Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
Maria umarmte ihre Mutter im fahlen Schein der Petroleumlampe, welche die Scheune nur spÀrlich erhellte.
Den Pferdekarren hatte sie bereits gepackt und angespannt auf dem Weg zum Hof unter der alten Eiche abgestellt, damit er vom Haupthaus aus nicht sichtbar war. Warm unter Decken und Fellen lagen die drei Monate alten Zwillinge und der SiebenjÀhrige schlafend.
âMutterâ, flehte Maria, âwillst du nicht doch mitkommen? Bist lĂ€ngst nicht mehr Herrin auf dem eigenen Hof und musst zusehen, wie sie alles herunterwirtschaften, was Vaters Familie aufgebaut hat.â Sie blickte ihr eindringlich in die Augen. âVater hatte sich geweigert, der Partei beizutreten, ihr habt kein Saatgut erhalten, auf den Feldern sprieĂt das Unkraut, er hat fĂŒr einen Hungerlohn Hab und Gut der Juden ĂŒber die Grenze gebracht und das mit seinem Leben bezahlt.â Maria sah sich Ă€ngstlich um. âHitler hat den Krieg lĂ€ngst verloren. Deine Söhne sind auf dem Schlachtfeld gefallen und mein Mann in Russland. Die Front rĂŒckt nĂ€her. Komm mit! Ich bitte dich darum. Deine Enkel und ich brauchen dich in der Fremde.â Sie schluckte die TrĂ€nen hinunter.
Die Mutter streifte ihr kurz ĂŒber die Schulter. âUnsere ehemaligen Zwangsarbeiter hören auf mich und wissen meine Kenntnisse zu schĂ€tzen. Du weiĂt, dass wir sie immer gut behandelt haben und mit ihnen gemeinsam am Tisch saĂen, obwohl das verboten war. Sie werden mir nichts antun. Noch ist das Milchvieh zu versorgen.â
âMit was, Mutter, willst du die KĂŒhe ĂŒber den Winter fĂŒttern? Bald ist die Scheune leer. Nichts wurde ausgesĂ€t und die Arbeiter werden in ihre Heimat zurĂŒckkehren. Und wer kommt dann? Die Sieger! Wie es dir dann ergehen wird, daran will ich nicht denken.â
Nun umarmte sie ihre Tochter. âWenn sie andere Leute hier reinsetzen, komme ich nach, versprochen!â Eilig schob sie Maria aus der Scheune hinaus. âMach dich auf den Weg, solange die Kinder schlafen und die Dunkelheit dir Schutz bietet.â
âUnd wenn ich ohne dich nicht gehe?â
âIch habe versprochen, dass ich nachkomme, wenn ich es fĂŒr richtig halte.â Nun wurde ihre Stimme brĂŒchig. âIch will nicht bereits jetzt das Feld rĂ€umen, welches ich Jahrzehnte beackert habe, versteh das bitte.â
Sie mahnte die Tochter zum Aufsitzen. âGott sei mit dir.â
Maria blickte sich nicht mehr um.
Hier hatte sie ihre Kindheit und Jugend verbracht. Ihren Mann Franz kennengelernt, einen feschen Kerl bescheidener Herkunft aus dem Nachbardorf, obwohl die Mutter es lieber gesehen hÀtte, wenn sie den Karl vom Aloyshof geehelicht hÀtte. Aber niemand konnte ihr da hineinreden. Der Franz war ihr AuserwÀhlter.
Der Schnee unter ihren FĂŒĂen knirschte viel zu laut. Auch war die Nacht mit dem Vollmond zu hell. Aber sie konnte nicht mehr bleiben. Wollte weg, solange das ĂŒber die âGrĂŒne Grenzeâ noch möglich war. Maria kannte hier jeden Stein und jeden Grashalm.
Musste tĂ€glich nach der Schule den Grenzern Milch in zwei groĂen schweren Zinkkannen bringen. Sie zahlten gut. Nur ihre Witze hatte sie als Kind nicht verstanden, wenn sie sich grölend auf die Schenkel klopften.
Noch einmal vergewisserte sie sich, dass die Kinder schliefen. Wie friedlich sie schlummerten. Anton konnte sich nicht mehr an seinen Vater erinnern. FĂŒr ihn waren alle MĂ€nner in Uniform der Vati, der auf Urlaub war.
In der Ferne gab es eine Detonation. Instinktiv duckte Maria sich und sah in den erhellten Himmel, von Ferne hörte sie das MotorengerÀusch der Bomber.
âGott beschĂŒtze meine Mutterâ, flehte sie stumm und schwang sich auf den Kutschbock, sagte leise âHĂŒhhhhâ und das GefĂ€hrt setzte sich in Bewegung, tief schnitten sich die RĂ€der in den Schnee, sie kamen nur langsam voran.
Maria mied den Weg durch das Dorf, um kein Aufsehen zu erregen.
Es wÀre ein Risiko gewesen, den Pferdeschlitten zu nehmen, denn ihre Flucht ging Richtung Norden und womöglich in weniger schneereiche Gebiete.
Ihre Mutter hatte ihr dazu geraten, das Fuhrwerk zu nehmen, obwohl nichts mehr auf dem Hof ihnen persönlich gehörte.
âEs könnten Diebe gewesen seinâ, beschwichtigte ihre Mutter sie, âdie AckergĂ€ule und das Vieh sind ja noch da.â
* * *
Die RĂ€der fraĂen sich schwer durch den Tiefschnee. Mehrmals musste sie absteigen, die ZĂŒgel kurz fassen, um das GefĂ€hrt auf den rechten Weg halten. Die Schimmel waren im Winter nur den Schlitten gewohnt und bockten immer wieder. Maria versank bis zu den Knien im glitzernden WeiĂ, jeder Schritt war mĂŒhselig und krĂ€fteraubend. Lediglich das Schnauben aus den NĂŒstern blies ihr etwas WĂ€rme in den Nacken und nun war sie doch froh ĂŒber diese sternenklare Nacht, weil der Himmel ihr die Orientierung erleichterte. Gleich mĂŒsste sie die Grenze erreicht haben. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit.
Ausgerechnet jetzt begannen die Kleinen zu wimmern. Sie kletterte auf den Wagen, wĂŒhlte sich durch einen Wust von Decken und Fellen, auch das EntblöĂen ihrer Brust dauerte viel zu lange, weil sie mehrere Schichten Kleidung ĂŒbereinander trug. Aber dann lagen die Beiden endlich schmatzend und saugend in ihren Armen. Von Weitem hörte sie Grollen und MotorengerĂ€usche. Wenigstens Anton schlief. Ihre Mutter hatte ihn am Abend mit RĂŒhreiern und Speck vollgestopft, damit er durchschliefe.
Das blonde lockige Haar hatte er von seinem Vater. Sie strich ihm sanft ĂŒber den Kopf.
Viel zu frĂŒh setzte sie die Kleinen ab und wickelte sie wieder ein. Gab ihnen einen Kuss auf die Stirn. âDas muss fĂŒrs Erste reichen,â flĂŒsterte sie und rĂŒckte die HĂ€kelmĂŒtzchen zurecht, unter denen das schwarze Haar versteckt war, âwir mĂŒssen weiter, die Zeit drĂ€ngt, wenn wir hinter der Grenze sind, dĂŒrft ihr Trinken, so viel ihr wollt.â Sie war froh, dass die MĂ€dels sofort einschliefen und schwang sich auf den Kutschbock.
Aber ihr Busen schmerzte. Er war nicht vollkommen entleert. Sie sprang vom Gespann und presste eilig mit streifenden Handbewegungen die Restmilch in den Schnee. Eisige KĂ€lte kroch in sie hinein, ihre Beine spĂŒrte sie kaum noch, die Pferde weigerten sich, durch den tiefen Schnee zu gehen. Wenn sie sie fĂŒhrte, ging es.
Jedes Mal, wenn es eine Detonation gegeben hatte, blickte sie sorgenvoll in den Himmel, der sich rötlich verfÀrbte, die Bomber kamen nÀher.
Und plötzlich hatte sie wieder den Geruch in der Nase von SchweiĂ und Schnaps. Hörte sein Keuchen in ihren Ohren, als er in sie eindrang und wie seine Kameraden Beifall klatschten: âZeig es ihr! Besorgs dem Naziweib!â Einer hielt ihr einen Gewehrlauf in die Seite.
Ein anderer drĂŒckte ihr eine Pistole an die Stirn. â Wenn es dir nicht gefĂ€llt, drĂŒcke ich ab.â Auch er verging sich an ihr, riss ihren wunden Unterleib auseinander.
Bis die Dunkelheit sie erlöste.
Maria fĂŒhlte sich dreckig wie die Erde, auf der sie lag, als sie zu sich kam und zitternd ihr Kleid ordnete.
Ihre âMutter Erdeâ war das nicht mehr!
Maria löschte die Petroleumlampe am Gespann. âBrrr.â
Hörte sie Schritte? Sie wagte kaum zu atmen.
âMutti. Was ist los? Wo bin ich?â
âAnton!â, zischte sie, âsei ruhig.â
Maria hockte sich hin. Das waren Schritte! Links von ihr hörte sie das Rauschen des Flusses. Vom Weg war sie also nicht abgekommen.
Sachte zog sie das Gewehr ihres Vaters vom Kutschbock und spannte den Abzug. Hielt den Lauf in die Richtung, aus der das Knirschen kam und es dauerte nicht lange, da hörte sie auch das Atmen eines Menschen.
Atmen? Das war ein Keuchen.
Ein Grenzer? Aber einer kam nie alleine. Die gingen immer zu zweit auf Patrouille. Sie erhob sich langsam und tÀtschelte die Schimmel mit der Linken an den HÀlsen, wie sie es gerne mochten, die rechte Hand hielt die Waffe umklammert. Maria blickte zu Boden und konzentrierte sich auf die Richtung, aus der sie das Knirschen und Keuchen vernahm. Die Pferde blieben ruhig.
Hoffentlich wurden die Kleinen nicht wach. Anton war immer ein braver Junge. TrÀnen liefen ihre Wangen hinab und bissen sich eisig brennend ins Fleisch.
Sie wollte sich nicht vergewaltigen lassen!
Niemals mehr!
Aber dieses Keuchen! Es war ein Mann, das hörte sie.
`Ich knalle ihn ab.ÂŽ
âNein!â, hatte sie ihrer Mutter versichert, âsie haben mir nichts angetan.â
Warum sollte sie ihrer Mutter gröĂere Sorgen bereiten, das Leben war hart genug in diesen Zeiten.
âHast am Morgen wieder nicht genug gegessen!â, hatte die Mutter geschimpft, als sie fahl und bleich vom Feld kam und spĂ€ter nicht fragte, wer der Vater der Zwillinge sei, obwohl man im Dorf tuschelte, sie sei ein Zwangsarbeiterflittchen und hĂ€tte nicht einmal das Trauerjahr abgewartet.
âSollen sich lieber um die Arbeit kĂŒmmern, anstatt zu Tratschenâ, schimpfte Marias Mutter und kĂŒmmerte sich um den Tauftermin.
âBesser ein Kind im Kissen, als eines auf dem Gewissenâ, hat der Herr Pfarrer geflĂŒstert.
Maria hatte genickt. Die Beiden können nichts dafĂŒr. Wurden hineingeboren in eine Welt von Gewalt und Tod.
âWenn du nĂ€her kommst, knalle ich dich abâ, rief sie und blickte mit zusammengekniffenen Augen angestrengt in die Dunkelheit, konnte aber noch keinen Umriss ausmachen, âich bin bewaffnet!â
Dann senkte sie ihren Blick.
Der Schnee unter ihr glitzerte wunderschön.
Wie einfach wĂ€re es, wenn sie erst ihre Kinder und dann sich erlösen wĂŒrde.
Vier Schuss!
Und alles wÀre vorbei.
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Letzte Aktualisierung: 27.01.2016 - 15.58 Uhr Dieser Text enthält 9371 Zeichen.