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Allein | Dezember 2015

Heiße Milch
von Klaus Eylmann

Jalousien filterten. Hitze brachte Staubkörnern das Tanzen bei. Kommissar Heinrich Schneider und Inspektor Udo Schmitz von der Mordkommission hatten ihre Jacken über die Stuhllehnen gehängt und hämmerten in die Tasten. Sie redigierten Berichte. Es gab nichts anderes zu tun.
Dann lehnte sich Udo zurück und fragte Schneider: „Heinrich, bist du einsam?“
Der sah von der Tastatur hoch und runzelte die Stirn: „Einsam? Nö. Wie kommst du darauf?“
„Ich habe mal darüber nachgedacht, ob Mord durch Einsamkeit ausgelöst werden kann.“
„Habe ich jemand ermordet? Dann ist mir das entfallen.“ Schneider lachte. „Morde aufgrund von Einsamkeit“, überlegte er. „Glaube ich nicht. Morde entstehen auch aus Zugehörigkeit zu einer Gruppe heraus. Denke nur mal an Blutrache von Clans.“
„Doch wenn die Frau davon spricht, ihren Mann zu verlassen“, warf Udo ein, „dann ist drohende Einsamkeit ein potentieller Faktor.“
Schritte wurden hörbar. Dr. Schmidt, ihr Vorgesetzter, kam ins Büro. „Tote Zeit“, meinte er.
„Wir versuchen“, erklärte Udo, „herauszubekommen, ob Einsamkeit bei Mord eine Rolle spielt.“
Schmidt trat zum Fenster und blickte durch die Jalousie. Wie automatisch fuhr seine Hand zwischen den Lamellen entlang.
„Ich habe Frau Runzenstein schon ein paar Tage nicht mehr gesehen. Hier müsste mal Staub gewischt werden.“
„Sie ist bis übermorgen krankgeschrieben“, stellte Udo klar.
„Einsamkeit.“ Schmidt zog den Besucherstuhl heran, setzte sich, schlug die Beine übereinander. Seine Glatze reflektierte das Licht der Leuchtstofflampe.
„Einsamkeit ist ein weites Feld.“ Schmidts Brillengläser funkelten. „Aber interessant, aber interessant.“
Schmidt erhob sich. „Holzmann im Büro nebenan hat einen Flip-Chart. Ich hole ihn mal eben.“ Schmidt verschwand und kam mit dem Flip-Chart Ständer zurück, den er hinter sich herzog.
„Der ist früher auch mal leichter gewesen.“ Schmidt zog einen der Schreiber hervor.
„Ursachen der Einsamkeit. Ich mache eine Tabelle.“ Schmidt zog zwei Striche und blickte in die Runde.
„Was haben wir da?“
„Frau ist weg“, schlug Udo vor.
„Frau ist noch nicht da“, fügte Schneider hinzu.
„Fremde Umgebung, ganz wichtig.“ Schmidt schrieb weiter.
„Meine Oma beschwerte sich häufig, dass sie niemand besuchte“, erzählte Udo.
„Mangel an Interessen.“ Schmidt drehte sich zu Udo und Schneider. „Das wird komplex. Es kommt auch noch die Intensität der Emotion mit ins Spiel. Wenn die Frau den Mann verlässt, bleibt der Mann hilflos mit einem Gefühl der Einsamkeit zurück. Es wird von Wut überlagert. Wie soll man nun dies Amalgam dieser beiden Empfindungen aufdröseln? Der prozentuale Anteil spielt eine wichtige Rolle.“
Schmidt setzte sich. „So viel Zeit haben wir nicht. Als ich meine Frau kennenlernte, trafen wir uns während der Mittagspause öfter in einer Kaffeebar, bevor sie wieder zur Arbeit musste. Sie bestellte ein Glas warme Milch. Ich hatte den Barista heimlich zuvor gebeten, die Milch heiß zu machen.“ Schneider und Udo sahen sich an.
„Sie blieb dann länger bei mir, weil sie so lange pusten musste.“
„Und jetzt bestellen Sie nur noch lauwarme Milch?“, fragte Udo trocken.
Schneider prustete los und schlug sich auf die Schenkel. Er stockte, als er sah, dass Schmidt mit hochrotem Kopf aufsprang. „Schneider, den Flip-Chartständer bringen Sie nach nebenan.“ Dann knallte die Tür hinter Schmidt zu.
„Udo. Da hast du einen wunden Punkt getroffen“, grummelte Schneider und machte sich über seine Berichte her.

Version 2

Letzte Aktualisierung: 17.12.2015 - 18.27 Uhr
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