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Heimat | Februar 2016

Kidnapped by Writing-Girl Stacy, deren Name nicht im Text vorkommt
von Jochen Ruscheweyh

Die Außerirdische, die mir gegenübersitzt, hat mich zum achten Wega-Planeten entführt. Die Begründung dafür ist so simpel wie grotesk: Sie ist in einer Schreibwerkstatt und soll einem Außerirdischen den Begriff Heimat erklären. Dass ich in diesem Fall der Außerirdische für sie bin, macht mich selbst zu meinem eigenen Perspektivwechsel. Was irgendwie eine neue Situation und Herausforderung für mich darstellt, mit der ich Probleme hab klarzukommen. Ich sag: "Wie kommst du denn da grad auf mich, so rein entführungstechnisch gesehen?"
Sie meint, sie hätte halt recherchiert und festgestellt, dass ich die meisten Beschreib einem Außerirdischen .... - Schreibaufgaben ever mitgemacht hätte.
"Und wie hast du das recherchiert?"
Sie zuckt mit den Schulterpolstern von ihrem schrägen Space-Outfit: "Seit ein paar Jahren hängen doch diese Kästen bei euch an den Ampeln. Damit überwacht euch eure Regierung. In das System zu kommen und die entsprechenden Informationen rauszufiltern, ist für ein Weganerin keine große Hürde.
"Ha!", sag ich, "Das ist ja mal ’ne richtig fette Lüge. Es gibt überhaupt keine Ampeln in einem Radius von zwei Kilometern um die VHS!"
Sie scheint zu überlegen. Dann rückt sie mit der Wahrheit raus: "Ich weiß das mit der Schreibwerkstatt von deiner Ex-Freundin."
Ich halt erstmal den Schnabel, weil die Erklärung plausibel klingt, da Ex-Freundinnen grundsätzlich alles über einen wissen. Sogar Dinge, die man selbst nicht weiß. Ich mach jede Wette, ich könnte Caro, Lotte und Tina nachts um Drei anrufen und fragen, wo meine BeeGees-Fan-Unterhose liegt, die ich jetzt schon seit drei Wochen such und jede würd mir getrennt von den andern dieselbe Antwort geben.
"Dann lass mal hören, was du bis jetzt hast", zeig ich mich, ziemlich kooperativ; dafür, dass ich entführt worden bin.
"Das ist ja das Problem. Ich hab nichts."
"Gar nichts?", frag ich. "Also nicht mal ’n halbgaren Einsteiger im Stil von Ihr könnt mich R2D2 nennen?"
Ich scheine einen empfindlichen Astro-Nerv bei ihr getroffen zu haben, weil sie geht steil wie Sau: "Pass mal auf, ich bin verdammt nett zu dir gewesen, ich hätte dir auch eine Blasenspiegelung auf dem Flug verpassen können."
"Oh ja, klasse Idee. So nach dem Motto Heimat is', wo ich Schläuche in Kerle reinschieben kann? Die Nummer is' doch spätestens seit Foxy Lady 11 durch."
Ich seh die Entschlossenheit in ihrem Blick, als sie in das Regal hinter sich greift - das übrigens top staubfrei ist - und eine flexible Brushed-Metal-Optik - Sonde samt Zubehör hervorholt.
"Okay, okay, war nur 'n alter Sputnik-Ulk. Lass uns Textarbeit machen", biet ich an, während draußen ein überdimensionales Strahle-Planeten-Gerät untergeht. "Als erstes musst du deinen Text erden, äh, nee fuck, von mir aus dann weganen. Ich mein, wo sind wir? Du sagst auf dem achten Wega-Planeten, ich glaub ehrlich gesagt, dass du nicht so ganz true bist sondern dich larger than reality machst."
Sie rümpft ihr süßes kleines Stuppsnäschen und guckt relativ ertappt, bevor sie einräumt: "Du hast recht, wir sind nur auf dem sechsten Wegaplaneten."
"Ah, boing!" Ich schlag mir gegen die Rübe. "Deswegen."
"Deswegen was?"
"Ach nix. Pass auf, ein Klassiker: mehr als achtzig Prozent definieren Heimat über ihren Fußballclub. Zockt ihr hier auf Wega 6 auch?"
"Nein."
"Hm. Das ist dumm."
"Ja, das ist es."
Ich guck an die Decke, an der es außer weißer Fläche nichts zu sehen gibt. Ich sag: "Hey, sorry, dass ich so unkreativ rüberkomm, aber ich befinde mich grad in einem ziemlichen Rollenkonflikt, weil zum einen werd ich nicht jeden Tag entführt und zum anderen hasse ich Schreibübungen."
"Da haben wir ja schon zwei Sachen gemeinsam."
"Cool", sag ich, wobei ich mir nicht sicher bin, was genau daran jetzt cool ist.
Sie holt ein Röhrchen aus ihrem Space-Anzug. "Hast du Lust, etwas Antimaterie mit mir zu rauchen?"
Ich kratz mir am Kinn: "Wenn die knallt, die Antimaterie, bin ich dabei!"
Wir saugen das Rohr, das mit krass-blauer Oxygen Flamme abfackelt, leer.
Sie guckt mich plötzlich kräftig verklärt an und meint: "Du hast auf einmal einen Reptilienkopf."
"Und ... is das gut oder schlecht?", frag ich.
Dann kommt der Antimaterie-Kick an und bewirkt eine neue Perspektiv-Verschiebung bei mir, weil ich muss an die UFO-Serien denken, wo die Homos, also die Sapiens, die Außerirdischen im Spiegel als Echsen sehen, was in meinem Fall ja nicht so ist, weil meine Entführerin sieht immer noch Granate aus und kein bisschen schuppig oder schlangoid. Was die Sache echt kompliziert zu denken macht, wer jetzt was ist oder sein könnte. Caro hat immer gemeint, meine Storys wären bis zu einem bestimmten Punkt ganz o.k., und dann würd mir nichts mehr einfallen, was man daran merken würd, dass ich dann immer vollkommen sinnlos und künstlerisch nicht nachvollziehbar mit Blasenhaut bespickte Dinosaurier-Dämonen aus dem Off auftauchen lassen würd, was mich grad im Moment etwas verunsichert, weil ich ja hier nicht der Herr Autor bin sondern eher die Reinkarnation der 3.Person Singular Passiv.
Drauf geschissen: Ich zieh die gute alte C.Thomas Howell in Soulman - Nummer ab und frag: "Was hältst du eigentlich von gemischt rassigen Beziehungen, Sarah Walker?"
Einen Asteroiden-Vorbei-Peitsch-Moment später sind wir heftigst am rummachen, penetrant romantisch illuminiert von dem immer noch im Sinkflug befindlichen Sonnen-Plagiat. Sie stöhnt mir ins Ohr, wie pittoresk sich die Serpentinen durchs Tetra-Gebirge hochziehen, die der südlichste Ausläufer einer kontinentalen Verwerfung des sechsten Wega-Planeten sind. Wie viel Spaß es macht, mit den Space-Scootern ins Galaxy-Atrium zum Shoppen zu cruisen, das einzige Shop-Zentrum seiner Art im ganzen Wega-System. Dass der Wega-Ober-Schreib-Hoschi vor dreihundert Lichtjahren eine Schreib-Kemenate gleich um die Ecke gehabt hat, also irgendwie goetheresk, was sie besonders stolz auf die südliche Hemisphäre von Wega 6 macht. Warum sie nicht verstehen kann, dass ihre Schwester nur wegen eines besseren Jobs ihre Basis auf den achten Wega-Planeten verlegt hat und dass sie selbst sich nichts Schöneres denken kann, als mit mir auf der Daten-Couch zu sitzen und unseren Jungen beim aus den Eiern schlüpfen zuzusehen. Und ja, sie konnte sich schon immer gemischt-rassige Beziehungen vorstellen, aber nur wenn ich mir meinerseits vorstellen könnte, dass Wega 6 Süd auch zu meiner Heimat werden könnte und ich nicht nur grad temporär unter der Astro-Variante des Stockholm-Syndroms leiden würde, was ja dann ihre Schuld wär, aber andererseits müsste man auch mal an sie denken, weil es wär ja - wenn man es mal anders sehen würde - nicht ihre Schuld, dass auf dem Planeten hier keine scharfen Echsen rumliefen und Heimat könnt ja auch nur Heimat bleiben, wenn der oberste Wega-Scheintoten-Rat gucken tät, dass die Population konstant bleibt und dafür hätte sie ja mit alternativen Mitteln gesorgt. Und dass ihr Oberschreibwerkstatt-Hoschi kritisieren würde, dass ihre Storys immer "Get to Know"-Storys wären und mit einvernehmlichem Hollywood-Sex enden würden
"Wow!", sag ich, "so geil hab ich noch nie ’ne Schreibaufgabe hinbekommen. Respekt."
"Ich hab mir halt den besten Schreibkatalysator entführt."
"Du raffiniertes Biest!", antworte ich.
"Ach, halt die Kiemen und komm auf die Daten-Couch, die Schreibe können wir auch nachher noch durchgehen!"
"Ey, wie abgefahren is’ das denn, das könnt echt ’n Ende von einer meiner Storys sein. Ich glaub sogar ich hab schon mal sowas verwendet", sag ich während ich an irgendwas von ihr rumnuckel, was die amphibische Form einer Brustwarze sein könnte, was mich irgendwie beunruhigt. "Hast du eigentlich Spiegel hier bei dir in deinem Enterprise-Souterrain?", hör ich vorsichtig nach.
Sie schiebt mich Richtung Couch und denkt dabei laut nach: "Der Konflikt, der Konflikt fehlt. Was würdest du davon halten, wenn ich dir noch erklären würde, dass wir auf dem sechsten Wega-Planeten importierte humanisierte Reinigungsdronen diskriminieren?"
"Hmm, warum nicht? Hey, ich krieg deinen verdammten Space-Anzug nicht runter."
Mit einem Plöpp öffnet sich ihr Ausschnitt und vielleicht liegt's an dem Antimaterie-Paff-Gerät, aber - Echsen-Aspekt hin oder her - irgendwie denk ich, der sechste Wega-Planet scheint ’n ziemlich porno Stück Weltall zu sein und vielleicht wird’s Zeit für mich, meinen Begriff von Heimat neu zu definieren, mehr so universum-global. Weil diese Ruhrgebiet-Arbeiter-Bier-Pommes-"wir sind alle so bodenständig"-Schiene limitiert auf Dauer schon, zumal ich weder bodenständig bin noch Arbeiter sondern eher ’n fauler Pseudokünstler-Sack. Und wenn's nach Caro geht sind die da unten ohne meine affektierte Lutsch-Schreibe sowie besser dran ...

Letzte Aktualisierung: 13.02.2016 - 13.41 Uhr
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