Der himmelblaue Schmengeling
Der himmelblaue Schmengeling
Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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Hier spukt's | November 2015
Das Ding aus dem Schrank
von Ingo Pietsch

Niklas schlug die Augen auf.
Rings um ihn herum war Dunkelheit, bis auf den Lichtstreifen, der sich unter seiner Zimmertür abzeichnete.
Plötzlich bewegten sich Schatten in dem Streifen und die Türklinke senkte sich leise quietschend.
Niklas zuckte zusammen und zog sich seine Bettdecke halb über den Kopf.
„Niklas, schläfst du schon?“, es war sein Vater, der gerade von der Arbeit gekommen war und der immer noch eine gute Nacht wünschte.
Niklas tat, als würde er schlafen und versuchte ruhig und laut zu atmen, obwohl ihm sein Herz bis zum Hals schlug. Er war ein bisschen sauer auf ihn, weil er Niklas nicht ernst nahm.
„Schlaf schön“, sagte sein Vater liebevoll und schloss die Tür wieder.
Niklas war hellwach. Draußen war es sehr windig und der Rollladen klapperte unaufhörlich.
Aber das war nicht, was ihm Sorgen machte:
Seit Niklas mit seinen Eltern vor ein paar Wochen in das Haus eingezogen war, versuchte irgendetwas ihm Angst einzujagen.
In seinem Zimmer befand sich ein alter Einbauschrank. Der müffelte ein bisschen, war aber sehr geräumig.
Schon in der ersten Nacht hatte Niklas aus dem Schrank leise Kratzgeräusche vernommen.
Sein Vater meinte dazu am nächsten Morgen, dass es eventuell eine Maus sein könnte.
Eine große Durchsuchungsaktion hatte allerdings nichts ergeben. Es fanden sich weder Löcher, noch andere Hinterlassenschaften eines Nagetieres.
Schließlich waren alle Sachen von Niklas im Schrank verstaut worden und nichts weiter war passiert.
Eines Abends, Niklas hatte noch einen spannenden Film gesehen, kamen die Kratzgeräusche wieder.
Niklas ließ sein Nachtlicht eingeschaltet, aber bis er übermüdet einschlief, war nichts aus Richtung Schrank zu sehen gewesen.
Die Geräusche kehrten fast jeden Abend wieder und wurden immer intensiver. Während Niklas Mutter sich langsam sorgen um ihren Sohn machte, ignorierte es sein Vater vollkommen.
Also beschloss er die Sache selbst in die Hand zu nehmen: Am einem Abend bestückte er eine Mausefalle mit einem Stück Schokolade – Mäuse mochten Schokolade, das hatte er aus dem Internet recherchiert – und legte sie auf einen Stapel Pullover im Schrank. Dann kletterte er schnell in sein Bett zurück und wartete gespannt, was passieren würde. Er starrte die ganze Zeit bei eingeschaltetem Licht auf den Schrank, bis ihm fast die Augen zufielen.
Mit einem Mal riss seine Mutter die Zimmertür auf und sagte ärgerlich: „Ich habe dir schon vor einer Stunde gesagt, dass du das Licht ausmachen sollst!“ Mit einem Klicken war es stockdunkel und seine Mutter wieder verschwunden.
Niklas war zu keiner Antwort fähig gewesen, so hatte er sich erschreckt.
Ein dumpfer Knall kam aus dem Schrank.
Niklas war starr vor Angst. Sein Herz hämmerte in seiner Brust. Er konnte sich nicht bewegen, obwohl er am liebsten aus dem Zimmer gelaufen wäre.
Und er glaubte sogar ein höhnisches Gekicher vernommen zu haben.

Als Niklas am nächsten Tag nach der Falle schaute, war sie natürlich leer. Und wieder keine Köttel oder ähnliches, das eine Maus hinterlassen haben könnte.
Niklas erzählte seinen Freunden auf den Schulhof alles, was er erlebt hatte und dass es wohl in seinem Zimmer spuke.
„Du glaubst doch nicht wirklich an Geister?“, fragte Lasse.
„Ich bin mir nicht mehr so sicher“, meinte Niklas.
„Weißt du, was ich denke, was es sein könnte?“ David sprach so geheimnisvoll, dass die drei Jungen näher zusammenrückten.
Niklas schüttelte den Kopf und Lasse zuckte mit den Achseln.
„Es ist ein Kobold, der in deinem Schrank haust. Und er ernährt sich von deiner Angst und wird davon immer stärker, bis er dir deine Lebenskraft aussaugt!“
„Mensch David, woher hast du nur diesen Blödsinn?“, wollte Lasse wissen.
„Ich habe neulich bei meinem großen Bruder heimlich so einen Horrorfilm mit angesehen!“
„Verschwinde! Du machst Niklas ja noch mehr Angst.“
David trollte sich: „Ist ja gut, dann gehe ich eben.“ Beleidigt zog er ab.
„Und wenn er doch recht hat?“, fragte Niklas ängstlich.
„Ach Quatsch! Jetzt mach dir Mal nicht ins Hemd. Wie wahrscheinlich ist es denn, dass so ein Hirngespinst ausgerechnet in deinem Schrank wohnt?“ Lasse zeigte Niklas einen Vogel und ließ ihn einfach stehen.
Niklas überlegte. Er musste der Sache auf den Grund gehen und dem Ding eine Falle stellen.

Niklas war auf die diese Nacht vorbereitet: Digitalkamera, Taschenlampe und Pfefferspray (aus der Handtasche seiner Mutter).
Im und vor dem Schrank waren Schokoladenstücke verteilt. Direkt vor dem Bett lagen Reiszwecken und auf dem Nachtschränkchen lag sein Holzschwert.
Irgendwann am Abend hatte seine Mutter das Licht wieder ausgeschaltet und er traute sich auch nicht, es wieder einzuschalten.
Das gleichmäßige Trommeln des Regens gegen sein Fenster lullte Niklas in einen leichten Schlaf.
Irgendetwas schmatzte genüsslich und Niklas war wieder hellwach.
Er tastete nach der Nachttischlampe. Sie flammte auf, flackerte und erlosch wieder.
Aufgeregt fummelte Niklas an der Taschenlampe herum. Die ließ sich gar nicht erst einschalten. Er warf sie in eine Ecke des Zimmers und wie durch ein Wunder strahlte sie plötzlich durch den Raum und alles wurde in ein Dämmerlicht getaucht.
Niklas versuchte auf dem Bildschirm der Kamera etwas zu entdecken, aber mehr als verwaschene Schemen zeigte er nicht an.
Die Tür des Kleiderschrankes fiel zu. Niklas sah auf. Staubwürmer tanzten in dem diffusen Licht.
Trippelnde Schritte kamen auf Niklas Bett zu und erstarben abrupt.
Niklas war starr vor Angst. Ihm war heiß und kalt zugleich. Trotzdem überwand er seine Scheu und spähte am Bettrand herunter.
Am Ende des Reiszweckenfeldes stand eine kleine Gestalt, nicht größer als eine Actionfigur. Sie trug einen dunklen Umhang mit Kapuze und Niklas konnte nur eine hakenförmige Nase und rot leuchtende Augen erkennen.
Der Kobold, oder was immer es war, hob ein Stück Schokolade vom Boden und roch daran. Dann riss er das breite Maul mit unzähligen nadelspitzen Zähnen auf und verschlang die Süßigkeit.
Das Männchen sah ruckartig auf: „Hallo, Niklas!“, krächzte es.
Niklas zuckte zurück und zog sich die Decke über den Kopf.
„Sei doch nicht so schüchtern!“, vernahm er die Stimme dumpf unter der Decke.
Niklas spürte, dass der Kobold auf seine Decke gesprungen war und sich seinem Kopf näherte. Er nahm allen Mut zusammen und warf die halbe Decke auf das Männchen. Dann griff er sein Schwert und schlug mehrmals kräftig zu.
Bei jedem Schlag hörte er ein „Au“ unter dem Stoff.
Dann war es still und Niklas verharrte in der Bewegung.
„Das war aber nicht nett.“
Die Decke flog zurück, begrub Niklas unter sich und das Schwert wirbelte durch den Raum.
Niklas bekam kaum Luft und als er sich schweißgebadet befreit hatte, war der Kobold verschwunden.
Niklas wandte sich panisch zur Tür – doch dort stand eine Bulldoge und knurrte ihn an.
Er hasste Bulldogen und hatte höllische vor Angst vor ihnen.
„Weiter so“, knurrte die Bulldoge mit der Stimme des Koboldes und verwandelte sich in einen lebensgroßen Zirkusclown.
„Ja, mehr!“, der Clown lachte gierig. Er beugte sich vor und hauchte seinen fauligen Atem in Niklas Gesicht.
Niklas Magen verkrampfte sich und er wollte aus dem Bett flüchten; dabei erinnerte er sich an die vielen Reiszwecken auf der anderen Seite. Das Pfefferspray fiel ihm wieder ein. Er tastete nach ihm und als er es in der Hand hielt, sprühte er es dem Clown in die Augen.
Der Clown schrie auf und rieb sich die Augen: „Du widerliches, kleines Biest. Das wirst du mir büßen!“ Er schrumpfte auf Hundegröße zurück, sah wieder wie der Kobold aus.
Er schlug blindlings um sich.
Niklas sprang aus dem Bett Richtung Tür und schubste den Kobold beiseite. Doch die Tür war verschlossen.
„Mama, Papa!“, Niklas hämmerte gegen das Holz.
„Los, mach doch was!“, hörte Niklas eine Mutter von der anderen Seite panisch rufen.
Der Kobold wuchs wieder. Er lachte gehässig. „Jetzt hole ich dich und nehme dich mit! So wie all die anderen Kinder!“
Niklas fiel rücklings hin. Er stützte sich ab und erfühlte sein Holzschwert. Die ehemals stumpfe Klinge war der Länge nach gesplittert.
Niklas nahm all seinen Mut zusammen, wandelte ihn in Wut und sprang auf den Kobold zu.
Der machte einen Schritt rückwärts. Der energische glühende Blick wandelte sich in Überraschung.
Niklas schloss die Augen und stieß zu.
Im selben Moment krachte die Zimmertür auf und seine Eltern stürmten herein.
„Nein!“, kreischte das Monstrum. Es änderte seine Gestalt zwischen Clown, Hund und Kobold. Schließlich krächzte der Kobold: „Ich werde wiederkommen!“
Die Eltern sahen gerade noch, wie die Gestalt des Kobolds sich in eine schwarze Wolke verflüchtigte und die leere Kutte zu Boden schwebte.
Niklas wurde von seinen Eltern in die Arme geschlossen und sein Vater schwor: „Morgen werden wir diesen verfluchten Schrank verbrennen!“

Letzte Aktualisierung: 24.11.2015 - 07.24 Uhr
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