Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
„Ladies and gentleman! Darf ich um eure Aufmerksamkeit bitten. Wir haben uns hier versammelt, weil wir, wie es scheint, die einzigen Überlebenden einer uns unbekannten Katastrophe geworden sind. Die Menschen, unsere ursprünglichen Herren, sind offensichtlich alle tot, denn seit Jahren fristen wir unser Leben in völliger Dunkelheit und Abgeschiedenheit. Wir sind zu einer nutzlosen Hülle ohne Inhalt geworden. Meine Frau Adelheid fiel bereits in eine tiefe Depression.“
„Der Gute neigt ein bisschen zur Melodramatik“, flüsterte mir Babette kichernd zu.
Arthur bedachte uns mit einem strengen Blick, bevor er sich räuspernd fortfuhr.
„Meine Frau, die in einer Meißnermanufaktur Anno 1803 das Licht der Welt erblickte und schon Zeugin vieler schöngeistiger Gespräche wurde, grämt sich zutiefst über diese innere Leere. Ich bin zwar 100 Jahre jünger, aber es gelang mir nicht, sie aufzumuntern.“
„Eure Ehegeschichten sind nischt prickelisch, mon dieu“, begehrte Henri auf und rückte näher zu Babette. „Komm endlich zur Sach!“
„Nun, ich darf euch Clara vorstellen. Sie hat Erfahrung, wie man Kontakt zu Toten aufnimmt. Sie ist unsere letzte Rettung.“
Es dauerte eine ganze Weile, bis wieder Ruhe eingekehrt war und ich mit meiner Arbeit beginnen konnte.
Und schon schluchzte Adelheid auf.
„Herr Geheimrat von Goethe, ich vermisse unsere gemeinsamen Stunden, in denen Sie mir aus Ihren Werken vorgelesen haben. Haben Sie denn Ihren Faust jetzt zu Ende geschrieben?“
Ich rückte nach rechts. Auf einer Wand erschien ein Schatten, der sich zu einem Ungetüm ausweitete. Auf seinem Kopf wuchsen Hörner. Zwischen seinen klumpigen Beinen baumelte ein Schwanz.
Babette zitterte, so dass sie fast mit mir zusammenstieĂź.
„Ach, ich verstehe. Ihr Mephisto“, seufzte Adelheid.
„Jetzt bin ich dran“, ertönte Arthur.
„Frau Elvira von Hohenzollern, Jahrzehnte lang habe ich Ihnen gedient. Pünktlich um fünf habe ich Ihnen köstlichen Tee serviert. Dann haben Sie diesen bürgerlichen Fatzke geheiratet und mich einfach aussortiert. Der Teufel soll Sie holen!“
„Das ist keine Frage“, wandte Adelheid schnippisch ein.
„Leben Sie noch?“ legte Arthur nach.
Ich rĂĽckte nach links.
„Geschieht der alten Schnepfe ganz recht,“ murmelte Arthur.
Plötzlich hörte ich Schritte. Max ist sicherlich ungeduldig, weil ihm Henri keine Fragen stellt, ging es mir durch den Kopf.
„Hört ihr die Schritte?“ fragte nun auch Babette ängstlich in die Runde.
Also konnte nicht nur ich sie als Medium hören, dachte ich etwas enttäuscht. Es folgte ein Poltern. Ein gleißender Lichtstrahl durchbrach die Dunkelheit. Hätten wir Augen gehabt, wir wären auf der Stelle erblindet. Stattdessen machten sich ein paar Staubwölkchen auf die Reise. Im Tageslicht sah ich etwas blass aus.