Allein | Dezember 2015
| Besuch am Mittag | von Ulrich Brinkmann
|
Sonntags, nur sonntags. Der einzige Tag an dem der hämmernde Takt der Maschine, die sein Leben bestimmt, verhallt.
Aufwachen, Leere zulassen und Stille lauschen, keiner saugenden Emsigkeit verfallen, kein Telefon hören, keine Nachrichten von Bildschirmen ablesen.
Warten, auf nichts und den Kaffee, aus dem Flur die Zeitungen der Woche holen, die dort sorgsam und glatt aufgeschichtet liegen und noch Druckerschwärze atmen.
Behutsam und mit steifen Fingern die letzten Nachrichten offenlegen, Nachrichten von Menschen, deren Münder erkaltet sind und deshalb von einem anderen gesprochen werden müssen.
Aber nicht von ihm.
Ihre Herzen und Köpfe waren froststarr geworden, die Kälte hatte sie getrennt. Die Zeit ist kein Heiler und Wärme ist niemals zu ihm zurückgekehrt, deshalb sind seine Finger steif, die die Zeitung durchwühlen.
Als er alles fortgeschafft, den einen Namen nicht gelesen hat und am Fenster vor seinem kurzen Schatten steht, da hofft er, dass sich der Ring um sein Herz lösen würde, wünscht, dass eine Erlösung noch möglich sei.
Er wirft einen leichten Mantel über, der ihn in den grauen Straßen unsichtbar macht und strebt fort von Lofts und Penthäusern. Und erst als ein Wagen hupt und grell rot an ihm vorbeizieht, erhebt er seinen Blick, findet Bäume in deren grünen Kronen Vögel singen und einen strahlend blauen Himmel. Häuser, die sich in lichten Pastellfarben präsentieren, mit Vorgärten in denen sich blühende Sträucher recken.
Er betritt ein blaues Haus, auf sein Klingeln wird ihm geöffnet und als der Mann, der ihm gegenübersteht, ihn wie aus der Ferne zu erkennen scheint und beiseite tritt, kann er herein. Zögernd betritt er die fremde Wohnung in der ihn Lachen und flirrende Stimmen erwarten.
Er findet sie im Wohnzimmer, in einem Bett ruhend, das mit Blumen bezogen ist, umringt von Menschen, die ihm fremd oder fremd geworden sind.
Diese ziehen sich bald zurück und er rafft seinen Mantel beiseite und setzt sich vorsichtig auf die Kante des Bettes.
Ihr Gesicht ist so blass wie seines, ihre Nase spitzt aus einem weißen Dreieck hervor, das sich von ihren Nasenflügeln zu ihrem Kinn zieht. Aber ihre Augen haben immer noch den klaren Glanz, den er kennt, liebend und zornig.
„Du kommst zu spät.“
Seine Hand, die scheinbar ihren Arm erreichen will, sackt auf das Bett zurück, und so ist es ihre Hand, die geschwollen und aufgedunsen ist und nicht mehr halten kann, die seinen Arm erreicht und fasst.
Er bleibt still, und gerade als sie erneut das Wort an ihn richten will, da dringt aus dem Nebenraum schallendes Lachen herüber, so laut und ungestüm wie das Leben, sie dreht den Kopf und lächelt.
Und sie lächelt immer noch als sie sich ihm wieder zuwendet. „Du musst wieder gehen, ich brauche meine Zeit für mich.“
Ihre Hand gleitet von seinem Arm herunter und hält für einen kurzen Augenblick seine Hand. Ein kleines Stück Wärme kriecht zu ihm herüber und als er überrascht aufblickt, nickt sie ihm zu.
„Was du suchst, kannst du hier nicht finden, aber du hast noch Zeit.“
|
Letzte Aktualisierung: 21.12.2015 - 07.08 Uhr Dieser Text enthält 3052 Zeichen. www.schreib-lust.de |