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Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt | September 2015

Störfrequenz
von Eva Fischer

Ich wache morgens auf und habe noch dieses Geräusch im Ohr. Grrrk. Wie wenn man ein Foto auf dem Smartphone löscht oder wie wenn das letzte Wasser durch den Gulli gurgelt. Eigentlich nicht bedrohlich, aber gerade werden sämtliche Fotos meines Lebens gelöscht, also ein Dauer-Grrrk. Das geht einem dann doch aufs Gemüt, vor allem, wenn man es nicht abstellen kann. Das wird ein Scheißtag, weil vermutlich mein letzter, denke ich. Was fange ich mit dem an?
Klar, die erste Reaktion ist, ich bleibe im Bett, denn das Aufstehen lohnt sich eh nicht.
Das probiere ich dann auch eine Weile, versuche das Grrrk in meinem Kopf zu ignorieren, was nicht geht. Ich finde den Silence-your-mobilephone-Knopf nicht. Wo steht geschrieben, dass der letzte Tag der schönste ist? Also, versinke ich in Schwermut und Selbstmitleid. Ich bin keine acht mehr, aber auch noch keine achtzig, irgendetwas dazwischen, auf jeden Fall viel zu jung, dass sich alle Bilder meines Lebens im Sekundentakt löschen. Je mehr ich mir das Kissen auf das Ohr presse, desto lauter und aggressiver wird der Grrrk-Ton. Irgendwie blöd, die letzten Stunden passiv in seinen vier Wänden zu verbringen, denke ich. Also, kommt es zur zweiten Reaktion. Ich stehe auf.
Das königliche Frühstück, das ich mir kredenze, schmeckt mir nicht. So werfe ich die Spiegeleier ins Klo und den Champagner schütte ich gleich hinterher. Stattdessen trinke ich drei Tassen schwarzen Kaffee ohne Zucker wie jeden Tag, wenn es normale Tage werden, die mir nicht mit einem Riesenstoppschild aufwarten.
Ich schalte die Technomusik ein, in der Hoffnung das Grrrk in meinem Kopf zu übertönen, aber leider pfropft sich nun ein Kopfschmerz drüber. Vielleicht ist die halbe Wodkaflasche schuld, die sich ungebeten in mein Blickfeld drängt. Nachdem ich die Musik ausgeschaltet habe, höre ich das Klopfen der Nachbarin unter mir. Eine Rentnerin, die schon vorzeitig mit der Welt abgeschlossen hat. So möchte ich mal nicht werden. Also, ich muss hier raus, das steht fest. Nur wohin?
Ich könnte meine Mutter besuchen. Wir würden um die Wette heulen. Sie um ihren verlorenen Sohn, ich um mich. Klingt nicht so hip für einen letzten Tag. Sie kann auch am Grab noch um mich weinen. Das lässt sich also ohne weiteres verschieben.
Ich könnte meinen Freund Andy besuchen. „Krieg ich deine neue Musikanlage?“, fragt er mich vielleicht und wer will das schon hören? Dann klingt ja Grrrk noch besser.
Ich könnte eine richtig fetzige Fete geben und Jutta dazu einladen. Da erscheinen ungebeten Fotos von ihr auf meinem inneren Screen, die ich mit Macht löschen wollte. Jutta im Bikini am Strand, Jutta, die ein Eis schleckt und mich dabei honigsüß anlächelt, Jutta und ihre langen Beine, wie sie ein Fahrrad in Bewegung setzen.
Jutta, Jutta, Jutta! Oh Mann! Ich glaub’s nicht.
Jutta hat beschlossen, sich selbst zu finden. Ganz ehrlich, wie bescheuert ist das denn, dass man sich mit 30 Jahren noch nicht gefunden hat. „Du hast doch mich gefunden“, habe ich ihr gesagt, oder „ich kann dir helfen beim Suchen“. Beides kam nicht gut an. Und so hat sie mich allein zurückgelassen und in die Depression gestürzt. Vorher hat sie fein säuberlich ihre Sachen in Kisten gepackt und zusammen mit ihrer Freundin Moni abgeholt. Moni hatte so einen Du-schnallst-aber-gar-nichts-Blick.
Ich denke, ich schnalle eine ganze Menge. Sie hat einen anderen Typen und verschleiert das mit einer Selbstfindungspsychose. Wer könnte das sein? Wenn ich das wüsste, könnte ich ihn umbringen. Das wäre dann die Krönung für diesen letzten beschissenen Tag. Aber wir sind seit Jahren zusammen, Tag und Nacht. Na ja, tagsüber arbeiten wir in der Regel, aber im gleichen Büro. So ist sie auch unter meiner Aufsicht gewissermaßen. Vor zwei Jahren haben wir uns kennengelernt und seit einem halben Jahr leben wir zusammen. Restlos glücklich, wenn Sie mich fragen, bis Jutta letzten Freitag ausgezogen ist, zu Moni vorerst.

Irgendwie fühlt sich die Wut im Bauch ganz gut an. Vielleicht auch die frische Luft. Denn mein Grrrk im Kopf wird erträglicher und ich kann wieder einigermaßen klare Gedanken fassen, während ich die Straße entlangschlendere, doch dabei unsere gemeinsamen Abendspazierwege meide.
Also, eine Fete wäre nicht schlecht, so eine Art Abschiedsparts. Ich lade Andy ein, lass ihn den DJ machen. Und Bernd und Ulrike und Ralf und Susanne und ja, Jutta natürlich, aber noch eine andere heiße Frau, die voll auf mich steht, und Jutta, die dann eifersüchtig wird, und bedauert, dass sie mich verlassen hat. Klingt gut, hat nur einen Fehler. Wo ist die heiße Frau? In den letzten Jahren habe ich da etwas vernachlässigt.
Neben mir quietschen die Reifen eines Busses. Das ist es, denke ich, steige ein und löse ein Ticket. Die tollen Weiber finden sich nicht hier in dieser Vorstadtöde, sondern in der pulsierenden Innenstadt. Während der Fahrt lade ich Bernd und Ulrike, Ralf und Susanne und Andy per WhatsApp zu meiner großartigen Fete heute Abend ein. Kurz danach kriege ich Super, Klasse, Okay zurück. Ich merke, wie mein Grrrk im Kopf nachlässt. Der Himmel hat Farbe bekommen, das Leben hat wieder Fahrt aufgenommen. Es gibt keinen größeren Glücksbringer, als wenn man seine Jägermentalität auslebt, sich ein Ziel steckt.

Schicke Frauen findet man in Shops, wo sie schicke Klamotten kaufen. Sie schauen jedoch irritiert zurück, während ich sie bei der Wahl ihrer Tops, Jeans oder Miniröcke beobachte. Das mit dem Blickkontakt klappt nicht wirklich und ich grüble schon über eine alternative Idee nach, als mir Moni quasi zwischen die Beine läuft. Wir sind beide gleichermaßen perplex. Schon will mir ein Wo-ist-Jutta? aus dem Mund flutschen, da kommt mir eine Bombenidee, wie ich finde.
„Du siehst ja umwerfend aus! Ist das neu?“ Ich zeige auf ihre Einkaufstüte. „Bräuchtest du eigentlich gar nicht“, füge ich, wie ich finde, charmant hinzu, nicht wirklich, wie ich an ihren hochgezogenen Augenbrauen sehe. „Hast du Lust auf einen Kaffee?“, nehme ich erneut Anlauf, und als ich Skepsis in ihrem Gesicht lese, verspreche ich „Kein Wort über Jutta.“ „Hundert Pro?“ „Hundert Pro!“

Das Gespräch wird nicht einfach, denn ich habe nie viel mit Moni geredet, weil sie mich nicht interessiert hat, aber nun verfolge ich ja ein anderes Ziel und so versuche ich mich neugierig mit dem Objekt Moni zu befassen. Das klappt wider Erwarten hervorragend, denn sie erzählt mir bereitwillig ihr Leben. Auch für Moni ist es schwierig, Jutta nicht zu erwähnen, hat sie ihr doch als treue Freundin aus manch schwierigen Lebenslagen herausgeholfen. Jeder hat sein Päckchen zu tragen, denke ich gerade nachdenklich, als mich Moni fragt: „Und was willst du jetzt wirklich, Ben?“
„Dich zu meiner Fete heute Abend einladen“, antworte ich spontan.
„Um Jutta eins auszuwischen?“ Es ist erstaunlich, wie schnell manche Frauen alles durchschauen. Energisch schüttle ich den Kopf.
„Du willst wissen, ob Jutta dich noch liebt. Wenn sie eifersüchtig wird, dann rechnest du dir gute Chancen aus, dass sie zu dir zurückkommt. Richtig?“
Dieses Mal bleibt mir nur ein Nicken übrig. Ich versuche noch einen traurigen Dackelblick, was mir nicht schwerfällt.
„Ok, ich helfe dir, aber komme nicht mit der Abschiedsnummer! Das wäre voll uncool.“ Wieder nicke ich, aber dann springe ich auf und umarme sie. Schließlich müssen wir die Körperkontaktaufnahme noch etwas üben.

Was soll ich sagen? Die nächsten Stunden geht meine Gemütskurve steil nach oben. Voll Power mache ich mich an die Planung der Fete, schleppe Bier und Knabberzeug an, putze sogar Küche und Bad.
Moni bringt Jutta mit, die phantastisch aussieht. Es fällt mir schwer, mich nur auf Moni zu konzentrieren. Die Stimmung ist bombenmäßig, bis Jutta noch vor Mitternacht sagt, sie habe morgen früh einen Termin, sie müsse nach Hause. „Aber du kannst ruhig bleiben“, meint sie süß-säuerlich an Moni gewandt.
Yep! Ziel erreicht. Moni und ich klatschen uns ab, nachdem Jutta gegangen war. Die anderen schauen uns an, schnallen nichts, aber der gestiegene Alkoholpegel hat ihre Linse eh unscharf gestellt.

Am nächsten Morgen werde ich durch das Telefon geweckt. Es ist Moni. Sie erzählt mir, dass Jutta stinkesauer auf uns beide sei. „Das ist doch gut“, nuschle ich verschlafen in den Hörer.
„Du schnallst mal wieder gar nichts, Ben! Sie ist ausgezogen! Ich habe meine beste Freundin verloren. Warum habe ich nur auf dich gehört?“
Moni heult und schnuft vernehmlich in den Hörer. „Sie wird zurückkommen, nachdem sie sich gefunden hat“, tröste ich sie und denke im Geheimen, dass ich sicherlich der Glückliche sein werde, zu dem sie zurückkehrt. Momentan brauche ich dringend eine Pause von den emotionalen up and down-Trips. „Können wir morgen darüber reden?“, schlage ich daher vor.
Moni scheint meinen Bedarf an Erholung nicht nachzuvollziehen und so beende ich meinerseits das Gespräch. Schließlich will ich kein neues Grrrk in meinem Kopf riskieren.

Die Mittagspause am Montag im Büro ist eintönig, weil mir Jutta als Gesprächspartnerin fehlt. So irre ich etwas verloren durch die Straße auf der Suche nach einem Kaffee, mit dem ich das mittelmäßige Kantinenessen herunterspülen kann. Da sehe ich Andy, der eigentlich in einem anderen Stadtviertel arbeitet. Erstaunt hefte ich mich an seine Fersen. Er trägt nicht seinen üblichen Schlabberlook, sondern moderne Jeans und ein tailliertes Hemd. Bestimmt steckt da eine Frau dahinter, denke ich und verlangsame meine Schritte. Tatsächlich fällt ihm eine weibliche Gestalt in die Arme. Auch wenn sie mit dem Rücken zu mir steht, weiß ich leider sofort, wer diese holde Schöne ist. Wut arbeitet sich durch meine Eingeweide, während Andy sie verliebt angrinst. Mit nur wenigen Schritten bringe ich mich in sein Sichtfeld.
„Hi, Ben! Was für eine Überraschung!“, kommt es etwas irritiert.
Nun starrt mich auch Jutta an.
„Was bist du für ein Scheißfreund!“ brülle ich ihn an.
„Sachte, sachte, Sportsfreund. Nach der Party habe ich angenommen, dass du mit Moni zusammen bist. Bist du nicht?“



3.Fassung

Letzte Aktualisierung: 19.09.2015 - 00.24 Uhr
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