Honigfalter
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Heimat | Februar 2016
Capri-Sonne und Fladenbrot
von Anne Zeisig

Wieder so ein kalter Morgen. Wenn sie am Rande der Siedlung, in der Koloniestraße, nicht das FlĂŒchtlingsheim gebaut hĂ€tten, wĂ€re ich im Bett geblieben.
Mein Weg fĂŒhrt mich vorbei an umgestĂŒrzten MĂŒllcontainern, aus denen die Verpackungen von Discountern hervorquellen, dazwischen abgenagte Kotelettknochen, ein ausrangierter Einkaufswagen, er ist verbogen und hat nur noch zwei RĂ€der. Der gehört dem Leergut-Paule.
Seit die SupermÀrkte bis 21 Uhr geöffnet haben, lÀuft es abends bei mir an der Trinkhalle nicht mehr so gut.
Und tagsĂŒber?
Na ja.

FrĂŒher! Herrrjehhh! Da haben meine Freundin Hilde und ich uns in zwei Schichten abgewechselt. Ich stand gerne morgens in der ‘Bude’, wenn die Kumpels und Thyssianer ihre Nachtschicht beendet haben.
Sie lechzten nach heißem Kaffee mit einem SchnĂ€pschen, Schmalzknifften und Rollmöpsen. Im Hochsommer durfte es auch gerne die eine oder andere Flasche Bier sein.
Das flĂŒssige FrĂŒhstĂŒcksbrot hat die verstaubte Kehle gereinigt.
Die Schlote vom Hochofen haben geraucht und die Malocher auch, was mir einiges an Tabakumsatz bescherte. Die Jungs haben gut verdient, da guckte man nicht aufs Geld.
Und sie waren ĂŒbernĂ€chtigt, mĂŒde und schweigsam.
Genau deshalb liebte ich die FrĂŒhschicht in meinem Kiosk in der Siedlung `Am Flötz DreiÂŽ. Kein blödsinniges Gelabere und innerhalb einer kurzen Zeit hat die Kasse geklingelt, als gĂ€be es kein Morgen.
“Morgen Elke. Eine Schmalzstulle und zum Nachtisch ein Bier.”
“Alles klar, Herbert.”
“Und sonst?”
“Wie immer.”
“Gut so.”
“Jau.”
“Wat willste auch sonst machen.”
“Nix. Und dat is auch gut so.”

Wenn mittags die Schulkinder nach dem Unterricht mit ihren abgezĂ€hlten Groschen kamen fĂŒr eine TĂŒte Gemischtes, hat mich Hilde abgelöst. Ab fĂŒnfzehn Uhr hat die Bude dann wieder gerummelt, wenn die FrĂŒhschicht Feierabend hatte.
Mein Mann hat im Sommer ein paar ausrangierte StĂŒhle und Tische auf den BĂŒrgersteig vor der Trinkhalle aufgestellt, da wurden Karten gekloppt und die Kehlen stets nass gehalten mit dem kĂŒhlen Gerstensaft.
Ab und zu hat eine Gattin ihren Angetrauten abgeholt, damit er nicht die gesamte LohntĂŒte bei mir lĂ€sst.
Gegen Achtzehn Uhr war ich dann wieder dran, wenn das GeschÀft mit den vergessenen Sachen anlief, denn seinerzeit schlossen die LÀden um halb sieben. Wer beim Abendessen bemerkte, dass was fehlte, bekam es bei mir.
Damals habe ich sogar selbst gekochten Eintopf im Herbst und Winter verkauft. Das war der Renner. GrĂŒnkohl, Kappes, Möhren. Und immer eine ordentliche Portion Bauchfleisch mit Speck dabei oder Panhas mit Zwiebeln.
Hausmannskost bei Elke. Da brauchten die Rentner kein `Essen auf RĂ€dernÂŽ.
SpĂ€ter kamen noch kalte Koteletts und Frikadellen hinzu mit hausgemachtem Kartoffelsalat. Da waren die Malocherfrauen sauer, weil die MĂ€nner das Essen Daheim nicht mehr anrĂŒhrten.
Ach ja, das waren noch Zeiten.
Heute deckt der Umsatz knapp meine Unkosten. Wie gut, dass ich meine Rente habe und die Witwenrente. Unser kleines ReihenhÀuschen unten am Kanal ist ja auch lÀngst abbezahlt.

Den Sechser-Pack ‘Capri Sonne’ und ‘Cornetto’ gibt es im Supermarkt billiger, aber wer um 23 Uhr Appetit bekommt, kann noch ein Eis bekommen, bevor ich abschließe. Im Winter mache ich um neun dicht, lĂ€nger lohnt sich nicht.
“Morgen Elke!”, ruft mir der Zeitungsbote zu, als ich den SchlĂŒssel mit klammen Fingern aus meiner Tasche hole.
“Alles klar? Siehst ja wieder frisch aus wie eine ZwanzigjĂ€hrige!”
“Jau! Mit achtundsiebzig! VerĂ€ppeln kannste dich alleine!”
Ich schiebe die Packen Zeitungen und Illustrierte mit den FĂŒĂŸen vor mir her in mein kleines GeschĂ€ft, stelle den HeizlĂŒfter an, ziehe Jacke und Schuhe aus und schlĂŒpfe in meine Lammfellpantoffeln, da klingelt es auch schon.
Ich schiebe das Verkaufsfenster beiseite.
“Morgen Elke, schattig heute.”
“Jau Professor. So frĂŒh zur Uni unterwegs?”
“Man muss, man muss.”
“Wat willste auch sonst machen.”
Ich schiebe ihm die Tageszeitung ĂŒber den Tresen und lege sein Kleingeld in die Kassette.
“Und sonst?”, fragt er mich, “auch von dem GerĂŒcht gehört, dass der Mustafa sich unsittlich an einer jungen Frau betĂ€tigt haben soll?”
“NĂ¶Ă¶Ă¶â€, antworte ich verdutzt, “dat is doch ‘n ganz Netter. Wer erzĂ€hlt denn so einen Quatsch.”
“Wird ja viel erzĂ€hlt, wenn der Tag lang ist.”
“Jau.” Ich winke ihm hinterher.
Der Professor ist eigentlich kein Professor, sondern ein Kumpel von Zeche Barbara. Steiger soll er sogar gewesen sein, hat man sich erzĂ€hlt. Jedenfalls hat er einen Knacks im Gehirn davongetragen, seit er damals unter Tage verschĂŒttet war. Seine Frau hat ihn kurz nach dem Unfall verlassen und das Bergwerk hat auch lĂ€ngst dichtgemacht.

* * *

Zeit fĂŒr einen heißen Latte, dann knöpfe ich mir den Papierkram von den Jungs aus der FlĂŒchtlingsunterkunft vor.
Unsereiner kommt ja kaum mit der Formularflut fĂŒr die Ämter zurecht, da helfe ich gerne.
Habe das bereits in den Sechzigern getan, als die Italiener und TĂŒrken zum Arbeiten ins Ruhrgebiet gekommen sind. Da hatten wir hier so viel Arbeit, da sind sogar die Kohlenbriketts vom Himmel gefallen, so staubig war das auf BĂŒrgersteigen und Straßen.
Außerdem muss man sich die Kundschaft von Morgen sichern.
Neuerdings verkaufe ich Falafeln in Mengen. Das sind quasi Fleischklopse auf ErbsenpĂŒree-Basis. Und schwarzen Tee. Darling Assuam, oder so Ă€hnlich, aber auf jeden Fall stark gesĂŒĂŸt. Und Fladenbrot. Wenn man sich nicht auf neue AbsatzmĂ€rkte konzentriert, geht man pleite.
N ur die Tische und StĂŒhle auf dem BĂŒrgersteig kann ich nicht mehr aufstellen, weil die Stadt eine horrende NutzungsgebĂŒhr haben will. Das kann ich mir nicht leisten.
Aber wie sagte Mustafa neulich: “Tee gut von Mama Elke bei Stehen.” Und dann hat mich der Syrer umarmt, weil sein Asylantrag bewillig worden ist.
In seiner Heimat war er Anstreicher. Will meinen Kiosk auf Vordermann bringen. Nötig wÀre es.
Deshalb glaube ich auch nicht, dass der Frauen was antut. Neuerdings reagieren viele hysterisch, weil sie hinter jedem Zugezogenen einen Sittenstrolch vermuten.

So langsam gehen gegenĂŒber im Hochhaus nach und nach die Lichter an. Etliche Fassadentafeln sind dem Wind zum Opfer gefallen, das rohe Mauerwerk trotzt der KĂ€lte nicht, innen blĂŒht der Schimmel.
Alle naselang wechselt die Immobiliengesellschaft und keiner weiß, wer der Ansprechpartner fĂŒr die MĂ€ngel ist. Die GebĂ€ude werden mangelverwaltet und die arbeitslosen Bewohner auch.
Kinder mit schwer gepackten Schulranzen drĂŒcken sich am Verkaufsfenster die Nasen platt. Da mache ich die eine oder andere TĂŒte fertig mit GummibĂ€rchen und einem StĂŒck Block-Schokolade.
FĂŒr die Hungrigen gibt es Salamibrötchen, oder mit KĂ€se, je nachdem, was weg muss, bevor es in der Tonne landet. Die Gewerbeaufsicht nimmt es mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum ja sehr genau. FrĂŒher waren die Gesetze lockerer.
Wer nicht bezahlen kann von den Kleinen, muss es nicht.
Wenn ich in lachende Kinderaugen blicke, geht die Sonne auf.
Meine sind ja lÀngst aus dem Haus.
Frank ist Anwalt in Australien und Monika macht irgend was mit Computern in USA. Angeblich fĂŒhlen sie sich in der Fremde wohl. FĂŒr mich wĂ€re das nichts.
Beide leben alleine, sind mit ihren Berufen verheiratet, sagen sie.
Schade, dass ich keine Enkel habe.

Paule rumpelt mit dem deformierten Einkaufswagen vor und prÀsentiert seine Ausbeute an Leergut, welches er aus Abfalleimern in der Umgebung gesammelt hat.
Ich gebe ihm das Pfandgeld, er will dafĂŒr zwei Flaschen Bier und ‘n Flachmann.
“Der Mustafa hat einer Frau am Busen dran gegrapscht”, nuschelt er mir aus seinem zahnlosen Mund zu, “eine, die da drĂŒben an der Essensausgabe steht.” Er zeigt Richtung Unterkunft.
“Jau”, sage ich gedehnt, weil mich das nervt, wenn GerĂŒchte sich so schnell verbreiten, “habe davon gehört. Man muss nicht jeden Scheiß glauben. Der Mustafa ist ein ganz feiner und arbeitsamer junger Mann.”
Die GerĂŒchtekĂŒche hat hier in der Siedlung immer geblĂŒht. Manches verĂ€ndert sich nie.
Ich reiche ihm die TĂŒte mit dem Verlangten. “Wer erzĂ€hlt ĂŒberhaupt so einen Mist?”
Er zuckt mit den Schultern, packt seinen Einkauf in die Karre und rappelt zum Spielplatz. Dort treffen sich die Saufkumpanen zu jeder Jahreszeit.
Die Sonne lĂ€sst sich kaum blicken, die graue Suppe am Himmel verheißt weiteren Schneefall und der Ostwind blĂ€st durch die Ritzen meiner Trinkhalle. Da geht kein Hund mehr vor die TĂŒr.
Wenn ich die letzten AntrĂ€ge bearbeitet habe, mache ich den Laden zu und werde einen Umweg ĂŒber den Friedhof gehen, bevor es dunkel wird.
FĂŒr meinen Mann und Hilde eine Kerze anzĂŒnden.

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Letzte Aktualisierung: 25.02.2016 - 14.03 Uhr
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