Diese Seite jetzt drucken!

Heimat | Februar 2016

Von einer, die auszog...
von Eva Fischer

Es war einmal eine Prinzessin. Zu ihrem 17. Geburtstag riefen sie der König und die Königin zu sich.
„Unsre liebe und einzige Tochter, es ist nun an der Zeit, dass du den königlichen Palast verlässt und hinaus in die weite Welt gehst“, sagte der König.
Die Prinzessin brach augenblicklich in Tränen aus.
„Wie könnt ihr mich wegschicken? Das hier ist doch meine Heimat. Warum bestraft ihr mich so hart?“
Die Königin sah ihren Mann an und sagte: „Liebes Kind, genau das ist der Punkt. Du kennst das Wort Heimat, weißt aber nicht recht, was es bedeutet, außer behütet zu sein. Du würdest uns später zu Recht Vorwürfe machen, wenn wir dich jetzt nicht frei ließen.“
Die Prinzessin schüttelte ungläubig den Kopf und neue Tränen flossen aus ihren Augen.
Der König schaute sie streng an.
„Hier ist ein Krug Wasser, der nie leer wird, und ein Laib Brot, das nie zu Ende geht. Damit kannst du immer deinen Durst und deinen Hunger stillen.
Auch nimm diese Decke! Darauf kannst du nachts dein Haupt legen und dich vor Kälte schützen.“
Die Prinzessin gehorchte. Sie sah wohl ein, dass sie keine Chance hatte, ihre Eltern umzustimmen.
Schließlich reichte der König ihr ein goldenes Schwert. „Dies wird dich schützen und dich eines Tages gesund zu uns zurückbringen.“
Ein letztes Mal umarmte die Prinzessin ihre Eltern. Dann machte sie sich schweren Herzens auf den Weg.

Sie ließ die hohen Mauern hinter sich, die gepflasterten sicheren Wege und fand heraus, dass die Welt außerhalb des elterlichen Palastes eine Vielfalt bereit hielt, von der sie bisher noch nicht einmal zu träumen gewagt hatte.
Sie entdeckte unbekannte wohlduftende Blumen, aus denen sie sich Kränze wand, Bäume mit wohlschmeckenden Früchten, Vögel mit buntem Gefieder, die sie durch Wiesen und Wälder begleiteten und deren Flugkünste und Zutraulichkeit sie allzu putzig fand. Bald vergaß sie den Kummer über die Trennung von ihren Eltern, denn sie fühlte sich wie in ein Paradies versetzt, das kein Wölklein trübte, wo kein Tier ihr etwas zu leide tat.
Es hätte wohl immer so weiter gehen können, denn Mutter Natur hält unzählige Mannigfaltigkeiten bereit, wenn nicht die Prinzessin sich eines Nachts in den Schlaf geweint hätte. Sie merkte als bald, was ihr fehlte. Wochenlang hatte sie kein menschliches Wesen gesehen, mit dem sie alle diese schönen Dinge hätte teilen können.
Auf dem Ast eines Baumes saß ein Uhu vom Mondlicht beschienen.
„Mein lieber Vogel. Du warst mir des Nachts ein guter Beschützer, aber ich wünsche mir so sehr eine menschliche Seele, mit der ich sprechen kann.“ Es war ihr, als zwinkerte der Vogel ihr zu, aber vielleicht hatte sie dies nur geträumt.

Am nächsten Morgen machte die Prinzessin sich auf den Weg zum Bach, um ein Bad zu nehmen. Da hörte sie ein Lachen so hell wie von feinstem Porzellan. Menschliche Laute in einer ihr unbekannten Sprache drangen an ihr Ohr. Sie klangen wie die schönste Musik und sie suchte herauszufinden, wo sie wohl herkämen. Sie entdeckte drei Mädchen, die damit beschäftigt waren, Wäsche zu waschen. Sie waren viel kleiner als die Prinzessin. Ihre Haut war so braun wie das Fell eines Bären, ihre Augen so dunkel wie Schwarzkirschen, ihre Haare so schwarz wie Ebenholz. Die Mädchen schauten sie genauso erstaunt an wie die Prinzessin sie, denn so ein Wesen mit weißer Haut und gelben Haaren hatte sie noch nie gesehen. Sogleich brachen sie wieder in fröhliches Gelächter aus, in das die Prinzessin einstimmte.
Sie schaute zu, wie die Mädchen die Wäsche auf dem Waschbrett sauber rubbelten und suchte es ihnen gleich zu tun, indem sie ihr Kleid auszog, das von der langen Reise staubig geworden war. Als es Mittag wurde, gab sie ihnen von ihrem Wasser zu trinken und von ihrem Brot zu essen. Die Mädchen hingegen reichten ihr einen Salat aus Hirse und feinen Kräutern, was der Prinzessin gar köstlich schmeckte.
Als die Sonne langsam unterging, machten sich die Mädchen auf den Heimweg in ihr Dorf. Die Augen der Prinzessin füllten sich mit Tränen. Da zupfte ein Mädchen sie am Arm und bedeutete ihr mitzukommen. Coco, nannte die Prinzessin es insgeheim, denn das war alles, was sie verstand.
Zum Glück nahmen die Eltern des Mädchens sie gastfreundlich auf. Sie durfte bei Coco bleiben und verspürte nur einen Wunsch, ihre Sprache zu lernen.
Ihre neue Freundin nahm sie überall mit, zeigte ihr, wie man Hirse erntete, wo die wohlschmeckendsten Kräuter zu finden waren, wie man Feuer entzündete, um Speisen darauf zu kochen, wie man aus den Reben einen Saft gewann, den sie vino nannten und der ihr Lachen in ein Feuerwerk verwandelte.
Monate zogen ins Land und für die Prinzessin lüftete sich langsam der Nebel. Aus Silben wurden Wörter, aus Wörtern Sätze, aus Sätzen lange Gespräche, die beide nächtelang führen konnten.

Eines Tages sah sie, wie ihre Freundin am Webstuhl saß, weiße und goldene Fäden zu feinem Stoff wirkte. Die Prinzessin strich mit den Fingerspitzen darüber und bewunderte das Werk.
„Ich webe mein Hochzeitskleid. Wenn es fertig ist, dann wird mich Fabio holen und zur Frau nehmen“, klärte sie Coco auf.
So sehr sich die Prinzessin bemühte, die fleißige Weberin abzulenken, ja nachts heimlich ein Stück Stoff wieder aufribbelte, so konnte sie doch nicht verhindern, dass das Kleid eines Tages fertig war.
Der Bräutigam kam und entführte ihr Coco für immer. Da blieb der Prinzessin nichts anderes übrig, als sich von den Leuten im Dorf zu verabschieden, ihnen für ihre Gastfreundschaft zu danken und weiterzuziehen.

Sie wanderte den Fluss entlang bis zum Meer und das erste Mal, seit sie ihre Eltern verlassen hatte, fühlte sie sich einsam und heimatlos.
Sie setzte sich an den Strand und schaute den Möwen zu.
„Sagt mir liebe Vögel, wohin soll ich ziehen? Ihr kennt euch doch aus in der weiten Welt.“
Da flog eine Möwe ganz dicht über ihren Kopf und plötzlich hatte sie eine schneeweiße Feder in der Hand. Verwundert schaute sie hoch, doch der war Vogel bereits verschwunden.

Mit der Feder malte sie Bilder in den Sand, schrieb kleine Gedichte, in der Hoffnung ein Prinz käme vorbei und läse bis in die Tiefe ihres Herzens.
Am nächsten Tag schon legte ein Schiff an und nahm sie mit über das große Meer, aber unter den Passagieren war keiner, mit dem sie Bekanntschaft schloss.
So überquerte sie sieben Meere. Die unruhige See ist jetzt meine Heimat und vielleicht eines Tages auch mein Grab, dachte sie traurig. Ihre düsteren Gedanken schienen sich zu bewahrheiten, denn Piraten enterten eines Morgens das Schiff. Da erinnerte sie sich an das Geschenk ihres Vaters. Beim Anblick des goldenen Schwertes wichen die Angreifer zurück, nur einer nicht. Er umschlang mit eisernem Griff ihre Hände. Seine grünen Augen funkelten sie tatendurstig an. Sie kämpften miteinander bis in den Abend, ohne dass ein Sieger ausfindig gemacht worden wäre.
„Hola! Da ist mir ja ein dicker Fisch ins Netz gegangen. Ihr seid eine Prinzessin. Das merke ich jetzt wohl. Hört auf euch zu wehren und mein Schloss soll das eurige sein.“
„Ihr seid ein widerlicher Pirat“, schimpfte die Prinzessin. „Das Schloss werdet ihr auch ergaunert haben.“ Doch sie spürte, wie sie die Berührung des Fremden erschauern ließ, ja sie insgeheim seinen athletischen Körper bewunderte, ihm am liebsten mit den Händen durch seinen rötlichen Bart gestrichen wäre.
„Mein Vater ist ein König. Ihn wird es freuen, wenn ich endlich sesshaft werde und eine Braut mit nach Hause bringe. Für euch würde ich aufhören mit der Piraterei. Die Abenteuerlust trieb mich. Um Diebesgut ging es mir nie. Glaubt mir, teure Prinzessin!“

So wurde Hochzeit gefeiert. Die Prinzessin, die jetzt Königin einer Insel war, hatte eine neue Heimat gefunden und lebte glücklich und zufrieden. Als sie ihm drei Jahre später einen Sohn gebar, schien das Glück vollkommen.
Aber immer häufiger dachte die junge Königin an ihre Eltern, an die Orte ihrer Kindheit, so dass sie von Tag zu Tag trauriger wurde.
„Wie gerne würde ich sie besuchen, ihnen ihr Enkelkind vorstellen“, sagte sie zu ihrem Mann.
„Du weißt, ich kann hier nicht weg, Liebste, und ich lasse dich auch nur ungern ziehen, aber wenn du es unbedingt wünschst, dann gebe ich dir mein bestes Schiff. Es soll dich zu deinem elterlichen Schloss bringen.“

Da machte sich die junge Königin auf den Heimweg. Ihre Eltern schlossen sie überglücklich in die Arme. Indes das Schloss war ihr fremd geworden. In der Erinnerung war alles viel größer und prächtiger gewesen.
„Nun, liebste Tochter, hast du erfahren, was Heimat ist?“, fragte sie ihr Vater.
„ Sie ist mir so notwendig wie Brot und Wasser, so kostbar wie Gold. Doch was wäre sie, ohne frei wählen zu können!“

2. Fassung

Letzte Aktualisierung: 09.02.2016 - 12.13 Uhr
Dieser Text enthält 8769 Zeichen.


www.schreib-lust.de