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Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt | September 2015

Königskinder
von Elisabeth Kuhs

Es waren zwei Königskinder,
die hatten einander so lieb.
Sie konnten zusammen nicht kommen,
das Wasser war viel zu tief.

„Ach Liebster, kannst du nicht schwimmen?
So schwimm doch her zu mir!
Zwei Kerzen will ich dir anzünden,
und die sollen leuchten dir.“

Das hört‘ eine falsche Nonne,
die tat, als ob sie schlief.
Sie tät die Kerzen auslöschen,
der Jüngling ertrank so tief.

Immer wenn Prinzessin Sonnenzart das Lied von den beiden Königskindern hörte, traten ihr die Tränen in die Augen. Wie schön, wie wunderschön war diese Liebe bis in den Tod. So tief. So innig. So unsterblich.
Vor dem Zubettgehen saß sie oftmals sinnend und summend vor dem Spiegel, während die Amme ihr das schimmernde, lange blonde Haar bürstete. Und dann überlegten sie gemein-sam, was die beiden wohl hätten anders machen können.
Eine solche Liebe, dachte sie immer wieder, eine solche Liebe.
So sehr liebte sie das Lied von den beiden Königskindern, dass sie vor dem Schloss einen breiten und viele Meter tiefen Graben anlegen ließ. Natürlich erst, nachdem sie Rücksprache mit ihren Eltern genommen hatte. Der König war meistens damit beschäftigt, die Börsenkurse zu verfolgen und interessierte sich nicht sonderlich für bauliche Veränderungen an seiner Im-mobilie, solange sie den Internet-Empfang nicht beeinträchtigten und er mit seinen Anlagebe-ratern in Chicago, Seoul, Singapur, Mumbay, Beijing, Toronto und Genf ungestört skypen konnte. Die Königin war meistens shoppen, in Paris, St. Petersburg oder New York. Ihr war nur wichtig, dass der Hubschrauber-Landeplatz nicht angetastet wurde und die Lieferwagen von Gucci, Pucci, Fiorucci, Dior, Balenciaga, Hermès, Chanel, Givenchy, Schiaparelli, Balmain, Kenzo, Valentino, Gaultier, Prada, Escada, Dolce & Gabbana, Black & Decker, Plisch & Plum, Hü & Hott, Zipp & Zapp, Ex & Hopp, Dick & Doof ungehindert Zufahrt zum Schlosshof hatten. Die Prinzessin hatte versprochen, dafür zu sorgen.
So zierte also bald ein imposanter Wassergraben das königliche Anwesen. Prinzessin Sonnenzart saß nun allabendlich im Kerzenschimmer am Graben, mal hier, mal dort, hielt ihren Blick sehnsüchtig auf das gegenüberliegende Ufer gerichtet und wartete. Eines Abends würde er dort stehen, ihr Prinz. Dann würde sie ihm mit bebender Stimme „Ach, Liebster, kannst du nicht schwimmen, so schwimm doch her zu mir!“ zurufen. Und er würde sich ohne zu zögern in die Fluten stürzen.
Sie hatte sogar aus einem nahe gelegenen Kloster eine falsche Nonne kommen lassen, die so tun sollte, als ob sie schlief, um dann zu gegebener Zeit die Kerzen zu löschen. Natürlich hatte sie dafür gesorgt, dass ihr Liebster nicht ertrank. 25 Rettungsschwimmer standen Abend für Abend bereit, um ernstlichen Folgen der prinzlichen Schwimmübungen vorzubeugen.
Indes - nichts geschah. Kein Prinz erschien. Auch sonst niemand. Abgesehen vom späten Paketboten, der eine Sendung für die Nachbarburg dalassen wollte, und einer Erzieherin, die für den jährlichen Laternenumzug sammelte. Allerdings ist es durchaus möglich, dass sich der eine oder andere Kandidat am jenseitigen Ufer einfand und Prinzessin Sonnenzart ihn nur nicht entdeckte. Schließlich war es dunkel. Und wenn er nicht wagte zu schellen, wird er seine Gründe gehabt haben. Wir wissen es nicht. Sonnenzart indes fiel das nicht weiter auf. (Woran man leicht sehen kann, dass es mit ihrem Sinn für lebenspraktische Dinge nicht weit her war.)
Nach Monaten des Wartens bat die Nonne, wieder in ihr Kloster zurückkehren zu dürfen. Dafür hatte Prinzessin Sonnenzart Verständnis. Die Ordensfrau indes nutzte die Gelegenheit zur Flucht. Was will man von einer falschen Nonne auch anderes erwarten.
Sonnenzart magerte ab. Ihre große, alles überstrahlende, Wasser und Tod nicht scheuende Liebe wollte und wollte sich nicht einstellen. Sie war schön, sie war reich, sie war romantisch, sie konnte MyBoshi-Mützen häkeln, Muffins backen und sogar ein bisschen Pole Dance - sollte sie denn auf ewig allein bleiben? Ihr schimmerndes Haar verlor seinen Glanz, ihre Wangen wurden hohl, ihre Hüftknochen stachen hervor und zwischen Hals und Schultern bildeten sich Salznäpfchen.
Die Amme sah das mit Sorge. Eines Tages, als Sonnenzart wieder einmal das morgendliche Croissant verweigert hatte - die Königin weilte gerade zum Einkaufen in Nizza, und der König war damit beschäftigt, seine Apple-Anteile aufzustocken (bei Facebook hatte er seinerzeit einiges in den Sand gesetzt) -, eines Tages also nahm die alte Kinderfrau die Dinge in die Hand und bestellte einen Psychotherapeuten aufs Schloss.
Nun verhielt es sich so, dass der Therapeut seine Hausbesuche immer erst am späten Nachmittag machte, denn tagsüber hatte er in seiner Praxis zu tun. Es dämmerte also bereits, als er das Schloss erreichte.
Sonnenzart hatte wie gewohnt ihre Kerzen aufgestellt, und gegen den abendlichen Himmel nahm sich das Schloss wie eine überdimensionale Schokoladentorte in einem Kranz von Teelichtern aus. Der Psychotherapeut schellte, damit man die Zugbrücke herunterließ.
Sonnenzart war eben ein wenig eingeschlummert (kein Wunder: Schlafmangel, allgemeine körperliche Schwäche, Unterernährung, sollte mich nicht wundern, wenn auch eine depressive Verstimmung dabei gewesen wäre), schreckte hoch - und traute ihren Augen kaum! Da war er! Endlich! Ihr Prinz! Ihr innigst ersehnter Prinz! Stand da und konnte nicht herüber!
„Ach Liebster, kannst du nicht schwimmen? So schwimm doch her zu mir!“ rief sie ihm zu.
„ ... ?“ rief er, die Hand am Ohr, zurück. Das wiederum verstand sie nicht, denn der Was-sergraben war viel zu breit, als dass man sich von einem Ufer zum anderen hätte verständigen können. Auch etwas, was Sonnenzart nicht bedacht hatte. (Siehe oben.) Und die Nonne war auch nicht mehr da. Und ob die 25 Rettungsschwimmer tatsächlich auf ihren Posten waren, wagte Sonnenzart zu bezweifeln. Sie hatte sie erst kürzlich beim Zechen und Schafskopfspielen erwischt.
„Schwimmen her - Nonne hin, wolln mal nicht päpstlicher sein als der Papst“, befand Sonnenzart deshalb kurzerhand. „Hauptsache, er ist da!“ Und dann ließ sie flugs, aufgeregt und eigenhändig die Zugbrücke herunter.
Der Therapeut hatte nichts dagegen, dass ihm die Prinzessin um den Hals fiel und trennte sich umgehend von seiner Lebensgefährtin (einer feministisch angehauchten Freudianerin, die ihn ständig analysieren wollte). Schon bald wurde die Hochzeit gefeiert, und alle waren so glücklich und zufrieden, wie sie es nur sein konnten.
Der König spekulierte weiter erfolgreich an der Börse und eröffnete neue Konten in der Schweiz und auf den Cayman-Inseln. Die Königin hatte Dubai als Einkaufsparadies entdeckt. Der Psychotherapeut aber machte innerhalb kürzester Zeit Furore unter den adligen Damen, sodass er schon bald seine Praxis um einen Wellness- und Beautybereich erweitern konnte (mit Pilates). Bald hatte er kaum noch Zeit für seine Frau, aber das war nicht weiter tragisch. Prin-zessin Sonnenzart behielt ihre lieb gewordene Gewohnheit bei, rund um das Schloss Kerzen aufzustellen und Ausschau nach Prinzen zu halten. Nur achtete sie jetzt darauf, dass die Zug-brücke immer heruntergelassen blieb. Das hatte sich schon bald herumgesprochen, und so kam nicht einer der Jünglinge zu Schaden.

Letzte Aktualisierung: 12.09.2015 - 09.36 Uhr
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