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Hier spukt's | November 2015
SĂ©ance
von Eva Fischer

Genau wusste ich nicht, wo und wie ich da hineingeraten war. Aber plötzlich standen sie vor mir und hießen mich willkommen.
„Ich bin Arthur.“ Beim th versprühte er Wassertropfen, was mir nicht unangenehm war. Ich versuchte, mich in Position zu bringen. Bewundernd blickte ich auf seinen runden Bauch. „Five o’clock ist leider vorbei, aber midnight hat auch seinen Reiz, wenn man nicht schlafen kann. Ha, ha.“ Sein Bauch wackelte und ich fürchtete, das Porzellan könne zerspringen. Er stellte mir seine Frau Adelheid vor. Sie war groß und schlank, ganz ohne Zweifel von adeligem Geblüt, was ihr handgemalter güldener Dekor bewies, und etwas nervös, wie mir schien. Aber was wollte man schon von einer Kaffeekanne erwarten?
“Und wer bist du?“ Sie musterte mich enttäuscht, hatte sicher eine Kaffeetasse erwartet, doch ich war nur ein einfaches schmuckloses Wasserglas.
„ Ich heiße Clara“, sagte ich.
„Gibt es für dich eine Verwendung?“, fragte Adelheid näselnd von oben herab.
„Nun ja, eigentlich sind wir doch weitläufig verwandt.“
„Ich erinnere mich nicht. Du kommst sicher vom Land.“
Wer aus feinstem Meißner Porzellan gefertigt ist, fühlt sich zu Höherem geboren und hat ein bisschen die Bodenhaftung verloren.
„ Wasser ist die Ursubstanz. Ohne Wasser kein Kaffee“, verteidigte ich mich.
„Nun lasst uns nicht hier herumstehen und streiten. Es freut mich, dass du gekommen bist, Clara. Ich werde dich den anderen Bewohnern vorstellen.“
Arthur glitt majestätisch voran. Auf einer weißen Damasttischdecke standen eine Sekttulpe und ein Cognacschwenker.
„Isch eiße Henri“, sagte der Cognacschwenker mit starkem französischem Akzent. „Enchanté, mademoiselle.“ „Und ich bin Babette, hups“, stellte sich die Sekttulpe vor. Ein weiterer Dialog wurde durch ihren Schluckauf unterbrochen.
„Ja, das viele Gebubbel nervt manchmal“, sagte ich feinfühlend. „Ich mag es auch lieber medium oder still.“ Gern hätte ich weiter mit Babette geplaudert, aber da klopfte sich schon Arthur mit einem Silberlöffel auf den Bauch.

„Ladies and gentleman! Darf ich um eure Aufmerksamkeit bitten. Wir haben uns hier versammelt, weil wir, wie es scheint, die einzigen Überlebenden einer uns unbekannten Katastrophe geworden sind. Die Menschen, unsere ursprünglichen Herren, sind offensichtlich alle tot, denn seit Jahren fristen wir unser Leben in völliger Dunkelheit und Abgeschiedenheit. Wir sind zu einer nutzlosen Hülle ohne Inhalt geworden. Meine Frau Adelheid fiel bereits in eine tiefe Depression.“
„Der Gute neigt ein bisschen zur Melodramatik“, flüsterte mir Babette kichernd zu.
Arthur bedachte uns mit einem strengen Blick, bevor er sich räuspernd fortfuhr.
„Meine Frau, die in einer Meißnermanufaktur Anno 1803 das Licht der Welt erblickte und schon Zeugin vieler schöngeistiger Gespräche wurde, grämt sich zutiefst über diese innere Leere. Ich bin zwar 100 Jahre jünger, aber es gelang mir nicht, sie aufzumuntern.“
„Eure Ehegeschichten sind nischt prickelisch, mon dieu“, begehrte Henri auf und rückte näher zu Babette. „Komm endlich zur Sach!“
„Nun, ich darf euch Clara vorstellen. Sie hat Erfahrung, wie man Kontakt zu Toten aufnimmt. Sie ist unsere letzte Rettung.“

„Ruhe!“, bat ich, denn alle klirrten, klapperten, blubberten und plapperten aufgeregt durcheinander.
„Totenstille ist die wichtigste Voraussetzung, um zu den Toten Kontakt aufzunehmen. Gebt euch wieder ganz der Dunkelheit hin! Vergesst eure gläsernen oder porzellanenen Körper! Nur so seid ihr fähig, euch auf eine neue astrale Ebene zu begeben.“
„Oh, un voyage! Das wird schick“, begeisterte sich Henri.
„Isch abe schon viele meiner Erren auf Reisen geschickt. Mansche aben den Teufel gesehen.“
„Werden wir wirklich die Sterne sehen?“ Babette rutschte aufgeregt hin und her.
„Freunde, das hier wird eine Séance“, versuchte ich klarzustellen.
„Schade, wir bleiben sitzen. Wir reisen nischt,“seufzte Henri.
„Doch wir reisen mental“, korrigierte ich.
„Oh, ich habe auch schon an Séancen teilgenommen“, meldete sich nun Adelheid zu Wort.
„Da lagen immer Karten auf dem Tisch.“
„Karten haben wir keine, aber dafür bin ich euer Medium.“
„Unser what?“, prustete Arthur los, ganz offensichtlich enttäuscht, dass es kein th in seinem Satz gab.
„Wäre ich nicht besser als Medium geeignet? Ich meine, ich habe die größte Aufnahmefähigkeit“, schlug er vor.
„Sir, wir einfachen Wassergläser haben eine jahrhundertelange Erfahrung in Nekromantie.“
„Isch könnte dir assistieren“, Henri rückte näher.
„Später vielleicht. Heute nicht“, wies ich ihn zurecht.
„Ich stelle mich in die Mitte. Herr Arthur und Frau Adelheid bitte ich zu meiner Rechten. Sie stehen für Ja. Fräulein Babette und Henri positionieren sich links. Sie stehen für Nein.“
„Können wir nicht tauschen?“, maulte Babette. „Ich bin keine Neinsagerin.“
„Darum geht es nicht“, sagte ich. „Wir stellen den Toten Fragen, die sie mit Ja oder Nein beantworten werden. Ich als Medium werde in Trance die Antwort bekommen und auf die Ja oder Nein-Seite rücken. Verstanden?“

Es dauerte eine ganze Weile, bis wieder Ruhe eingekehrt war und ich mit meiner Arbeit beginnen konnte.
Und schon schluchzte Adelheid auf.
„Herr Geheimrat von Goethe, ich vermisse unsere gemeinsamen Stunden, in denen Sie mir aus Ihren Werken vorgelesen haben. Haben Sie denn Ihren Faust jetzt zu Ende geschrieben?“
Ich rückte nach rechts. Auf einer Wand erschien ein Schatten, der sich zu einem Ungetüm ausweitete. Auf seinem Kopf wuchsen Hörner. Zwischen seinen klumpigen Beinen baumelte ein Schwanz.
Babette zitterte, so dass sie fast mit mir zusammenstieĂź.
„Ach, ich verstehe. Ihr Mephisto“, seufzte Adelheid.

„Jetzt bin ich dran“, ertönte Arthur.
„Frau Elvira von Hohenzollern, Jahrzehnte lang habe ich Ihnen gedient. Pünktlich um fünf habe ich Ihnen köstlichen Tee serviert. Dann haben Sie diesen bürgerlichen Fatzke geheiratet und mich einfach aussortiert. Der Teufel soll Sie holen!“
„Das ist keine Frage“, wandte Adelheid schnippisch ein.
„Leben Sie noch?“ legte Arthur nach.
Ich rĂĽckte nach links.
„Geschieht der alten Schnepfe ganz recht,“ murmelte Arthur.

„Kannst du misch ören, Max?“, meldete sich Henri zu Wort.
Ich bewegte mich nicht.
„Es gibt sicherlich mehrere Maxe“, raunte ihm Babette zu.
„Wie hieß er mit Nachnamen?“
„Etwas mit B. Vielleicht Bukowski oder so. Wo-er soll isch das wissen? Er at mir erzählt, dass er seine Ehefrau –wie nennt man das- trompé, betrübt hat“.
„Betrogen!“, seufzte Babette.
„Ja, isch weiß. Ist nicht galant, aber mon dieu, warum ließ er sich attraper. Ehefrau at ihm genommen tout l’héritage, Erbse auf Deutsch.“
„Erbe, du Dummkopf“, empörte sich Adelheid. „Und anstatt einen klaren Kopf zu bewahren, zum Beispiel bei einer Tasse Kaffee, hast du ihn zum Saufen animiert?“
„Ist mon destin, Leuten zu helfen in schweren Zeiten, Madame. Cognac ist flüssiges Gold“, schwärmte Henri.

Plötzlich hörte ich Schritte. Max ist sicherlich ungeduldig, weil ihm Henri keine Fragen stellt, ging es mir durch den Kopf.
„Hört ihr die Schritte?“ fragte nun auch Babette ängstlich in die Runde.
Also konnte nicht nur ich sie als Medium hören, dachte ich etwas enttäuscht. Es folgte ein Poltern. Ein gleißender Lichtstrahl durchbrach die Dunkelheit. Hätten wir Augen gehabt, wir wären auf der Stelle erblindet. Stattdessen machten sich ein paar Staubwölkchen auf die Reise. Im Tageslicht sah ich etwas blass aus.

„Guck dir das mal an, was da in Omas Kiste steckt“, sagte eine menschliche Stimme.
Adelheid wurde hochgehoben. Wäre sie eine Hofdame gewesen, hätte sie sicher einen Knicks gemacht. So streckte sie stolz ihre Tülle der Betrachterin entgegen.
„So ein Kitsch!“ urteilte diese ungnädig.
“Wer braucht denn heutzutage noch so was!“
„Und diese Gläser sind ja schon ganz blind. Die können wir gleich wegwerfen. Den Rest verkaufen wir auf dem Flohmarkt.“
Es wurde wieder dunkel und wir schaukelten hin und her, so dass Henri auf mich prallte.
„Adieu, Clara! Merci, dass du mir ast versüßt die letzten Stunden. Besser Séance als Banausen! Schade, wir ätten sischer geabt eine petite affaire!“

Letzte Aktualisierung: 11.11.2015 - 07.09 Uhr
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