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Heimat | Februar 2016

www.weltenwanderer.dasspiel
von Helga Rougui

Menschen können grausam sein.
Mein Mensch ist dumm, also ist er auf dumme Art grausam.
Weiß er, was er tut?

Eine Lampe, die mich blendet, strahlt auf, strahlt mich an.
Eine Pinzette hebt mich hoch, zwickt mich in die Seiten.

Ich verliere das Bewußtsein.

***

Ich erwache, weiße Wände umgeben mich. Ich bin in der Villa. Wer ich bin, wird sich durch die Umgebung definieren.
Ich bin sehr müde, meine Finger riechen nach Gewürzen und Schweinespeck. Ein Schauspieler bin ich nicht - die verströmen den Duft von Samt und Wörtern und Puder.
Ein Krämer. Ich bin ein Krämer.

Ich war ein Krämer.

Gestern lebte ich noch im Langhaus nebenan. Eng war das, wir alle zusammen stellten eine Sippe dar, und da waren die Kühe und die übergroße Herdstelle. Zwei Heizungen, bei dem steten technisch kühlen Klima unverzichtbar.

Was habe ich jetzt? Eine Fußbodenheizung. Nicht schlecht.

Der dumme Mensch, der über mich bestimmt, hat mich in die Römerzeit katapultiert, jedenfalls in eine Vorstufe davon.

***

Meine Aufgabe diesmal ist es, in der Villa zu sitzen und sie zu bewohnen. Das wird langweilig werden.
Diese Bauten sehen von außen imposant aus, aber innen ist nichts. Buchstäblich nichts.
Begrenzt wird dieses Nichts durch die erwähnten weißen Wände.
Die ich anstarre, stunden- und tagelang, mitten in der Halle auf dem weißen warmen Boden sitzend.

***

Ich kann den Kreislauf, der mich von Station zu Station schiebt, nicht ändern noch abkürzen oder sonstwie beeinflussen.
Wenn ich Pech habe, ist die nächste Station die Kriegerkaserne.
Und bei dem strategischen Ungeschick meines dummen Menschen wird es das dann wohl im Handumdrehn gewesen sein.
Manchmal glaube ich, daß der dumme Mensch nicht weiß, daß ein Fünkchen in uns steckt, ich will nicht sagen – ein Fünkchen Leben (was immer das sein mag) – aber ein Splitter Reflexion sitzt in meinem Kopf, und dieser Splitter möchte mir seltsame, aufmüpfige Gefühle vermitteln, die jedoch ins Leere verpuffen.
Es fehlt die Auffangstation. Ich habe kein Herz, werde niemals eines haben.
Daher geht von mir keine Gefahr aus.

***

Ich bin so dumm wie der Mensch, der mich führt.
Wir alle sind immer so dumm wie die Spieler, die die Fäden in der Hand zu haben glauben.

***

Ich habe Glück gehabt. Na ja, wie mans nimmt. Ich stehe auf dem Hof der neuerworbenen Ziegenzucht. Wie gut, daß ich Ziegen mag, ihren Geruch, ihre Sprache, ihren Käse.
Aber da sind keine Ziegen. Schade. Doch – jetzt, etwas zeitversetzt, erscheinen sie aus dem Nichts.
Von den Ställen aus kann ich die Kriegerkaserne sehen, mir unangenehm nah. Ein paar Schwerbewaffnete (nicht schwer genug, wie sie bald merken werden) formieren sich gerade zur Angriffsarmee. Die Verteidiger haben berittene Bogenschützen.
Ich werde die armen Schweine nie wiedersehen.

Welche Aufgabe habe ich hier? Ich schaue mich um. Hier im Freien sieht man mich nicht, also bin ich nicht für draußen vorgesehen. Ich gehe hinein ins Hauptgebäude. Da ist nichts, nur Wände, graue diesmal. Ich lasse mich in der Mitte des Raums auf dem Fußboden nieder.
Keine Heizung.
Langeweile.

***

Hoffentlich verkauft mein dummer Mensch die Zucht nicht, während ich mich hier befinde. Was aus denen geworden ist, die verkauft wurden mit ihrem Gebäude, weiß niemand, und niemand fragt, will es recht wissen.

***

In der nächsten Runde heißt es arbeiten. Ich bin schon lange dabei und besitze daher einige Fertigkeiten, die ich anwende, wenn ich in der jeweiligen Anlage zu sehen bin und nicht Innendienst habe. Auch diese Werkstatt ist mir bekannt. Überall liegen bunte Tücher auf Mauern und Dächern, ich stehe an einem der Bottiche und tunke ein weißes Tuch in die farbige Brühe.
Immer das gleiche weiße Tuch in die gleiche blaue Brühe, solange mein Aufenthalt dauert.
Seis drum. Nicht so langweilig wie Wände anstarren.

Neben mir arbeiten Männer an anderen Bottichen.
Wir reden nicht. Freundschaft zwischen uns ist nicht programmiert.

***

Ich höre es erst nicht, nur langsam dringt es in mein Bewußtsein (in meinen Splitter): ein hohes dünnes Wimmern, wie von einem Kind.

Es ist ein Kind.

Von außen, vom Bildschirm her, kann man es nicht sehen.
Es kauert – sehr dünn, sehr klein, verheult - hinter einem der Bottiche, die sich neben mir befinden. Die Männer, die dort arbeiten, beachten es nicht, hören es wohl genausowenig wie ich vorher.
Die Anwesenheit dieses Kindes an einem Arbeitsplatz ist ungewöhnlich. Nachwuchs ist vorgesehen für die Wohneinheiten, wenn überhaupt.
Kinder sind nicht wichtig in dieser Welt, sondern Güter, Werkstätten, Diamanten, Vorräte, Gilden, Handel, Krieg und Gier und Tod.

Ich rege mich auf, obwohl ich das gar nicht können sollte. Dieses Wesen ist ein Programmierscherz, ein Fehler des Systems, und es ist viel zu echt. Das sind echte feuchte Tränen, die seine Wangen entlangkullern, und es riecht. Nach Schweiß. Nach Angst.

- Wo kommst du her? flüstere ich.

Das Kind – es ist ein Junge, glaube ich - antwortet in sich überstürzenden Wortkaskaden, in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Nun heißt das nichts, ich rede und verstehe keine echten Sprachen, und elektrische Impulse haben keine Nationalität. Aber der Junge hat eine, und seine Heimat ist nicht hier im Herzen dieses entstehenden Königreichs, noch ist das seine Zeit. Ich kenne diese Art von Kleidung nicht, aber es ist nicht die meiner Epoche.

- Was ist zu tun? frage ich.

***

Arm in Arm mit einem anderen Säufer schwinge ich die Flasche in meiner Hand, wir schwanken hin und her und bleiben doch auf unserem Fleck, der für die nächste Phase des Fortgangs des Geschehens unsere Heimat sein wird. Die Taverne gefällt mir immer wieder gut, es gibt Wein, es gibt Gefühle, es gibt - wenn auch gespielten – Überschwang. Auch die uns zugewiesene Aufgabe ist angenehm: die Bevölkerung zur Begeisterung zu bringen durch ein paar süffig angestimmte Trinklieder, das kommt einer sinnhaften Tätigkeit sehr nahe. Ich freue mich.

Trotzdem – ein leichtes Unwohlsein will nicht weichen.
Mir ist, als hätte ich etwas vergessen.
Oder jemanden.

Egal.
In meiner Welt gibt es keine echten Probleme.
Ich setze die Flasche an den Hals, nehme einen tiefen Zug und singe lauthals die Internationale.

Letzte Aktualisierung: 22.02.2016 - 20.39 Uhr
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