Diese Seite jetzt drucken!

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt | September 2015

Spielmann und Ritter
von Marcel Porta

Seit drei Tagen war ich unterwegs, hatte fast nichts in den Magen bekommen. Manchmal bedeutete das Leben eines Spielmanns alles andere als Honigschlecken. Meistens sogar. Wir hingen von der Freigebigkeit der Edelleute ab, und mit der war es meist nicht weit her. Geizkrägen waren sie, alle miteinander! Zudem fanden meine Lieder und meine Art, die Laute zu spielen, und auch meine Stimme mehr Anklang beim weiblichen Publikum als bei den Herren, den Verwaltern der Geldbeutel. Die rauen Sauflieder begeisterten mich nicht, Liebeslieder waren mein Metier.
Doch trotz der im Moment eher bescheidenen Umstände fiel es mir nicht ein, zu fluchen oder zu klagen. Denn mit jedem beschwerlichen Schritt näherte ich mich meiner Fee, wie ich sie bei mir stets nannte. Endlich würde meine Sehnsucht sich für ein paar Tage verabschieden können. Bald würde meine Liebste vor mir stehen, in all ihrer engelsgleichen Schönheit.
Je näher ich der Burg kam, desto größere Unsicherheit befiel mich. Lebte Theresa noch dort? Kannte sie mich noch, oder besser, wollte sie mich noch kennen? Das waren jetzt die alles entscheidenden Fragen, die meinen armen Kopf heimsuchten.
Ich ließ meine Gedanken zurückwandern in die Zeit vor einem Jahr.
Als ich auf Burg Hohenliebenstein eintraf und Burgfräulein Theresa zum ersten Mal sah, wehte dieser Anblick alle Unbill der zurückliegenden Zeit hinweg. Sie war eine Schönheit, unvergleichlich wohlgestaltet ihr Angesicht, und zwei vollendete Alabasterkugeln waren nur notdürftig im engen Mieder verborgen. Sie hielt mir zur Begrüßung die Hand hin, und als ich einen Handkuss andeuten wollte, schaute sie mich so offenen Auges an, dass ich es wagte, meine Lippen auf ihren Handrücken zu drücken.
Spürte ich da ein Erschauern?
Vom Gesinde erfuhr ich, ihr Ehemann habe sie verstoßen, weil sie ihm keine Kinder schenkte. So war sie mit Schimpf und Schande zurück zu ihren Eltern geschickt worden. Niemand wollte mehr um ihre Hand anhalten, denn ohne Nachkommen war selbst die schönste Ehefrau nur Zeitverschwendung.

Der Burgherr ließ sich kaum blicken, und ich war die meiste Zeit mit Theresa und ihrer Mutter Esmeralda allein.
Wie seufzten die beiden, verdrehten die Augen und hielten sich an den Händen, wenn ich die Ballade von Ritter Adalbert und seiner Geliebten Kunigunde anstimmte. Immer wieder wanderte ein Geldstück in meine Hände und stets war es Theresa, die es mir überreichte. Jedes Mal suchte sie zarte Berührungen und am Ende des zweiten Abends steckte sie mir ein Zettelchen zu, als sie mich für ein bewegendes Minnelied entlohnte.
Was sie von mir wollte, bedeutete Lebensgefahr. Auf ihre Kammer zu gehen, auch wenn es mit Einverständnis ihrer Mutter geschah, würde mir Folter und Kerker einbringen, wenn ich erwischt wurde.
Aber konnte ich dieser schönen Frau widerstehen? Durfte ein Dichter schmelzender Minnelieder eine solche Frau enttäuschen? Niemals hätte ich mir das verziehen und so fasste ich mir ein Herz. Theresa sollte nicht die erste Frau werden, die ich zurückwies.

Nach Einbruch der Dunkelheit, nachdem ich wider meine sonst übliche Art den Hausherrn bei seinem Trinkgelage mit Saufliedern angestachelt hatte, schlich ich mit bebendem Herzen zu Theresas Kammer. Eigenhändig öffnete sie und kaum war ich eingetreten, sank sie an meine Brust.
„Ich habe solche Sehnsucht nach Liebe, mein schöner Barde, ich kann ohne sie nicht mehr leben. Wenn du also an meinem Tod keine Schuld tragen willst, nimm mich in deine Arme.“
Natürlich konnte ich ihren Tränen nicht widerstehen. Hartherzigkeit war mir verhasst und lieber ging ich jede Gefahr ein, als dieser Untugend zu verfallen. So hob ich ihr schönes Antlitz zu mir empor und küsste sanft ihre Lippen.
„Um keinen Preis könnte ich deiner Anziehungskraft widerstehen. Du bist die Schönheit selbst und auch Jupiter müsste sein Knie vor dir beugen.“
Und wirklich kniete ich vor ihr nieder, den Kopf zu Boden gesenkt.
„Küss mich wieder!“ Mit diesen Worten zog sie mich zu sich empor und ich kam ihrer Aufforderung nur zu gerne nach.
Noch in derselben Nacht teilten wir das Lager, und ich konnte ihr beweisen, dass meine Liebesfähigkeit keineswegs hinter der Sangeskunst zurückstand. Immer wieder wollte sie meine Künste genießen und ich blieb zwei ganze Wochen in Hohenliebenstein.
„Kommst du wieder, Walther?“, fragte sie mich beim Abschied mit ängstlicher Stimme.
„In genau einem Jahr werde ich wieder hier sein“, versprach ich und hatte fest vor, diese Zusage zu halten.

Und hier war ich nun, stand endlich vor der Burg und bediente den drachenköpfigen Türklopfer. Kaum war ich eingetreten und stimmte das traditionelle Begrüßungslied an, packten mich die Knechte beidseitig unter den Armen und schleppten mich vor den Burgherrn. Ehrfurcht gebietend saß Ritter Archibald auf dem thronähnlichen Sessel und betrachtete mich, den die Diener vor ihm auf die Knie gezwungen hatten. Ein Wurm hätte sich nicht kleiner vorkommen können als ich. Und nicht verletzlicher.

„Ich weiß, was du im letzten Mai getan hast. Leugnen hat keinen Sinn!“, fuhr er mich mit mächtiger Stimme an.
Wieder einmal war ich ins Fettnäpfchen getreten. Diesmal aber richtig! Mit beiden Füßen und bis über die Knie. Ich schien verloren! Was sollte ich antworten? Wie meinen Kopf aus dieser Schlinge ziehen? All mein Scharfsinn und alle oft erprobten Überlebenskünste versagten vor dieser Herkulesaufgabe. Denn auf keinen Fall durfte meine Rettung auf Theresas Kosten gehen.
„Die Schönheit Eurer Tochter hat mich verführt und ihr sanftes Wesen mich verzaubert. Meine Minnelieder haben das Ihrige getan, sodass Eure liebreizende Tochter schwach wurde. Sie trifft keine Schuld, nur mich müsst Ihr bestrafen.“
Gott sei meiner Seele gnädig, dachte ich und wurde fast ohnmächtig vor Angst. Mein Ende stand unmittelbar bevor.

„Komm an meine Brust!“, rief der vermeintliche Henker, „Sie hat einen Knaben geboren, und er ist mir wie aus dem Gesicht geschnitten. Ich werde alt, und wenn du Theresa zur Frau nimmst, bist du Herr über diese Burg.“
So wurde ich - Ironie des Schicksals - in dem Augenblick zum Ritter erhoben, in dem ich meine Eignung mit durchnässten Beinkleidern widerlegte.

© Marcel Porta, 2015
Version 2

Letzte Aktualisierung: 23.09.2015 - 07.30 Uhr
Dieser Text enthält 6258 Zeichen.


www.schreib-lust.de