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Hier spukt's | November 2015

Halloween
von Martina Lange

Ein Reiter in stürmischer Nacht. Den Dreispitz tief in die Stirn gedrückt, trotzt er dem strömenden Regen. Weit beugt er sich über den Hals seines Pferdes, die behandschuhten Finger tief in das triefendnasse Fell des Tieres vergraben. Er hetzt durch den finsteren Wald. Die Bäume ächzen und stöhnen unter der Gewalt des Windes. Lange knorrige Astfinger greifen nach seinem Umhang, ziehen und zerren ihn beinah von seinem Reittier.
Das Pferd wiehert laut vor Angst und steigt. Es will den Weg nicht gehen. Zur Gerte greift der Reiter und zwingt ihm seinen Willen auf. Auch ihn hat die Angst kalt ergriffen. Der Wald scheint zu leben, bewegt sich auf sie zu und fordert Wegzoll, will ihr Blut. So fühlen beide, der Reiter und sein Pferd.
Blendend hell zuckt der Blitz hernieder. Wildgezackt erleuchtet er den Hohlweg. Eine Gestalt, groß wie ein Bär, richtet sich auf und hebt zum Angriff die Klauen. Aus dem weit aufgerissenen Maul ertönt ein markerschütterndes Gebrüll. Übertrifft noch den Regen und den Sturm.
Nun hält nichts mehr das fliehende Pferd, das seine Angst hinauskeilt und mit angelegten Ohren, blind den Weg zurück, aus dem Wald hinaus galoppiert. Der Reiter findet sich im Morast des Waldweges wieder. Zitternd und starr vor Schreck, kann er seinen Blick nicht von dem Untier abwenden. Der magere Körper mit langem triefendem Fell bedeckt. Gelbe Augen, deren Pupillen aus Bosheit zu schmalen Schlitzen verengt sind. Die langen Fänge in der schmalen Schnauze geifern im Licht der zuckenden Blitze hungrig auf.
Hier wird des Mannes letzte Stunde schlagen. Voller Entsetzen vor dem grausamen Tode, hebt der Reiter abwehrend die Arme vor das Gesicht und kneift die Augen zu. Stumm fleht er um Gnade.

* * *

Der Tod, dem er sich so nah sieht, hüllt sich in ein gleißend fremdes Licht. Und spricht ihn an.
Erst nach geraumer Zeit wagt der Mann, langsam die Augen wieder zu öffnen. Ihm ist nichts geschehen. Der Weg ist leer, als hätte es dort nie ein Ungeheuer gegeben. Verwundert reibt er sich die Augen. Regen und Sturm sind verstummt. Hatte seine Angst ihn mit albtraumhaften Trugbildern genarrt? Doch das schimmernde Licht, welches ihn umgibt, bildet er sich nicht ein. Als er sich aufrichten will, fällt sein Blick auf einen kleinen Gegenstand auf seiner Brust. Ein goldenes Kästchen, fein ziseliert und mit winzigen Edelsteinen und Perlen geschmückt. Dem Mann fällt keine Erklärung ein, wie es dorthin gelangt sein könnte.
"Ich habe dich gerettet! Nun, da dir keine Gefahr mehr droht, erbitte ich eine Gegenleistung von dir, um deine Schuld zu begleichen!"
Die Stimme aus dem Licht umgibt sich mit der Gestalt eines Mannes in feinsten Kleidern.
"Überbringe dies Kästchen meiner geliebten Frau. Ich kann mein Versprechen, welches ich ihr gab, nicht halten. Erfülle du nun diese Aufgabe, damit ich endlich meinen Frieden finden kann. Tust du dies, so will ich dich sicher durch den Wald und das Unwetter geleiten. Es soll dir in dieser Nacht kein Leid geschehen."
Dem Reiter stockt der Atem, so bange ist ihm und er bringt kein einziges Wort heraus. Er nickt, greift nach dem goldenen Kleinod, und während er es noch betrachtet, beschreibt ihm die Erscheinung wie er zur Empfängerin gelangt. Sorgfältig verpackt er es in seiner ledernen Botentasche und erhebt sich.
Das Licht erlischt. Sturm und Regen haben ihre Stimme zurück. Mit vereinten Kräften brüllen sie dem Reiter, der nun keiner mehr ist, entgegen.
Er zerrt seinen Mantel eng um sich und stemmt sich gegen die Gewalten, Schritt um Schritt.
Zunächst noch zögerlich, doch als ihn nichts mehr bedrängt, schreitet er immer mutiger aus. Setzt seinen Weg fort und hat den Wald bald hinter sich gelassen.
Geradewegs begibt er sich zu dem Dorf, in welchem er seinen Auftrag zu erfüllen hat. Vom frischen Mut berauscht zweifelt er schon bald an einer ihm drohenden Gefahr. Als er im Dorf anlangt, glaubt er, dass das Untier ein Trugbild seiner überreizten Fantasie ist und sein Auftraggeber sicher nichts gegen einen kleinen Aufschub einzuwenden hat. Bei sich denkt er: "Die Arbeit hat Zeit bis zum Morgen. Die Frau wird sich schon längst zur Ruhe begeben haben und in dieser grausen Nacht keinem Fremden mehr die Tür öffnen. Im Wirtshaus werde ich mich trocknen und es mir gut gehen lassen. Mit einem wohl gefüllten Humpen den Schrecken herunterspülen. Bei einem hell flackernden Feuer im Kamin, einem warmen Mahl und einem trockenen Plätzchen zum Schlafen sieht die Welt schon viel freundlicher aus."
Mit dieser Vorfreude betritt er die Wirtsstube. Licht, Wärme und das Gelächter einer feuchtfröhlichen Gesellschaft empfangen ihn. Die anwesenden Zecher lassen es sich nicht nehmen, den Ankömmling in ihrer Trinkrunden willkommen zu heißen. Und er lässt sich nicht lang bitten, ihnen beim Leeren der Fässer behilflich zu sein. So dauert es gar nicht lange, bis er alle Erlebnisse dieser Nacht in etlichen Bierkrügen ertränkt hat.


Das fahle Licht des neuen Morgens bescheint die verrußten Ruinen des lange verlassenen Dorfes. Im ehemaligen Dorfkrug sitzt zusammengesunken der Reitersmann, den Bierkrug fest umklammert, auf gesprungenen Sandsteinfliesen vor dem Kamin. Das Grauen entstellt seine Züge und zehrt alle Farbe aus seinem Haar. Ist es einst schwarz gewesen, so steht es nun schlohweiß von seinem Kopf.
Bis zur nächsten Halloween-Nacht bleiben die Ruinen still. Aber wenn sich die Schleier zwischen den Welten heben, kehrt die verlorene Seele zurück und irrt erneut durch den Wald und kann keine Ruhe finden.

Letzte Aktualisierung: 20.11.2015 - 13.39 Uhr
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