'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespürt.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Kevin N. Hoffmann IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Hier spukt's | November 2015
Corbeau - Der Rabe, der wiederkehrte
von Kevin N. Hoffmann

Eine klassische Spukgeschichte, gruselig oder nicht, findet meist in der Nacht statt: doch weshalb?
Könnten wortgewandte Autoren und Gruselfanatiker nicht eine Geschichte schreiben, in der ein Geist des Tages durch ein verlassenes Gebäude streift und die Leute zu Tode verängstigt? Eine Spukgeschichte, die am Tage stattfindet, verliert genau den Inhalt, der uns Menschen erschaudern lässt: die Ungewissheit.
Denn: welcher Mensch ängstigt sich vor seinem nächsten Schritt, wenn er doch vor sich den Weg genau erkennen kann? Niemand würde zögern, über die schwarzen Fliesen zu gehen, denn sie wären im Schein des hellen Tageslichtes doch gut erkennbar.
Des Nachts jedoch, wenn der silbrige Mond nur spärlich durch das graue Wolkenmeer hervorlugt und der Boden vor uns zum ungewissen Nichts wird, sollte man vorsichtig und bedacht jeden Schritt vor den anderen setzen! Niemand sieht, ob sich nicht ein großes Loch auftut und man könnte ebenso wenig sehen, wohin der Weg führen würde…
Und genau diese Ungewissheit tat sich auch Eric Steiner auf, er hatte am Tag zuvor einen braunen Umschlag auf seinem Schreibtisch vorgefunden.
Beim Öffnen flog ihm ein Wust an Blättern entgegen. Es handelte sich um frühere Familienfotos, auf denen er, seine Eltern und seine Schwester zu sehen waren. Mit einem müden Lächeln legte er die Fotografien beiseite und widmete sich einem zusammengefalteten Brief. Ein silberner Schlüssel rutschte heraus und landete mit einem leisen Klirren auf dem Mahagoni.
Als er sich mit halbem Interesse dem Brief angenähert hatte, packte ihn urplötzlich ein ungutes Gefühl und er warf den Brief weit von sich. Sein Gesicht war blass geworden. Dieser Brief konnte unmöglich echt sein! Aber diese Handschrift, er kannte sie gut genug; sie gehörte seiner Mutter.
Vom ersten Schreck halbwegs erholt, machte er einen Satz nach vorne, griff nach dem Papier und begann zu lesen. Sie bat ihn, morgen nach Hause zu kommen, denn sie hatten eine Überraschung für ihn geplant, die ihm sicherlich gut gefallen würde.
»Unmöglich!«, wisperte Eric und schüttelte den Kopf. »Du bist tot!« Diese Worte hallten eine Ewigkeit als körperloses Echo im Raum umher und verunsicherten den Dreiundzwanzigjährigen zutiefst. War dies alles bloß ein Scherz, den man sich mit ihm erlaubte? Doch woher hatte ein unbekannter Narr den Schlüssel für das alte Reihenhaus seiner Eltern?
Fürs erste setzte er sich an seinen Arbeitstisch und grübelte über die mysteriösen Zeilen. Nach einer Weile riss er sich aus seiner Grübelei und beschloss, den morgigen Tag zu nutzen, um herauszufinden, was dort vor sich ging. Seiner Frau erzählte er nichts über sein Vorhaben und stahl sich in den frühen Morgenstunden aus dem Haus.
Er startete den Motor und begann seine ungewisse Fahrt mit gemischten Gefühlen.
Die Stadt näherte sich rasch, die Nervosität in Eric wurde stärker. Seine Stimmung veränderte sich nochmals rapide, als er das Ortsschild des Ortes erblickte, in dem seine Eltern und er vor langer Zeit mitsamt seiner Schwester gewohnt hatten. Als er dreizehn Jahre alt war hatten seine Eltern mit seiner Schwester jedoch einen schweren Autounfall und alle drei kamen dabei ums Leben. Einzig er hatte überlebt, da er zu jener Zeit in einem Ferieninternat war.
Ein dichter Nebel begann das Auto zu umhüllen, die Straßenlaternen gaben ihr mattes, fahles Licht von sich und verliehen dem Nebel etwas Magisches. Kein Auto rührte sich auf den Straßen und so fuhr er nach kurzer Zeit auf einen Parkplatz, nicht weit von seinem ehemaligen zu Hause entfernt.
Mit weichen Knien stieg Eric aus und näherte sich mit gewagtem Schritt dem ehemaligen Haus seiner Eltern. Der Komplex bestand aus drei Häusern. Das Haus zur linken seiner Eltern schien verlassen. Das mittlere strahlte eine fast schon greifbare Atmosphäre des Unbehagens aus, die ihn vor Ehrfurcht und Angst erschaudern ließ. Einzig das rechte Haus wirkte bewohnt und als er sich nach kurzem Zögern aufraffte, erschien eine kleine dicke Frau am Toreingang. Sie hinkte auf ihn zu und musterte ihn mit ihren wässrigen alten Augen.
»Du bist tatsächlich gekommen«, sagte sie mit heißerem Röcheln, »doch ich warne dich, gehst du dort hinein, wirst du als ein anderer wieder herauskommen. Merke dir meine Worte! Ich rate Dir auf dem Absatz umzukehren! Diese Bürde wird dich dein Lebtag lang verfolgen.« Damit verschwand sie zurück in ihr Haus, noch bevor Eric etwas erwidern konnte. Vage erinnerte er sich an seinen Vater, der ihn vor der verrückten Alten gewarnt hatte. Ihre Worte prallten an ihm ab, wie Regen an einer Scheibe.
Wind setzte ein; schnell lief er zu dem silbernen Tor hinüber, stieß es auf und zog den Schlüssel hervor. Mit zittrigen, unsicheren Händen drehte er den Schlüssel und stieß die Tür auf.
Er trat ein. Mit einem lauten Krachen schlug die Tür hinter ihm zu. Eric war in vollkommene Dunkelheit getaucht und für einige Momente wagte er es nicht einmal Finger und Zehen zu bewegen. Diese undurchdringbare Schwärze schlich sich, ohne dass er es bemerkte, näher an ihn heran, schlängelte sich um seinen Körper und wurde von seiner Haut gierig aufgesogen. Sie schob sich weiter in seine Blutbahnen und als sie sein Herz erreicht hatte, begann es vor Angst spürbar lauter und kräftiger zu schlagen. Als Reaktion auf seinen heftigen und schmerzhaften Herzschlag erhöhte sich sein Drang nach Luft und seine Lungenflügel weiteten sich schmerzhaft.
Er zog sein Handy hervor und schaltete die Taschenlampe ein. Das grelle Licht gab Eric freie Sicht auf den Flur. Er drückte die Lichtschalter, doch das Licht über ihm blieb ihm verwehrt. Des Öfteren rief er nach seiner Mutter und seinem Vater; die Antwort darauf war jedes Mal eine eigentümliche, gespenstische Stille, die, umso länger er sie ertragen musste, seine Angst und Panik erhöhte.
Einmal, er war sich dessen nicht ganz sicher, vermeinte er einen Schatten an der Küchentüre ausgemacht zu haben. Als er jedoch das Licht auf die Tür richtete, war davon nichts mehr zu sehen. Er wandte sich wieder dem altmodischen Wohnzimmer zu und schreckte panisch zurück: eine blasse Kinderhand ragte hinter dem Sofa hervor! Hastig umrundete er das Sofa, um sich Gewissheit zu verschaffen – es lag jedoch nichts hinter dem Sofa, auch nicht die Hand, derer er sich so sicher war. Ein Rascheln ertönte hinter ihm und als er sich umwandte sah er gerade noch, wie sich die Küchentür einen Spalt öffnete. Paralysiert stand er im Wohnzimmer, ein Schrei auf den Lippen. Die gesamte Küchentür war von frischem Blut bedeckt und dahinter, da war er sich ganz sicher, konnte er das leichenblasse Gesicht seiner Mutter auf dem Fußboden erkennen. Panisch lief er darauf zu, die blutende Wunde auf dem Kopf seiner eigenen Mutter im Blick. Er riss die Türe auf und fand sich in einer menschenleeren Küche vor. Weder eine Leiche, noch das Blut waren zu sehen. Verdattert wich er zurück, prallte gegen den Türpfosten und rutschte daran herab. Drehte er durch oder spukte es hier etwa?
Zeit verstrich und schließlich erhob er sich benommen, kehrte der Küche und dem Wohnzimmer den Rücken und wollte schon auf die Haustüre zugehen, als sich eine schwarze Silhouette vor ihm auftürmte. Sie schien aus keinerlei Materie zu bestehen. Noch während ihm ein kalter Schauer den Rücken hinab kroch, machte er kehrt und stürmte die alte, knarrende Holztreppe empor. Geschockt stierte er auf halber Höhe in das blutige Gesicht seines Vaters, welches ihn aus verständnislosen, kalten Augen anstarrte. Er schrie auf, sprang über ihn hinweg und prallte gegen eine verschlossene Türe. Diese sprang auf und er donnerte auf den Fußboden. Er rappelte sich auf und starrte völlig aufgelöst in sein eigenes Gesicht – zehn Jahre zuvor. Der Junge vor ihm legte einen Finger an seine Lippen und hob eine lose Holzdiele empor. Daraufhin verschwand er und ließ den erwachsenen Eric alleine zurück.
Mit bebendem Körper kroch er zu der losen Diele hinüber und hob diese an. Darunter befanden sich drei verknitterte und vergilbte Schriftstücke, die er einst aus dem Büro seines Vaters geklaut hatte. Das eine war eine Adoptionsurkunde eines Jungen namens Leo Corbeau, welcher zukünftig auf den Namen Eric Steiner hören würde. Das Zweite war ein Entlassungsschreiben aus einer Nervenheilanstalt für Kinder und das letzte war die zweite Seite eines Briefes, in der seine Mutter ihre Vorfreude auf sein Kommen verkündete. Der unvollständige Brief war zehn Jahre zuvor geschrieben worden und war die zweite Seite des Briefes, den Eric tags zuvor aus dem braunen Umschlag gezogen hatte.
Wie konnte das sein? Was ging hier vor? Ein Schwindel überkam Eric und er presste seine Hände an den schmerzenden Kopf. Ein verschwommenes Bild und rasende Wut stiegen in ihm auf. Vor seinem geistigen Auge konnte er eine silberne Klinge erkennen, geführt von einer Kinderhand. Sein Adoptivvater trat gerade aus dem Badezimmer, da schnellte die Hand vor und der Vater brach blutend zu Boden. Die Treppe langsam herabsteigend verschwand der Messerträger in die Küche, stieß das Messer in den Rücken der Mutter und schnitt der Schwester im Wohnzimmer die Kehle durch. Ein Spiegel blitzte auf und er konnte deutlich das von Blut bespritzte Gesicht erkennen: er selbst war es gewesen!
Er hatte vor all diesen Jahren seine Adoptionsfamilie umgebracht – er konnte die Wahrheit über seine Adoption nicht verkraften. Der damals von der Polizei gesuchte Täter konnte also gar nicht existieren! Er war danach zu einer Gastfamilie gekommen, die ihn liebevoll aufzog und ihm einredete, seine Eltern wären bei einem Unfall gestorben. Vage blitzten Erinnerungen auf, wie ihm damals seine Gastmutter einen braunen Umschlag mitgegeben hatte, als er ausgezogen war.
Noch in derselben Nacht verließ Eric Steiner das Haus. Ein einzelner Rabe kreiste darüber und er wusste, er würde dieses fürchterliche Geheimnis bis ins Grab nehmen. Einen Spuk hatte es freilich nicht gegeben, einzig ein Streich des Unterbewusstseins, welches sein Geheimnis endlich offenbaren wollte.

Letzte Aktualisierung: 26.11.2015 - 18.57 Uhr
Dieser Text enthält 10103 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.