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Unterwegs | Oktober 2015

Wetterbericht
von Eva Fischer

Der Wetterbericht sagt, heute könne die 30 Gradmarke überschritten werden. Daher rät euch der Wetterfrosch.
„Leute, geht ins Schwimmbad, wenn ihr könnt, oder lasst euch zumindest von eurer Klimaanlage kühle Luft zufächeln! Noch besser, ihr seid im Urlaub, und könnt in einen erfrischenden See oder ins Meer springen. Jegliche körperliche Anstrengung solltet ihr vermeiden!“

Die Hitze verlangsamt unsere Schritte. Sie liegt wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen. Der Schweiß tropft uns aus allen Poren, klebt den Stoff unserer Kleidung an die Haut. Wasser! Ein Königreich für eine Quelle, für eine Flasche Wasser! Der Inhalt unserer Plastikflaschen verdunstet in unseren Körpern. Wir suchen den Schatten eines Baumes. Dort lagern wir unsere müden Glieder, warten, bis die grausame Kraft der Sonne ihren Würgegriff lockert.

Wir sind unterwegs.

Der Wetterbericht sagt, ein Tief zieht über unser Land, bringt uns Regenschauer.
„Zeit für Indoorsbeschäftigungen, der Besuch eines Kinos, eines Cafés, eines Einkaufcenters. Ach, Leute, euch wird schon etwas einfallen. Zur Not bleibt ihr im Bett, macht es euch dort zu zweit gemütlich, ha, ha. Na ja, der Platz im Büro ist auch ein trockener.“

Endlich Wasser! Wir öffnen unsere Münder, saugen das Nass gierig ein wie ein Baby die Milch der Mutterbrust. Der Regen wäscht uns den Schweiß von den Gesichtern. Die Kinder tanzen. Die Mütter folgen ihrem Beispiel, stoßen Trillertöne aus. Auch uns Männern fährt die Freude in die Beine, bis einer ein trauriges Lied anstimmt. Wir haben unsere Heimat verlassen. Die Bomben haben unsere Häuser in Schutt und Asche gelegt. Tränen vermischen sich mit dem Regen. Wir gehen stumm weiter. Der Weg ist morastig geworden. Unsere Schritte versinken im Schlamm.

Wir sind unterwegs. Der Weg ist noch weit.

Der Wetterbericht sagt, Herbststürme ziehen von Westen her über das Land.
„ Leute, sichert euren Besitz, damit er euch nicht wegfliegt, eure Blumentöpfe, eure E-Bikes, eure Kinderwägen! Schließt eure Fenster! Scherben bringen kein Glück. Na ja, mit Indoorsbeschäftigungen habt ihr ja schon Erfahrung.“

Aus welcher Richtung kommt der Wind? Kommt er von hinten, so treibt er uns dem Ziel entgegen. Kommt er von vorn, so peitscht er uns aus. Wir sind Schläge gewohnt. Trotzig bieten wir dem Sturm die Stirn. Ein Kind weint. Ein herumfliegender Ast hat es am Kopf getroffen. Blut sickert aus der Wunde. Die Mutter nimmt ihr Kopftuch, um den roten Fluss zu stoppen.

Wir sind unterwegs. Wir sind müde.

Der Wetterbericht sagt, der Wintereinbruch kommt heuer früher. Mit Kälte und Graupelschauern sind zu rechnen, vielleicht auch schon mit Schnee.
„Leute, macht euch nichts draus! Macht’s euch zu Hause gemütlich! Das Weihnachtsgebäck liegt schon auf dem Ladentisch. Mit Glühwein im Kerzenschein schmeckt es doppelt so gut.“

Die Kleidung ist dünn geworden auf dem langen Weg. Tagsüber halten uns unsere Schritte warm. Aber nachts? Wo sollen wir schlafen? Vielleicht geben sie uns ein Dach über dem Kopf und warme Decken. Selbst ohne Heizung sind wir zufrieden. Es wärmen uns die Gedanken, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Sie werden uns aufnehmen, uns zu essen und trinken geben. Wir sind gewillt, ihre Sprache zu lernen, für sie zu arbeiten, um unsere Familien zu ernähren. Es geht ihnen gut, heißt es. Wir haben es auf unseren Handys gesehen. Es ist kein großes Opfer für sie. Allah stehe uns bei!

Wir wollen nicht länger unterwegs sein. Wir wollen endlich ankommen.

Der Wetterbericht entfällt heute. Tausende von Menschen stehen an den Grenzen und wollen rein. Wie sollen wir das logistisch schaffen? Die Quotenpolitik greift nicht. Wir sind überfordert. Die Menschenflut überströmt unser Land wie ein Tsunami.
Politiker fordern, Ruhe zu bewahren. Das Abfackeln von Unterkünften ist keine Lösung.
Wir können den Flüchtlingen unseren Dienst anbieten, unsere Reichtümer mit ihnen teilen, so wie es unser christlicher Gott von uns fordert.

Das Weltklima hat sich verändert. Die globale Erderwärmung lässt die Eisberge schmelzen, überschwemmt die Ebenen, früher oder später. Die Hitze wird gnadenloser, der Regen wird penetranter, die Stürme werden heftiger. Alles wird extremer. Nichts bleibt so, wie es war.

Wir machen uns alle auf den Weg.

Letzte Aktualisierung: 11.10.2015 - 19.46 Uhr
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