. Da lassen sich Wege finden.“
„Nein, Herr Schmitt, wir werden keinen Handel miteinander machen. Du wirst sterben. Schon bald. Und es wird nicht leicht werden.“

Herr Schmitt musste sich eingestehen, dass er gegen dieses Nichts von einem Menschen bisher machtlos war. Doch dann kam ihm der glorreiche Gedanke, wie er bisher selbst bei den Standhaftesten erfolgreich gewesen war.
„Du hast doch eine Mutter, mein Junge.“
„Hat doch jeder. Meine heißt Maria. Genau, wie deine geheißen hat.“
„Und du liebst sie, vermute ich.“
„Natürlich. Sie ist die beste Mutter auf der ganzen Welt.“
„Und du würdest alles für sie tun? Um ihr Leben zu retten?“
„Ich weiß, was du meinst, Herr Schmitt. Ich würde alles tun, was in meiner Macht steht.“
„Dann hilf mir, gottverdammt noch mal!“, brüllte der Große den Kleinen an. „Sonst lasse ich die Fische mit ihr füttern. Stückchenweise!“
„Selbst, wenn du das könntest“, erwiderte der Junge mit unglaublicher Ruhe, „würde es nichts ändern. Ich kann dir so wenig helfen wie ein Arzt, der einen toten Menschen wieder lebendig machen soll.“

Auch diese Drohung prallte an dem Winzling in kurzen Hosen ab. Noch niemals war Herr Schmitt einer solchen Widerstandskraft und Willensstärke begegnet.
„Wenn du mir nicht helfen kannst, dann habe ich keine Verwendung für dich. Dann lasse ich dich abknallen und verscharren.“
„Es würde dir nichts nützen, würde dir nur schaden. Ich mache dir einen anderen Vorschlag.“
„Was könntest du mir schon zu bieten haben, wenn du mein Leben nicht verlängern kannst?“
„Ich will versuchen, dein Freund zu werden. Wenn es gelingt, kann ich dir am Ende vielleicht doch noch helfen. Eine Garantie gibt es aber nicht. Ob du es schaffst, mir sympathisch zu werden, liegt nicht so sehr an mir.“
„Du meinst also wirklich, ich lasse mich auf so ein unsinniges Projekt ein? Das ist ja lächerlich.“
„Wenn du mich abknallen und verscharren lässt, wäre das völlig unsinnig. Du hättest nichts davon, außer dass du mir gezeigt hast, wozu du fähig bist. Verdammt wenig gegen die Chance, die ich dir biete. Findest du nicht, Herr Schmitt? Ich denke, ich nenne dich in Zukunft Karl. Das ist ein erster Schritt in Richtung Freundschaft. Und mich kannst du Sani nennen, so rufen mich alle meine Freunde.“

In Karls Mimik war sein innerer Kampf abzulesen. Auf den Vorschlag einzugehen bedeutete, das ganze bisherige Leben auf den Kopf zu stellen, eine Abkehr von allen Prinzipien, nach denen er sein Handeln ausgerichtet hatte. Doch da er spürte, wie sich der Krebs durch seine Eingeweide fraß, rang sich Karl zu einem radikalen Entschluss durch.

„Wir können es ja versuchen. Wenn du meinst, dass wir eine Chance haben.“
„Haben wir. Und als Freund kannst du mir etwas zu essen anbieten. Ich bin hungrig, habe seit gestern nichts mehr zu mir genommen.“
„Was? Diese Jäger haben dich so mies behandelt? Dafür lasse ich sie abknallen.“
„Das geht nicht.“
„Wieso nicht?“
„Ein Freund von mir lässt niemanden abknallen. Auch nicht erdolchen oder erwürgen oder vergiften.“
„Ich sehe schon, das wird schwierig. Ein bisschen foltern ist wohl auch nicht drin?“
„Wie ich sehe, hast du Humor. Das freut mich. Ich bin übrigens Vegetarier, ich hoffe, du hast ein bisschen Brot und Käse in deinem Palast.“
„Vege… was?“
Wieder perlte das Lachen des Jungen durch den Raum.
„Du bist echt witzig! Wir werden prima miteinander auskommen.“

In den folgenden Wochen zerfiel das Imperium Schmitt in rasendem Tempo. Wegen der streng hierarchischen Struktur wirkte sich die Abwesenheit des obersten Bosses verheerend aus. Kümmerte sich Herr Schmitt in der ersten Zeit noch um die Finanzen, so wurde ihm irgendwann selbst diese frühere Lieblingsbeschäftigung zur Last. Viel lieber spielte er mit Sansibar Scrabble oder Schach und freute sich diebisch, wenn er den begabten Jungen schlagen konnte. Gesundheitlich verfiel er allerdings ebenso wie sein Imperium, und so er ließ schließlich ein Bett in sein Arbeitszimmer bringen. Er wurde zusehends schwächer und niemand außer Sansibar durfte sich um ihn kümmern. Schmerzmittel brauchte er keine, es genügte, dass ihm Sansibar morgens die Hand auf die Stirn legte, dann verschwanden die Schmerzen sofort und kamen viele Stunden nicht wieder.

Nach acht Wochen ging es Herrn Schmitt so schlecht, dass er sein Ende nahen fühlte.
„Sani, sind wir nun Freunde?“, wandte er sich mit brüchiger Stimme an den Jungen.
„Ja, Karl, das sind wir.“
„Und, kannst du mich dann jetzt heilen?“ Erwartungsvoll schaute er zu Sansibar hin.
„Hast du es wirklich noch nicht gemerkt?“
„Was denn? Was soll ich gemerkt haben?“
„Dass du längst geheilt bist, mein Freund.“
„Wie? Ich wäre geheilt? Nein, davon habe ich nichts gemerkt. Ich habe eher das Gefühl zu sterben.“
„Aber der Tod ist eine Sache des Körpers. Ich habe noch nie jemandem auf diese Weise helfen können. Meine Begabung betrifft die Seele. Und deine Seele ist wieder gesund, nachdem sie so viele Jahre sterbenskrank war.“
„Du hast aber die ganze Zeit gewusst, dass ich mir etwas anderes von dir erhofft habe.“
„Natürlich. Das war Teil deiner seelischen Krankheit. Würdest du heute immer noch meine Mutter zerstückeln, um dein Leben zu verlängern?“
„Nein, Sani, und das weißt du.“
„Ja, das weiß ich, und darum werde ich um einen lieben Freund trauern. Schlaf jetzt, es wird alles gut.“

© Marcel Porta, 2015
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Letzte Aktualisierung: 20.08.2015 - 07.31 Uhr
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